Zwan­zig Jah­re Sind Genug

Prä­si­dent Biden ver­spricht den Abzug der ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen aus Afgha­ni­stan bis zum 11. Sep­tem­ber. Die Wahl des Datums ist bizarr, aber der Abzug war seit neun­zehn Jah­ren überfällig.

BLU-82 Daisy Cutter Fireball

In einem Fall erfreu­li­cher Kon­ti­nui­tät zwi­schen den Regie­run­gen Trump und Biden hat der ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent sich dar­auf fest­ge­legt, bis zum 11. Sep­tem­ber, dem zwan­zigs­ten Jah­res­tag der kriegs­aus­lö­sen­den Anschlä­ge, die ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen aus Afgha­ni­stan zurück­zu­zie­hen, was auch das Ende des deut­schen Man­dats in die­sem Land bedeu­ten dürfte.

Die Moti­va­ti­on für die ers­te Pha­se des Krie­ges direkt nach den Anschlä­gen war klar, berech­tigt, und fand die Zustim­mung und Mit­ar­beit einer brei­ten Staa­ten­ge­mein­schaft. Die damals in Afgha­ni­stan herr­schen­den Tali­ban boten Osa­ma bin Ladens al-Qai­da eine Ope­ra­ti­ons­ba­sis und Schutz als Gäs­te. Das konn­ten die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und die Staa­ten­ge­mein­schaft nicht hin­neh­men. Das aus die­sem Sach­ver­halt fol­gen­de Ziel nicht nur der Ent­mach­tung, son­dern der Bestra­fung oder Ver­nich­tung von al-Qai­da und Tali­ban wur­de im Wesent­li­chen schon nach star­ken zwei Mona­ten erreicht. Mit der Schlacht von Tora Bora im Dezem­ber, auch unter deut­scher Betei­li­gung, waren Qai­da und Tali­ban wesent­lich geschwächt und auch ein erheb­li­cher Blut­zoll von ihnen gefor­dert worden.

Ein Äqui­va­lent der Hunnenrede

Der ame­ri­ka­ni­sche Sän­ger Toby Keith setz­te die­ser ers­ten Pha­se des Krie­ges, die im Wesent­li­chen eine erfolg­rei­che Straf­ex­pe­di­ti­on war, ein musi­ka­li­sches Denk­mal in sei­nem Lied ‚Cour­te­sy Of The Red, White And Blue (The Angry Ame­ri­can)‘, wenn man so will ein musi­ka­li­sches Äqui­va­lent der Hun­nen­re­de Kai­ser Wil­helms II.:

Toby Keith: ‚Cour­te­sy Of The Red, White And Blue (The Angry American)‘

Das im Lied beschrie­be­ne gro­ße Feu­er­werk fand auch tat­säch­lich statt, zum Bei­spiel mit dem im Grun­de eher sym­bo­li­schen, aber trotz­dem nicht weni­ger spek­ta­ku­lä­ren Ein­satz der BLU-82 ‚Dai­sy Cut­ter‘, einer Bom­be, die so lächer­lich groß ist, dass sie nur von Trans­port­flug­zeu­gen ins Ziel gebracht wer­den kann, mit ent­spre­chen­dem Knalleffekt.

Damit stell­te sich aller­dings die Fra­ge, was man nach die­ser Erle­di­gung der Straf­ex­pe­di­ti­on machen wollte.

‚Krieg gegen den Terror‘

Einer­seits gab es von der ame­ri­ka­ni­schen Regie­rung die Vor­stel­lung des ‚Krie­ges gegen den Ter­ror.‘ Die sprach­li­che Schwam­mig­keit die­ses Begriffs kor­re­spon­diert mit der mili­tä­ri­schen Schwam­mig­keit. ‚Ter­ror‘ bedeu­tet ja ‚Schre­cken,‘ also eine dem Men­schen imma­nen­te Gefühls­er­re­gung, die sich noch weni­ger als ‚Dro­gen‘ und so wenig wie Wind­müh­len als Gegen­stand eines Krie­ges eig­net. Die Fähig­keit, Schre­cken zu emp­fin­den, ist dem Men­schen eigen, so dass der Krieg gegen den Schre­cken kein aus der Mis­si­on vor­ge­ge­be­nes begrenz­tes Ziel und kei­ne räum­li­che, zeit­li­che oder inhalt­li­che Beschrän­kung hat.

Aus die­ser Ent­grenzt­heit der Kriegs­zie­le ent­stan­den dann sol­che Kon­struk­te wie die von der Bush-Regie­rung ins Spiel gebrach­te Figur des Tali­ban als ‚unge­setz­li­chen Kom­bat­tan­ten‘, der kein eigent­li­cher Kriegs­teil­neh­mer, son­dern ledig­lich Objekt eines Feind­straf­rechts sei. Irgend­wann brach­te das aber kei­ne Satis­fak­ti­on mehr, son­dern die Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger und Son­der­tri­bu­na­le wur­den mehr zu einer Bür­de und zu einer Pein­lich­keit, ohne dass die Last des Schre­ckens wirk­lich von den Men­schen abfiel, was sie als Grund­kom­po­nen­te mensch­li­chen Emp­fin­dens auch nicht kann.

Brun­nen und Mädchenschulen

Ande­rer­seits gab es sowohl bei den Ame­ri­ka­nern als noch viel mehr bei deren euro­päi­schen Ver­bün­de­ten und ins­be­son­de­re bei den Deut­schen die Vor­stel­lung, in Afgha­ni­stan irgend­wie eine Nati­on auf­zu­bau­en, Frie­den zu schaf­fen, und, ger­ne betont, Frau­en­rech­te ein­zu­füh­ren. Anstatt zu sagen, dass der Ein­satz der Bestra­fung und Ver­nich­tung der Hin­ter­män­ner des 11. Sep­tem­ber und derer, die ihnen Schutz gewähr­ten, dien­te, stell­te man sich die deut­sche Mis­si­on so vor, dass da Brun­nen gebohrt und Mäd­chen­schu­len errich­tet wer­den sol­len. Es hat nicht nur in der Rück­schau eine gewis­se Lächer­lich­keit, dass es zu einem gro­ßen Auf­se­hen führ­te, als im Jah­re 2009, acht Jah­re nach Kriegs­ein­tritt, der deut­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter von und zu Gut­ten­berg davon sprach, dass er Sol­da­ten „ver­ste­he“, die sag­ten „das ist Krieg“, sel­ber aber lie­ber von „kriegs­ähn­li­chen Zustän­den“ sprach. 

Das Ziel eines Wie­der­auf­baus Afgha­ni­stans, wenn mög­lich als libe­ra­le Demo­kra­tie, war einer­seits unter den genann­ten drei Kriegs­zie­len das ein­zi­ge wirk­lich poli­ti­sche im Clausewitz’schen Sin­ne, dem Feind den eige­nen Wil­len auf­zu­zwin­gen. Bei der Straf­ex­pe­di­ti­on soll dem Feind Lei­den und Süh­ne auf­er­legt wer­den und ein ‚Krieg gegen den Ter­ror‘ ist schon dem Wort nach eine Art Selbst­psy­cho­the­ra­pie, wäh­rend der Wunsch, dass in Afgha­ni­stan eine bestimm­te Gesell­schafts­ord­nung herr­schen möge, ein genu­in poli­ti­scher ist.

Gleich­zei­tig war die­ses poli­ti­sche Ziel aber voll­kom­men naiv und mit den begrenz­ten Kräf­ten, auch dem begrenz­ten Herr­schafts­an­spruch der west­li­chen Kräf­te, nicht zu errei­chen. Die Pro­ble­me der afgha­ni­schen Gesell­schaft saßen und sit­zen tief, der dor­ti­ge Bür­ger­krieg dau­er­te zum Zeit­punkt des west­li­chen Kriegs­ein­tritts bereits zwei Jahr­zehn­te, und es sind bereits die Sowjet­rus­sen mit einer viel grö­ße­ren Trup­pen­stär­ke, viel grö­ße­rer Bereit­schaft, ihre Sol­da­ten zu opfern, und viel gerin­ge­ren mora­li­schen Beiß­hem­mun­gen dar­an geschei­tert, da eine neue gesell­schaft­li­che Ord­nung ein­zu­füh­ren. Es war von daher abso­lut nicht abzu­se­hen, wie eine Prä­senz von eini­gen zehn­tau­send west­li­chen Trup­pen das errei­chen soll­te, und man kann in die­sem Plan wohl nur eine maß­lo­se Über­schät­zung der Strahl­kraft west­li­cher Ideen sehen.

Drei­tau­send­fünf­hun­dert Tote und Nichts Erreicht

Trotz oder viel­mehr wegen der Abwe­sen­heit eines rea­lis­ti­schen Kriegs­ziels kam es dann unter der Oba­ma-Regie­rung zum ’sur­ge‘, also ‚Schwall‘, einer erheb­li­chen Auf­sto­ckung der Trup­pen auf bis zu 140.000 anwe­sen­de aus­län­di­sche Trup­pen, was aber in Bezug auf das Kriegs­ziel der Ein­füh­rung einer neu­en Gesell­schafts­ord­nung immer noch unplau­si­bel wenig war. Damit stie­gen auch die Ver­lus­te der west­li­chen Trup­pen mas­siv an, von zwei­stel­li­gen Zah­len wäh­rend der Pha­se der Straf­ex­pe­di­ti­on auf 710 im Jah­re 2010, ohne dass wirk­li­che Erfol­ge sicht­bar wur­den. Auch Prä­si­dent Oba­mas Kon­zen­tra­ti­on auf den Ein­satz von Droh­nen und Spe­zi­al­ein­hei­ten änder­te dar­an nichts, außer dass die Zahl der eige­nen Ver­lus­te immer­hin wie­der sank.

In der Abwe­sen­heit einer plau­si­blen Stra­te­gie wur­de aus Afgha­ni­stan Ame­ri­kas am längs­ten wäh­ren­der Krieg. Ein ame­ri­ka­ni­scher Berufs­sol­dat muss zwan­zig Jah­re die­nen, bis er sich eine Pen­si­on ver­dient hat und in den Ruhe­stand gehen kann, so dass die­ser Krieg ein gan­zes Berufs­sol­da­ten­le­ben aus­fül­len konn­te. Gleich­zei­tig die­nen heu­te jun­ge Män­ner und auch Frau­en in Afgha­ni­stan, die zum Zeit­punkt der Anschlä­ge vom 11. Sep­tem­ber noch nicht ein­mal gebo­ren waren. Erreicht wur­de seit­dem nichts, die Lage ent­spricht wesent­lich der nach dem Abschluss der ursprüng­li­chen Pha­se der Straf­ex­pe­di­ti­on. Zwi­schen­zeit­lich lie­ßen bis­her 3.562 Sol­da­ten der Koali­ti­on, dar­un­ter 57 Deut­sche, in Afgha­ni­stan ihr Leben, mit einer wesent­lich grö­ße­ren Zahl von an Leib und See­le geschä­dig­ten Sol­da­ten und auch Ange­hö­ri­gen. Dazu kom­men mehr als zwei Bil­lio­nen Dol­lar Kos­ten allei­ne auf ame­ri­ka­ni­scher Sei­te wäh­rend das afgha­ni­sche Brut­to­in­lands­pro­dukt bei unge­fähr zwan­zig Mil­li­ar­den liegt–die Ame­ri­ka­ner haben sich den Krieg in Afgha­ni­stan also das Hun­dert­fa­che der dor­ti­gen jähr­li­chen Wirt­schafts­leis­tung kos­ten las­sen, eine Sum­me, von der man sich gutes Betra­gen ver­mut­lich auch hät­te kau­fen können.

Ein mög­lichst schnel­ler Abzug aus Afgha­ni­stan ist jetzt natür­lich ein Ein­ge­ständ­nis des Schei­terns, und es gibt immer noch Fal­ken wie Sena­tor Mitch McCon­nell, der Prä­si­dent Bidens Abzug damit bezeich­net hat, „das Land [Afgha­ni­stan] in Geschenk­pa­pier zu ver­pa­cken und ihnen [den Tali­ban] zurück­zu­ge­ben“. McCon­nell hat sicher recht damit, dass aus­ge­rech­net der 11. Sep­tem­ber als Jah­res­tag für den Stich­tag „bizarr“ sei. Es kann sein, dass Biden aus irgend­wel­chen Grün­den mehr Zeit braucht als Prä­si­dent Trumps Stich­da­tum im Mai, aber die Sym­bo­lik, das Schei­tern aus­ge­rech­net auf den Jah­res­tag der Anschlä­ge zu legen, ist schwer ver­ständ­lich. Der Abzug aber war über­fäl­lig, eigent­lich schon seit neun­zehn Jah­ren. Iro­ni­scher­wei­se war es gera­de die Hybris der zu gro­ßen poli­ti­schen und huma­ni­tä­ren Mis­si­on, die auf die Straf­ex­pe­di­ti­on fol­gen soll­te, wel­che das Lei­den um vie­le Jah­re und vie­le Tote ver­län­gert hat, ohne aber, und das im Gegen­satz zur mili­tä­risch plau­si­blen und erfolg­rei­chen Straf­ex­pe­di­ti­on, ihr Ziel errei­chen zu können.

Bild: Explo­si­on einer BLU-82. U.S. Air Force photo/Capt. Patrick Nichols

2 Gedanken zu „Zwan­zig Jah­re Sind Genug“

  1. Sehr gut beschrie­ben, wie aus einer poli­zei­ähn­li­chen Straf­ak­ti­on ein aus­sichts­lo­ser Umer­zie­hungs­krieg wurde.

    Schnell rein, schnell raus – das wär’s gewsen.

  2. Dan­ke für die sehr gute Ana­ly­se. Sie wäre jedem Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten zu empfehlen!
    Für noch tie­fe­ren Ein­stieg in Ent­wick­lung und Hin­ter­grün­de des Krie­ges in Afgha­ni­stan eig­net sich das Buch
    „America’s Secret War“ von Georg Friedman.

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