Let’s go Brandon!

Ein Ruf geht durch Ame­ri­ka: „Let’s go Bran­don!“ Aber wer ist Bran­don, und war­um wird das geru­fen, wo gar kein Bran­don anwe­send ist? Eine Geschich­te von Volks­zorn und Selbst­zen­sur der Medien.

[Die­ser Arti­kel wur­de am 22. Okto­ber geschrie­ben, und ich bin lei­der nicht dazu gekom­men, ihn zei­ti­ger hier einzustellen.]

In Ame­ri­ka hat das Lied ‚Let’s Go Bran­don‘ des Rap­pers Loza Alex­an­der auf Platz Eins der Ver­käu­fe auf iTu­nes geschafft. Im öffent­lich-recht­li­chen Qua­li­täts­sen­der auf dem Weg zur Arbeit haben Sie das noch nicht gehört? Das hat sei­ne Grün­de, denn die Geschich­te hin­ter dem Lied ist gera­de eine der Ver­lo­gen­heit der Medien.

„F*ck Joe Biden!“

Um die Geschich­te zu erklä­ren, muss ich drei Wochen zurück­grei­fen, zu einem NAS­CAR-Auto­rennen am 2. Okto­ber auf dem Tal­la­de­ga Super­speed­way in Ala­ba­ma, der eigent­lich vor­ran­gig für einen ihm nach­ge­sag­ten Fluch bekannt ist, nahe der Stadt Tal­la­de­ga in Ala­ba­ma, die für eigent­lich nichts außer der Renn­stre­cke bekannt ist. Gewon­nen hat das Ren­nen Bran­don Brown. Der wur­de dann von der Repor­te­rin Kel­li Sta­vast von NBC inter­viewt. Soweit alles nichts Außergewöhnliches.

Wäh­rend des Inter­views ertön­te aller­dings ein unüber­hör­ba­rer Sprech­chor von der Tri­bü­ne des Publi­kums: „F*ck Joe Biden! F*uck Joe Biden!“ immer und immer wie­der, im Chor und in für mög­li­cher­wei­se nicht voll­kom­men nüch­ter­ne Sport­fans unge­wöhn­lich kla­rer Aus­spra­che. Die woll­ten gehört wer­den, wenn ihnen sonst kei­ner zuhört.

Wäh­rend der glück­li­che Gewin­ner Bran­don Brown die übli­chen Glücks­ge­füh­le glück­li­cher Gewin­ner kom­mu­ni­zier­te, erwähn­te die Repor­te­rin auf eigen­tüm­li­che Wei­se die Rufe der Zuschau­er, nach­dem vor­her die Kame­ra auf sie geschwenkt hat­te: „wie Du hier die Rufe des Publi­kums hören kannst [Pau­se, Ruf des Publi­kums „F*ck Joe Biden!“] ‚Let’s go Brandon!‘“

„Let’s go Brandon!“

Die Pau­se zwi­schen der Erwäh­nung der Rufe, einer Wie­der­ho­lung des Rufes „F*ck Joe Biden!“ durch das Publi­kum, und dann der bowd­le­ri­sier­ten Wie­der­ho­lung „Let’s go Bran­don!“ durch Kel­li Sta­vast wirkt fast schon cho­reo­gra­phiert.  Sehen Sie es sich selbst an.

Es scheint unwahr­schein­lich, dass Sta­vast die Rufe wirk­lich falsch gehört hat. Dazu waren sie zu klar und zu ein­stim­mig, auch wenn „go“ und „Joe“ und „Bran­don“ und „Biden“ eine gewis­se Ähn­lich­keit haben. Sie hat schnell reagiert, und ob sie die Rufe den Zuschau­ern weg­er­klä­ren woll­te, iro­nisch und ohne für das Kabel­fern­se­hen ver­bo­te­ne Spra­che die Rufe auf­neh­men woll­te, oder Eltern eine begrenzt glaub­wür­di­ge Erklä­rung der Rufe für die Kin­der geben woll­te, wir wis­sen es nicht. Jeden­falls ver­brei­te­te sich die Sze­ne wie ein Lauf­feu­er durch die sozia­len Medien.

Egal was Kel­li Sta­vasts Moti­va­ti­on wirk­lich war, die­ses Inter­view kon­den­siert in weni­gen Sekun­den einen Ein­druck, den immer mehr Men­schen von den Mas­sen­me­di­en schon län­ger gewon­nen haben. Sie lügen nicht nur, sie stö­ren sich auch nicht dar­an, dass im glei­chen Fern­seh­bild offen­sicht­lich ist, dass sie lügen; sie stö­ren sich nicht dar­an, dass die Zuschau­er wis­sen, dass sie lügen; sie stö­ren sich auch nicht dar­an, dass die Zuschau­er wis­sen, dass sie wis­sen, dass die Zuschau­er wis­sen, dass sie lügen.

‚Der Scherz‘

Vie­le Kom­men­ta­to­ren fühl­ten sich von die­sen Bil­dern an die Bericht­erstat­tung aus 2020 erin­nert, als Fern­seh­kom­men­ta­to­ren vor bren­nen­den Gebäu­den von den „fried­li­chen Pro­tes­ten“ der BLM-Bewe­gung spra­chen, z.B. Ali Vel­shi, der vor einem bren­nen­den Poli­zei­re­vier sag­te: „Ich möch­te klar dar­in sein, wie ich das bezeich­ne. Das ist haupt­säch­lich ein Pro­test. Es ist all­ge­mein gespro­chen nicht unbän­dig, aber Feu­er wur­den gelegt.“ CNN sprach in einer berühmt gewor­de­nen Bild­un­ter­schrift von „feu­ri­gen, aber haupt­säch­lich fried­li­chen Protesten.“

Aus euro­päi­scher Sicht fühlt man sich da weni­ger an die fre­ne­ti­schen Durch­hal­te­re­den eine Joseph Goeb­bels und den dama­li­gen Ter­ror gegen Anders­den­ken­de erin­nert, son­dern viel­mehr an die Spät­pha­se des real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus, als es den Macht­ha­bern und ihren Sprach­roh­ren im Grun­de schon egal war, dass alle wuss­ten, dass sie lügen. Nicht der Volks­emp­fän­ger, auch nicht der humor­lo­se Fana­tis­mus des ‚Schwar­zen Kanals‘, son­dern die ‚Aktu­el­le Kame­ra‘ scheint das Vor­bild der heu­ti­gen Mas­sen­me­di­en zu sein, im Unter­schied zu damals aller­dings ohne, dass es dazu staat­li­chen Zwangs auch nur bedürf­te, und bis­wei­len mit bes­ser aus­se­hen­den Jour­na­lis­ten. Für eine lite­ra­ri­sche Auf­ar­bei­tung des zuge­hö­ri­gen Lebens­ge­fühls aus einer Zeit, als der Zwang schon noch benö­tigt wur­de, emp­feh­le ich Ihnen Milan Kun­de­ras sehr lesens­wer­tes Buch ‚Der Scherz‘.

Grö­ße­re Ableh­nung für Biden für als jeden außer Trump

Zurück zu „Let’s go, Bran­don!“ Die­ser vor­geb­li­che Anfeue­rungs­ruf wur­de in kür­zes­ter Zeit zum geflü­gel­ten Wort. Stu­den­ten rufen den Satz wäh­rend der Foot­ball­spie­le ihrer Uni­ver­si­tät, voll­kom­men unab­hän­gig davon, ob ein Bran­don auf einer gera­de ent­schei­den­den Spiel­po­si­ti­on oder über­haupt in ihrem Team spielt. Geschäfts­tüch­ti­ge Men­schen brach­ten in Win­des­ei­le T‑Shirts mit dem Satz auf den Markt. Und min­des­tens zwei musi­ka­lisch eher mäßig begab­te Rap­per, Loza Alex­an­der und For­gi­a­to Blow, spran­gen auf den Zug auf und ver­wurs­te­ten das Inter­view und den Ruf in Lie­dern, nicht ganz unähn­lich Ste­fan Raabs ‚Gebt das Hanf frei!‘ und ‚ Ho Mir Ma Ne Fla­sche Bier,‘ aber eben nicht die Aus­ru­fe der Poli­ti­ker, son­dern die des Vol­kes auf­grei­fend. Zumin­dest Loza Alex­an­der dürf­te mit sei­ner zeit­wei­li­gen Num­mer Eins damit erheb­li­chen wirt­schaft­li­chen Erfolg ver­bu­chen können.

Mitt­ler­wei­se ist der ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent Joe Biden mit sei­nen Zustim­mungs­wer­ten bei 50% Ableh­nung und 44% Zustim­mung ange­kom­men, schlech­ter als jeder Prä­si­dent zu die­sem Zeit­punkt sei­ner Amts­zeit seit Anfang der Umfra­gen mit Aus­nah­me Donald Trumps und gleich­auf mit Gerald Ford. Im Gegen­satz zu Trumps selbst­schä­di­gen­den nächt­li­chen Akti­vi­tä­ten auf Twit­ter hat Biden das hin­be­kom­men, ohne dafür viel zu tun. Das Skan­die­ren ver­klau­su­lier­ter Unflä­tig­kei­ten ist ohne Fra­ge nicht die bes­te Form der Aus­ein­an­der­set­zung mit Poli­tik und Medi­en, aber immer­hin: Sie wis­sen, dass wir wis­sen, dass sie wis­sen, dass wir wis­sen, dass sie lügen. In die­sem Sin­ne pro­bie­ren Sie es doch mal, alle zusam­men: „Let’s go Brandon!“