Auf die Knie!

Letz­te Woche haben sich gleich zwei west­li­che Regie­rungs­chefs in voll­kom­men zügel­lo­sen Gewalt­phan­ta­sien gelabt. Der nie­der­län­di­sche Minis­ter­prä­si­dent Rut­te will die Nati­on der Ungarn „in die Knie zwin­gen“ und Prä­si­dent Biden fabu­liert von einem nukle­ar aus­ge­tra­ge­nen Bürgerkrieg.

Die meis­ten Bewe­gun­gen zur Mensch­heits­ver­bes­se­rung kom­men mit dem Ver­spre­chen des Frie­dens. Spä­tes­tens seit 1945 las­sen sich offen­sicht­lich aggres­siv krie­ge­ri­sche Pro­gram­me nicht mehr als Gut­men­schen­tum ver­kau­fen. Statt­des­sen singt man davon, dass das wei­che Was­ser den har­ten Stein höh­le. Umso erschreck­li­cher wirkt es, wenn sich die Mäch­ti­gen ver­plap­pern und in voll­kom­men unge­zü­gel­te Gewalt- und Unter­wer­fungs­phan­ta­sien ver­fal­len. Davon sahen wir letz­te Woche gleich zwei Bei­spie­le völ­lig ent­gleis­ter Regie­rungs­chefs, die einem zu Den­ken geben sollten.

„Ungarn in die Knie zwingen“

Der nie­der­län­di­sche Minis­ter­prä­si­dent Mark Rut­te hat ver­kün­det: „Wir wol­len Ungarn in die Knie zwin­gen.“ Bei die­ser Spra­che fällt die Beru­fung auf die Euro­päi­sche Uni­on als „Wer­te­ge­mein­schaft“ in ein bedroh­li­ches Licht, irgend­wo zwi­schen die Sach­sen­krie­ge Karls des Gro­ßen, die ja auch eine Wer­te­ge­mein­schaft her­stel­len woll­ten, und die „Zer­schla­gung der Rest­tsche­chei“ als Stör­kör­per in der neu­en mit­tel­eu­ro­päi­schen Wertegemeinschaft.

„In die Knie zwin­gen“ drückt kei­nen Wunsch aus, jeman­den zu über­zeu­gen, durch Argu­men­te oder indem man ihm Wer­te vor­lebt, son­dern den nach bedin­gungs­lo­ser Unter­wer­fung, die plau­si­bel nur mit Gewalt zu errei­chen ist. In die Knie zwingt ein gewalt­tä­ti­ger Ehe­mann sei­ne Frau oder ein Erobe­rer die Zivil­be­völ­ke­rung des erober­ten Lan­des. Die Ungarn im Spe­zi­el­len haben von 1956 noch leb­haf­te Erin­ne­run­gen dar­an, wie es ist, in die Knie gezwun­gen und in eine Wer­te­ge­mein­schaft inte­griert zu wer­den, und sie wün­schen aus guten Grün­den kei­ne Wiederholung.

„Unsitt­li­che“ Inhal­te auch in Deutsch­land auf dem Index

Der Stein des Ansto­ßes soll nun ein Jugend­schutz­ge­setz in Ungarn sein, das die geschlecht­li­che Ent­wick­lung Min­der­jäh­ri­ger schüt­zen will, indem es die posi­ti­ve Dar­stel­lung von sexu­el­len Hand­lun­gen als Selbst­zweck, Geschlechts­um­wand­lun­gen und Homo­se­xua­li­tät gegen­über Min­der­jäh­ri­gen ein­schränkt, bei­spiels­wei­se im Fern­se­hen erst in der Nacht erlaubt, zusam­men mit Straf­ver­schär­fun­gen für sexu­el­le Ver­ge­hen an Min­der­jäh­ri­gen. Ange­fan­gen hat die Sache übri­gens mit einem Pädo­phi­lie-Skan­dal des dama­li­gen unga­ri­schen Bot­schaf­ters in Peru.

Man kann die­ses Gesetz aus guten Grün­den lächer­lich fin­den, aber dabei soll­te man nicht ver­ges­sen, dass auch der deut­sche angeb­li­che Jugend­schutz weit­ge­hen­de Ein­schrän­kun­gen für angeb­lich jugend­ge­fähr­den­de Inhal­te vor­sieht, und zwar nicht nur gegen­über Jugend­li­chen, son­dern auch in Bezug auf Erwach­se­ne, denen gegen­über indi­zier­te Inhal­te nicht bewor­ben oder frei zugäng­lich gemacht wer­den dür­fen. Dabei nennt §18 Jugend­schutz­ge­setz als eine zu indi­zie­ren­de Kate­go­rie „unsitt­li­che“ Inhal­te, was brei­ter wohl kaum gefasst sein könn­te. Dem fie­len bekann­ter­ma­ßen schon aus heu­ti­ger Sicht völ­lig harm­lo­se Bra­vo-Hef­te mit Arti­keln zur Selbst­be­frie­di­gung zum Opfer, genau­so offen­sicht­li­che Blö­del-Tex­te der Ärz­te auf Karl-Dall-Niveau, aber auch bedeu­ten­de Film­klas­si­ker, die man bis heu­te offi­zi­ell in Deutsch­land so ein­fach nicht sehen kann, jeden­falls nicht ungekürzt.

Es geht um Macht, nicht um Freiheit

Gin­ge es um Ein­schrän­kun­gen der Rede- und Kunst­frei­heit im Namen des Jugend­schut­zes, dann könn­te man weit­aus über­zeu­gen­der den Ungarn mit gutem Bei­spiel vor­an­ge­hen und anti­quer­te Geset­ze im eige­nen Land auf­räu­men, statt die Ungarn „in die Knie zwin­gen“ zu wol­len. Man könn­te auch davon abse­hen, immer neue und noch vor kur­zem undenk­ba­re Geset­ze zur schär­fe­ren „Netz­werk­durch­set­zung“ zu beschlie­ßen oder einen rie­si­gen Appa­rat von poli­tisch abhän­gi­gen Staats­me­di­en zu unterhalten.

Es geht aber nicht um Rede‑, Mei­nungs- oder Kunst­frei­heit, letzt­lich auch nicht um die Frei­hei­ten noch so abstru­ser Ent­fal­tun­gen der mensch­li­chen Sexua­li­tät. Es geht dar­um, Abweich­ler in die Knie zu zwingen.

Die Unter­wer­fung ist das eigent­li­che Ziel der Sache, und das liegt schon im Gen­der-Pro­gramm sel­ber ange­legt. Kein Mensch, egal was sei­ne Ansich­ten zu irgend­et­was sind, wür­de anläss­lich einer Bür­ger­meis­ter­wahl von „Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen“ schrei­ben oder sich drei­mal wäh­rend der Aus­spra­che die­ses Unge­tüms ver­schlu­cken. Wer es tut, der unter­wirft sich, er grüßt den Gess­ler­hut. Der eine tut es mit der erwar­te­ten fre­ne­ti­schen Begeis­te­rung, der ande­re aus Angst. Kein Mensch wür­de gleich­zei­tig mehr För­de­rung des Frau­en­sports ver­lan­gen und dann, dass bio­lo­gi­sche Män­ner mit dem Hor­mon­haus­halt von Män­nern als Frau­en antre­ten dür­fen, was offen­sicht­lich min­des­tens in Kraft­dis­zi­pli­nen das Ende jeder Sieg­chan­cen für Frau­en bedeu­tet. Auch hier geht es nicht um die sinn­vol­le Gestal­tung von Sport­wett­be­wer­ben, son­dern um die Unter­wer­fung durch gedan­ken­lo­ses Nach­schnat­tern als solche.

Nuklea­re Machtmöglichkeiten

Mark Rut­te hat sich nun inso­fern ver­spro­chen, als dass er die nor­ma­ler­wei­se nur impli­zi­te und in Regen­bo­gen­far­ben ver­klei­de­te For­de­rung nach bedin­gungs­lo­ser Unter­wer­fung expli­zit gemacht hat. Er hat eine Spra­che ver­wen­det, die im Umgang unter den Natio­nen Euro­pas eigent­lich aus gutem Grund außer Gebrauch gekom­men ist, auch wenn Peer Stein­brück bekann­ter­ma­ßen den eid­ge­nös­si­schen „India­nern“ mit der „Kaval­le­rie“ gedroht hat. Die For­de­rung nach der tota­len Unter­wer­fung einer ande­ren Nati­on, die bit­te „in die Knie“ gezwun­gen wer­den soll­te, wäre zu jeder ande­ren Zeit als Kriegs­dro­hung ver­stan­den wor­den, wird nur des­halb nicht so ver­stan­den, weil die Mög­lich­kei­ten Herrn Rut­tes klei­ner sind als sei­ne Wut.

Ganz ande­re und bedroh­li­che­re Macht­mög­lich­kei­ten hat natür­lich der ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent, und Joe Biden hat letz­te Woche mit denen zuge­langt. Anläss­lich der Ver­kün­dung einer ‚Stra­te­gie zur Kri­mi­na­li­täts­prä­ven­ti­on‘ erklär­te er:

Die­je­ni­gen, die sagen, das Blut der Frei… – „das Blut der Patrio­ten“, Sie wis­sen, und all das Zeug dar­über, wie wir uns gegen die Regie­rung stel­len müss­ten. Nun, der Baum der Frei­heit wird nicht mit dem Blut von Patrio­ten gegos­sen. Was pas­siert ist, ist, dass es nie gege­ben hat – wenn Sie woll­ten oder wenn Sie däch­ten, dass sie Waf­fen bräuch­ten, um sich gegen die Regie­rung zu stel­len, dann bräuch­ten Sie F‑15 und viel­leicht eini­ge Kernwaffen.

Prä­si­dent Biden, Rede vom 23.06.2021

Die ame­ri­ka­ni­sche Ver­fas­sung sieht das bekann­ter­ma­ßen anders und erklärt die Miliz, also die Gesamt­heit der Bür­ger mit ihren eige­nen Waf­fen, als kate­go­risch „not­wen­dig für die Sicher­heit eines frei­en Staa­tes“, wes­we­gen „das Recht des Vol­kes, Waf­fen zu besit­zen und zu füh­ren, nicht ver­letzt wer­den darf.“ Würt­tem­berg hat­te übri­gens bis 1918 eine ähn­li­che, wenn auch schwam­mi­ge­re, Ver­fas­sungs­vor­schrift mit jahr­hun­der­te­al­ter Tra­di­ti­on. Die von Biden ver­nein­te For­mu­lie­rung, dass der Baum der Frei­heit von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten—und, von Biden weg­ge­las­sen, mit dem der Tyrannen—gewässert wer­den müs­se, stammt von kei­nem Gerin­ge­ren als Tho­mas Jef­fer­son, immer­hin einer der bedeu­tends­ten Grün­der­vä­ter der ame­ri­ka­ni­schen Repu­blik und Vor­gän­ger Bidens in sei­nem Amt.

Die Bom­be hilft nicht gegen die Miliz

Wenn man Prä­si­dent Biden mit sei­nen abge­hack­ten Sät­zen über­haupt ernst­neh­men will, dann soll­ten einen sei­ne Aus­füh­run­gen erschre­cken. Offen­bar kann er sich vor­stel­len, dass in einem Bür­ger­krieg, in dem sich die Mehr­heit des Vol­kes einer dik­ta­to­risch gewor­de­nen Regie­rung ent­le­di­gen woll­te, Kern­waf­fen zum Ein­satz kämen, logi­scher­wei­se von Sei­ten der Regie­rung, min­des­tens jeden­falls Jagd­bom­ber in einem kriegs­ent­schei­den­den Aus­maß. Das ist eine Vernichtungsphantasie.

Eine Miliz kämpft nicht in geschlos­se­nen Ver­bän­den, son­dern locker auf­ge­stellt. Klas­sisch ist das Bei­spiel des Gefechts von Lex­ing­ton und Con­cord, des ers­ten Schuss­wech­sels der ame­ri­ka­ni­schen Revo­lu­ti­on, das mit einer Such­ak­ti­on der regu­lä­ren Armee nach Waf­fen der Miliz anfing und mit dem Abzug der Regu­lä­ren in dem berühm­ten Ring aus Feu­er ende­te. Die Anzahl und Stär­ke von Kern­waf­fen, die man zur Bekämp­fung von sehr locke­ren Infan­te­rie­ver­bän­den benö­tig­te, und die dabei zwang­läu­fi­gen Ver­hee­run­gen wären so extrem außer­halb jedes Pro­por­zes zwi­schen mili­tä­ri­scher Wir­kung und Kol­la­te­ral­schä­den, dass man das nur als Aus­rot­tungs­krieg gegen die Zivil­be­völ­ke­rung ver­ste­hen könnte.

Mit der Ver­füg­bar­keit von Prä­zi­si­ons­mu­ni­ti­on haben tak­ti­sche Kern­waf­fen ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung auch gegen här­te­re Zie­le als ver­streu­te Jäger oder Mili­zen wie Bun­ker oder Pan­zer­ver­bän­de weit­ge­hend ver­lo­ren. Dass eine mas­si­ve Über­le­gen­heit in extrem schwe­ren Waf­fen kei­ne Bür­ger­krie­ge oder ande­re nied­rig­schwel­li­ge Kon­flik­te ent­schei­det, sah man nicht zuletzt von Viet­nam bis hin zu Afgha­ni­stan und Irak. Die Vor­stel­lung, damit einen Bür­ger­krieg im eige­nen Land gewin­nen zu wol­len, ist nach­ge­ra­de absurd, es sei denn, eben mit der stra­te­gi­schen Ver­wen­dung gegen die Zivil­be­völ­ke­rung, so dass es für die Gegen­par­tei, aber auch für die Regie­rung, nichts mehr zu gewin­nen gäbe.

Klas­si­ker der unfrei­wil­li­gen Komik

Nun kann man Joe Biden nicht immer ernst­neh­men. Sei­ne Aus­füh­run­gen zu Waf­fen und deren Wir­kung sind teil­wei­se bekann­te Klas­si­ker der unfrei­wil­li­gen Komik. Als Vize­prä­si­dent hat er ein­mal vor­ge­schla­gen, man sol­le sich zum Selbst­schutz statt eines Kara­bi­ners lie­ber eine Flin­te kau­fen. Das mag je nach Situa­ti­on, in der man lebt, sogar plau­si­bel sein, ist doch eine Ladung Sau­pos­ten durch­aus in der Wir­kung mit einer Sal­ve aus der Maschi­nen­pis­to­le vergleichbar.

Wirk­lich bemer­kens­wert war aber, wie man die Flin­te sei­ner Mei­nung nach anwen­den sol­le. Er will näm­lich sei­ner Frau gesagt haben: „Jill, wenn es je ein Pro­blem gibt, lauf ein­fach auf den Bal­kon raus, lauf raus, nimm die dop­pel­läu­fi­ge Flin­te, und feue­re zwei Stö­ße ab, außer­halb des Hau­ses.“ Tak­tisch geht es kaum düm­mer, als sich auf den Bal­kon zu manö­vrie­ren; es wäre grob fahr­läs­sig, ein­fach wild in die Gegend zu feu­ern; und wenn man wie die Bidens damals Per­so­nen­schüt­zer drau­ßen hat, dann wür­de das an Selbst­mord­ab­sicht gren­zen. Ob Biden das tat­säch­lich wie er es erzähl­te zu sei­ner Frau gesagt hat, wis­sen wir nicht, aber sei­ne Phan­ta­sien von Gewalt­an­wen­dung sind offen­bar nicht wirk­lich in der Rea­li­tät gegründet.

Schlech­tes Zei­chen der Macht- und Unterwerfungsphantasien

Nimmt man also Prä­si­dent Biden ernst, dann ist es inner­halb sei­nes Vor­stel­lungs­ho­ri­zon­tes, dass ein Bür­ger­krieg von einer dik­ta­to­ri­schen Regie­rung mit­tels Ver­nich­tung der Zivil­be­völ­ke­rung aus­ge­tra­gen wer­den könn­te. Nimmt man ihn, ver­mut­lich rea­lis­ti­scher, nicht ernst, dann hat man einen Mann mit dem Atom­köf­fer­chen, der wir­res Zeug nicht nur zu Flin­ten, son­dern zu Atom­waf­fen quatscht, was auch nicht gera­de beru­hi­gend ist.

Was Biden wirk­lich sagen woll­te, ist ver­mut­lich aber etwas ande­res, und letzt­lich das Glei­che, was Mark Rut­te sagen woll­te: Das Ziel ist Unter­wer­fung, und an Wider­stand sol­le man bes­ser nicht den­ken. Minis­ter­prä­si­dent Rut­te wird nicht mit einem neu­en Dutch­bat in einem Kreuz­zug unter der Regen­bo­gen­flag­ge in Ungarn ein­fal­len, und Prä­si­dent Biden wird nicht die Haupt­städ­te kon­ser­va­ti­ver Bun­des­sta­ten dem Erd­bo­den gleich­ma­chen. Es ist aber ein schlech­tes Zei­chen der Macht- und Unter­wer­fungs­phan­ta­sien unse­rer Zeit, dass so gear­te­te Vor­stel­lun­gen zwei amtie­ren­den Regie­rungs­chefs auch nur als blö­de Bemer­kun­gen herausrutschen.