Bezwin­gen, zer­stö­ren, aus­schnei­den, weg­strah­len: Die Selbstra­di­ka­li­sie­rung der Satten

Ein erfolg­rei­cher ame­ri­ka­ni­scher Sport- und Poli­tik­mo­de­ra­tor bezeich­net poli­ti­sche Geg­ner als „Maden“, die er „ent­fer­nen“ wol­le. Ein Urge­stein der CDU bezeich­net die eige­nen Par­tei­freun­de als „Krebs­ge­schwür“, das zu ver­nich­ten sei. Woher kom­men die Ver­nich­tungs­phan­ta­sien der eigent­lich satu­rier­ten ehe­ma­li­gen respek­ta­blen Mitte?

Ich möch­te Ihnen einen neu­en Tief­punkt der poli­ti­schen Kul­tur nicht vor­ent­hal­ten. Das fol­gen­de Video ist ein Kom­men­tar von Keith Olber­mann, einem extrem erfolg­rei­chen Sport- und Nachrichtenjournalisten:

Hier ist mei­ne deut­sche Übersetzung:

Trump kann und muss aus­ge­löscht wer­den. Der Hass, der er aus­ge­löst hat, die Büch­se der Pan­do­ra, die er geöff­net hat, sie wer­den nicht so ein­fach zer­stört werden.

Also, machen wir uns bereit. Die Auf­ga­be ist eine zwei­fa­che: Der Ter­ro­rist Trump muss bezwun­gen wer­den, muss zer­stört wer­den, muss an den Wahl­ur­nen ver­schlun­gen wer­den, und dann müs­sen er und sei­ne Mög­lich­ma­cher und sei­ne Unter­stüt­zer und sei­ne Kol­la­bo­ra­teu­re, und die Mike Lees und die Wil­liam Barrs und die Sean Han­ni­tys und die Mike Pen­ces und die Rudy Giu­lia­nis und die Kyle Rit­ten­hou­ses und die Amy Coney Bar­retts ange­klagt und ver­ur­teilt und aus unse­rer Gesell­schaft ent­fernt wer­den, wäh­rend wir ver­su­chen, sie wie­der auf­zu­bau­en und die Welt wie­der auf­zu­bau­en, die Trump zer­stört hat, indem er sie einem Virus über­ge­ben hat.

Erin­nern Sie sich dar­an: Auch wäh­rend wir von einer Rück­kehr zur Wirk­lich­keit und Sicher­heit und zu dem Lan­de, für das unse­re Vor­vä­ter gestor­ben sind, träu­men, dass er Kampf sich nicht nur dar­um dreht, die Wahl zu gewin­nen, son­dern sie mit sol­chem Abstand zu gewin­nen, um – min­des­tens für den Augen­blick – Trump und die Maden von der Büh­ne zu ver­trei­ben und dann zu ver­su­chen, auf­zu­put­zen, was sie übrig­ge­las­sen haben.

Erin­nern Sie sich dar­an, auch wenn die­ses Erin­nern bedeu­tet, sich dar­an zu erin­nern, dass der Kampf nicht am Drit­ten Novem­ber vor­bei ist, son­dern in vie­ler­lei Wei­se erst an die­sem Tage anfan­gen wird.

Keith Olber­mann, 09.10.2020

Über eine Stun­de Mate­ri­al die­ser Art gibt es auf sei­nem You­Tube-Kanal.

Die Spra­che von den „Maden“, die er ver­trei­ben will (eigent­lich blüht denen ja schon man­gels Mobi­li­tät ein üble­res Schick­sal), ver­heißt Schlim­mes, wie auch die Benen­nung der Fein­de, die er offen­sicht­lich außer­halb der Gren­zen des Recht­staats ver­folgt sehen möch­te: Ein Sena­tor, ein Minis­ter, ein Fern­seh­mo­de­ra­tor, ein Vize­prä­si­dent, ein Bür­ger­meis­ter und Anwalt, und als Krö­nung ein Sieb­zehn­jäh­ri­ger, der mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit in Not­wehr gegen einen plau­si­bel töd­li­chen poli­tisch moti­vier­ten Über­fall auf Angrei­fer mit einer beweg­ten Ver­gan­gen­heit geschos­sen hat, dazu eine Rich­te­rin. Die Phan­ta­sie ist offen­bar die­je­ni­ge eines Straf­ge­richts gegen jeden, der irgend­wie mit Donald Trump oder der Repu­bli­ka­ni­schen Par­tei oder all­ge­mein mit kon­ser­va­ti­ven Posi­tio­nen in Ver­bin­dung gebracht wer­den kann, jeden­falls nicht begrenzt auf jus­ti­zia­ble Vergehen.

Natür­lich gibt es sol­che Ent­glei­sun­gen auch von Sei­ten der Rech­ten, aber nicht von Per­so­nen mit dem For­mat, dem Ein­fluss und der emp­fun­de­nen Serio­si­tät Olber­manns. Der Mann hat eine der erfolg­reichs­ten Sport­sen­dun­gen im ame­ri­ka­ni­schen Fern­se­hen mode­riert und acht Jah­re lang eine eige­ne Poli­tik­sen­dung bei einem gro­ßen Fern­seh­sen­der gehabt. Das ein­zi­ge, was sei­nen Erguss von einem direk­ten Auf­ruf zu sofor­ti­ger Gewalt unter­schei­det, ist der Wunsch, erst ein­mal die Wah­len zu gewin­nen, bevor die Rache los­geht, an Pro­mi­nen­ten genau­so wie an Jugend­li­chen, die zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort waren.

„Krebs­ge­schwür“: „Raus­schnei­den oder wegstrahlen“?

Nun ist die­se Ver­ro­hung einst­mals als jeden­falls bedingt seri­ös bekann­ter Per­sön­lich­kei­ten und Blät­ter aber kein rein ame­ri­ka­ni­schen Phä­no­men. Der Spie­gel titelt mit Bil­dern, deren Ähn­lich­keit der Bil­der­spra­che mit den­je­ni­gen im Stür­mer den Ver­ant­wort­li­chen eigent­lich schlecht ent­gan­gen sein kann. So blö­de sind die nicht.

Letz­ten Febru­ar hat das CDU-Urge­stein Elmar Brok es fer­tig­ge­bracht, im Fern­se­hen die Mit­glie­der der Wer­te-Uni­on, und damit sei­ne eige­nen ‚Par­tei­freun­de‘ als „Krebs­ge­schwür“ zu ver­un­glimp­fen. Da war alles dabei: „Kla­re Kan­te gegen Abweich­ler“, „sol­che Leu­te“ sei­en „wie ein Krebs­ge­schwür, so etwas muss man von vor­ne her­ein mit aller Rück­sichts­lo­sig­keit bekämp­fen, damit ein sol­ches Krebs­ge­schwür nicht in die Par­tei hin­ein­krie­chen kann.“ Auch auf die Nach­fra­ge, des Inter­view­part­ners, ob man das „Krebs­ge­schwür“ wirk­lich „raus­schnei­den oder weg­strah­len“ sol­le, hat Brok nicht die gol­de­ne Brü­cke genutzt, sei­ne Ent­glei­sung zu erken­nen und zu korrigieren:

Elmar Brok, Inter­view mit der Welt, 10.02.2020

Eine dies­be­züg­li­che Straf­an­zei­ge wegen Volks­ver­het­zung, all­die­weil die Meta­pher vom ‚Krebs­ge­schwür‘ in ihrer Bru­ta­li­tät und ihren Ver­nich­tungs­im­pli­ka­tio­nen sol­che wie ‚Unge­zie­fer‘ noch weit über­trifft, wur­de übri­gens von der zustän­di­gen Staats­an­walt­schaft ad acta gelegt. 

Ich will den genann­ten Per­so­nen und sol­chen, die ähn­li­che Aus­sa­gen machen, gar nicht unter­stel­len, dass sie mei­nen, was sie sagen. Es gibt Über­trei­bung und es gibt Meta­phern, kei­ne Fra­ge. Aber trotz­dem sind die Gren­zen der Men­schen­wür­de und des akzep­ta­blen Dis­kur­ses wohl doch spä­tes­tens dann über­schrit­ten, wenn poli­ti­sche Geg­ner „Maden“ und ein „Krebs­ge­schwür“ genannt wer­den, und zwar nicht als dahin­ge­wor­fe­ne Belei­di­gung wie wei­land die „Rat­ten und Schmeiß­flie­gen“, son­dern im Zusam­men­hang mit Phan­ta­sien ihrer Vernichtung.

Eine ver­spä­te­te fin de siècle-Stimmung

Das eigent­lich neue und erschre­cken­de an die­ser Ver­ro­hung ist aber nicht ihr Inhalt, son­dern ihre Quel­le. Das sind nicht geschei­ter­te Dorf­wir­te, die sich in ihrer Ver­zweif­lung dar­an klam­mern, dass sie als ‚Reichs­bür­ger‘ irgend­wie immun vor Zwangs­voll­stre­ckung wären, als hät­te es zur Kai­sers Zei­ten kei­ne Plei­ten gege­ben. Es sind auch nicht ver­krach­te Stu­den­ten oder Berufs­re­vo­luz­zer, die in irgend­wel­chen Löchern hau­sen und sich mit Hilfs­ar­bei­ten über Was­ser hal­ten. Nein, die neue Bru­ta­li­tät der Ansa­gen kommt von Per­so­nen, die nach ihrem Erfolg, ihrer Pro­mi­nenz, ihrem Ein­fluss, ihrem Kon­to­stand, und auch ihrem Lei­bes­um­fang und Lebens­al­ter allen Grund hät­ten, satt und zufrie­den zu sein, die auch ein­mal Bestand­teil der bür­ger­li­chen Mit­te waren.

Es scheint mir, als ob sich in der west­li­chen Welt kalen­da­risch ver­spä­tet eine fin de siè­cle-Stim­mung aus­brei­te, in der sich Men­schen, denen es eigent­lich her­vor­ra­gend geht, vor ihrem eige­nen Wohl­stand und letzt­lich sich selbst ekeln und lang­wei­len, sich Ängs­te vor Kli­ma- und sons­ti­gen Kata­stro­phen und zuge­hö­ri­ge Feind­bil­der mit Ver­nich­tungs- und End­kampf­phan­ta­sien im Kopf auf­bau­en, und sich wün­schen, dass ein­mal jemand rich­tig durch­grei­fe. Letz­tes Mal ging das nicht gut aus.

Ein Gedanke zu „Bezwin­gen, zer­stö­ren, aus­schnei­den, weg­strah­len: Die Selbstra­di­ka­li­sie­rung der Satten“

  1. „Dem Über­druss zum Opfer gefal­len bin ich schon so oft in mei­nem Leben.
    Immer sel­te­ner las­se ich mich glück­lich stim­men, immer öfter von Bana­li­tä­ten enttäuschen.
    Still­stand ist mein gröss­ter Feind. Damit ist die Unpro­duk­ti­vi­tät gemeint.
    Sie gibt mir das Gefühl, ein Nichts zu sein in die­sem ego­zen­tri­schen Uhrwerk,
    gestellt auf Erfolg, Life­style und Selbstinszenierung.
    Ich blei­be nie stehen!
    Zu viel Angst habe ich davor, in die Irrele­vanz, in die Unbe­deut­end­heit zu fallen…“
    (Gedicht „Über­druss“ von Can­sev Duru).
    Das Gedicht trifft es eigent­lich ganz gut. Die wesent­li­chen Wei­chen für unse­re west­li­chen Gesell­schaf­ten (in punc­to Demo­kra­tie, Wohl­stand, Frie­den) wur­den in der Ver­gan­gen­heit gestellt, von gros­sen Per­sön­lich­kei­ten. Das Ent­schei­den­de dabei ist: von ande­ren Menschen.
    Was bleibt also für die Leben­den zu tun? Wie sol­len sie bewei­sen, dass auch sie zu den „Gros­sen“ gehö­ren? Zu den­je­ni­gen fürs Geschichts­buch? Ent­we­der sie lösen gros­se Pro­ble­me, oder sie erfin­den wel­che, die sie dann lösen kön­nen. Wie kann denn ein ehr­gei­zi­ger Poli­ti­ker oder Intel­lek­tu­el­ler zuge­ben, dass er eigent­lich nichts zu tun hat? Dass sein Dasein bes­ten­falls das eines Ver­wal­ters von frü­her gefäll­ten Ent­schei­dun­gen sein kann? Wen soll das befriedigen?
    Fürs­ten hät­ten in frü­he­rer Zeit zum Mit­tel eines Erobe­rungs­krie­ges gegrif­fen. Ehr­gei­zi­ge Men­schen ertra­gen den grös­se­ren Ruhm der Väter nicht. Alex­an­der der Gros­se töte­te Kleit­os, weil der Phil­ipp von Make­do­ni­en, Alex­an­ders Vater, zu sehr lobte.
    Wenn in einem Betrieb der Chef wech­selt, baut der neue sich Denk­mä­ler. Er muss die Errun­gen­schaf­ten sei­nes Vor­gän­gers ein­reis­sen, egal, ob sie gut sind. Das Neue muss sei­nen per­sön­li­chen Stem­pel tra­gen. So wie ein Hund die Ecken in sei­ner Gegend mit sei­nem Urin markiert.
    In der Poli­tik kann man sich sei­ne eige­nen Auf­ga­ben schaf­fen: Man ret­tet jetzt die Erde, man will Unmo­ral und Dis­kri­mi­nie­rung jeder Art abschaf­fen. Wie­der ein gros­ser Gene­ral­plan für die Welt, wie frü­her der Kommunismus.
    Und die moder­nen Halb-Intel­lek­tu­el­len lau­fen der locken­den Chi­mä­re hin­ter­her. Ruhm, Ehre und Macht für das gequäl­te Ego winken.

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