Über­an­ge­passt: Die patho­lo­gi­sche Wissenschaft

In der Sci­ence erschien ein Arti­kel, der mit einem kom­ple­xen mathe­ma­ti­schen Ver­fah­ren die Ver­än­de­rung der Aus­brei­tungs­dy­na­mik von SARS-CoV‑2 abschätzt. Er kommt zu dem Ergeb­nis, dass die Kon­takt­sper­re eine wesent­li­che Wir­kung gehabt habe, und emp­fiehlt Vor­sicht bei der Locke­rung der „Maß­nah­men“. Das wur­de auch gleich von der Wis­sen­schafts­re­dak­ti­on der FAZ auf­ge­schnappt. Lei­der begeht der Arti­kel mit der Ver­wen­dung eines so kom­ple­xen Modells mit zahl­rei­chen Varia­blen bei einer sehr gerin­gen Daten­ba­sis von zwei Mona­ten täg­li­cher Beob­ach­tun­gen den klas­si­schen Sta­tis­tik­feh­ler der Über­an­pas­sung. Das führt dazu, dass das Ergeb­nis nicht von den Daten bestimmt wird, son­dern von den Annah­men der Autoren. Ein astro­lo­gi­sches Modell wür­de genau­so über­zeu­gend wir­ken­de Ergeb­nis­se lie­fern. Die Unter­füt­te­rung poli­ti­scher Ent­schei­dun­gen durch Arti­kel mit wis­sen­schaft­li­chem Anspruch, aber dün­nen wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen, trägt zum Ver­trau­ens­ver­lust des Wis­sen­schafts­be­triebs bei.

Die Qua­li­tät wis­sen­schaft­li­cher Arbeit soll­te eigent­lich mit der prak­ti­schen und sozia­len Rele­vanz eines The­mas stei­gen. Lei­der ist das Gegen­teil der Fall, und wenn eine bestimm­te Fra­ge­stel­lung oder wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin von hin­rei­chen­der Wich­tig­keit ist, dann unter­liegt sie nahe­zu zwangs­läu­fig der Poli­ti­sie­rung. Ab einer hin­rei­chen­den Wich­tig­keit des The­mas läuft Wis­sen­schaft Gefahr, dass poli­ti­sche Lager­bil­dung die Dis­kus­sio­nen um die Sache und ins­be­son­de­re die wis­sen­schaft­li­che Metho­de völ­lig über­schat­tet. Ein Bei­spiel dafür lie­fert der Arti­kel ‚Infer­ring chan­ge points in the spread of COVID-19 reve­als the effec­ti­ve­ness of inter­ven­ti­ons‘, erschie­nen auf dem Olymp wis­sen­schaft­li­cher Publi­ka­ti­on, in der Sci­ence, und dann dis­ku­tiert in der FAZ. „Über­an­ge­passt: Die patho­lo­gi­sche Wis­sen­schaft“ weiterlesen

Coro­na­vi­rus-Repro­duk­ti­ons­zahl nach Ländern

Hier ist eine Aktua­li­sie­rung mei­ner Schät­zung der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl von SARS-CoV‑2 in ver­schie­de­nen Ländern

Hier ist ein­mal wie­der eine Aktua­li­sie­rung mei­ner Schät­zung der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl von SARS-CoV‑2 in ver­schie­de­nen Län­dern. Wie im ers­ten Arti­kel mit den Schät­zun­gen die­ser Metho­de erklärt, han­delt es sich um die empi­ri­sche Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl der gemel­de­ten Infek­tio­nen. Deren Wachs­tum setzt sich zusam­men aus dem Wachs­tum der Zahl der wirk­lich Infi­zier­ten und dem Wachs­tum der Tests, plus Ver­än­de­run­gen dar­in, wer getes­tet wird. „Coro­na­­vi­rus-Repro­­duk­­ti­ons­­zahl nach Län­dern“ weiterlesen

Zah­len­blind­heit und unbe­ab­sich­tig­ter Staatsterrorismus

Im Köl­ner Rizin­pro­zess wur­de ein „rech­ne­ri­sches“ Poten­ti­al von 13.500 Toten eines Anschlags ange­ge­ben. Rea­lis­tisch sind wohl eher zehn. Ver­wei­gern wir dem Ter­ro­ris­ten das, was er am meis­ten will: Unse­re Angst.

Ter­ro­ris­mus ist nach dem Ter­ror, also dem Schre­cken, benannt, sei­ner Stra­te­gie. Zah­len­blin­de absur­de Über­schät­zun­gen der Fähig­kei­ten von Ter­ro­ris­ten ver­brei­ten unbe­grün­de­ten Schre­cken, erle­di­gen also unab­sicht­lich das Geschäft der Ter­ro­ris­ten. Eine Pres­se­mit­tei­lung, die Zah­len aus dem Rizin­pro­zess von Köln auf­greift, gibt dafür ein gutes, oder viel­mehr ein schlech­tes Beispiel. 

An den Zah­len der heu­ti­gen Pres­se­mit­tei­lung ist nichts neu. Sie greift Anga­ben aus dem Pro­zess auf. In der Urteils­ver­kün­dung im März soll der Rich­ter erklärt haben, die „Men­ge an Rizi­nus-Samen hät­te rech­ne­risch für poten­zi­ell 13 500 Tote genügt.“ Die Ver­wen­dung der Wör­ter „rech­ne­risch“ und „poten­zi­ell“ in einem Satz legt es schon nahe – die Zah­len haben kei­ner­lei Bedeu­tung. „Zah­len­blind­heit und unbe­ab­sich­tig­ter Staats­ter­ro­ris­mus“ weiterlesen

16. April: Ent­wick­lung der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl gemel­de­ter Coro­na-Infek­tio­nen nach Ländern

Das Robert-Koch-Insti­tut mel­det in sei­nem Lage­be­richt, dass es jetzt die Repro­duk­ti­ons­zahl von SARS-CoV‑2 in Deutsch­land auf 0.7 schät­ze. Das deckt sich mit mei­ner Ana­ly­se. Wie in mei­nem Arti­kel vom 6. April mit den ursprüng­li­chen Charts beschrie­ben, muss man damit inso­fern etwas vor­sich­tig sein, „16. April: Ent­wick­lung der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl gemel­de­ter Coro­­na-Infek­­tio­­nen nach Län­dern“ weiterlesen

#Flat­ten­The­Cur­ve: Das Hash­tag, der Car­toon und die Zahlenblindheit

Was pas­siert, wenn man die belieb­te #Flat­ten­The­Cur­ve-Gra­phik ein­mal mit ech­ten Zah­len durch­rech­net? Man sieht sofort: Die Kur­ven sehen anders aus. „Eine Kri­se der mathe­ma­ti­schen Bildung“

Zu Anfang der öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Covid-19-Epi­de­mie ver­brei­te­ten sich ein Hash­tag und ein in vie­len Vari­an­ten gezeich­ne­ter Car­toon noch vira­ler als das Virus selbst: #Flat­ten­The­Cur­ve. Das Hash­tag zier­te zahl­lo­se Tweets, und der Car­toon wur­de in der Qua­li­täts­pres­se wie­der und wie­der abge­druckt, z.B. hier eine Vari­an­te im Spie­gel. Man konn­te sich eigent­lich den­ken, dass etwas fehl­te, denn in kei­nem die­ser Car­toons waren die Ach­sen mit Ska­len beschrif­tet, und in kaum einem der zuge­hö­ri­gen Arti­kel wur­den die Impli­ka­tio­nen erör­tert. Ich möch­te des­halb ein­mal den Car­toon mit der glei­chen Gra­phik ver­glei­chen, wenn man die Zah­len durch­rech­net. „#Flat­ten­The­Cur­ve: Das Hash­tag, der Car­toon und die Zah­len­blind­heit“ weiterlesen

Gan­gelt-Stu­die: Zäh­lung nach Haus­hal­ten korrekt?

Krau­se disst Stre­eck. Wer hat in der Zäh­lung der Gan­gelt-Stu­die nach Per­so­nen oder Haus­hal­ten recht? 

Wis­sen­schaft wird die­ser Tage fast schon aus­ge­tra­gen wie Batt­le Rap. Am Grün­don­ners­tag wur­de von einem Team um Prof. Hen­drik Stre­eck eine Kurz­zu­sam­men­fas­sung von Teil­ergeb­nis­sen einer sero­lo­gi­schen Stu­die zu durch­ge­mach­ten SARS-CoV-2-Infek­tio­nen in Gan­gelt her­aus­ge­ge­ben, samt zuge­hö­ri­ger Pres­se­kon­fe­renz, die dann von Prof. Chris­ti­an Dros­ten und Prof. Gérard Krau­se, wie die Rap­per sagen wür­den, gedisst wur­de, eben­falls in Form einer Pres­se­kon­fe­renz. (Hin­ter­grün­de und Erklä­run­gen dazu gibt es z.B. hier.) Wis­sen­schaft als Batt­le Rap ist viel­leicht eine ungu­te Ent­wick­lung, aber wir wol­len uns hier ein­mal einen ein­zel­nen Punkt her­aus­grei­fen, der kei­ne spe­zi­el­len Kennt­nis­se der Viro­lo­gie vor­aus­setzt, aber als einer der wich­tigs­ten bezeich­net wur­de, das Tes­ten und Zäh­len meh­re­rer Per­so­nen in einem Haus­halt. War das kor­rekt oder nicht? „Gan­­gelt-Stu­­die: Zäh­lung nach Haus­hal­ten kor­rekt?“ weiterlesen

7. April: Zei­chen der Entspannung

In vie­len west­li­chen Natio­nen ist die CoV-Repro­duk­ti­ons­zahl bei 1 oder dar­un­ter ange­kom­men, das heißt, die Anzahl der aktiv Infi­zier­ten steigt nicht mehr an

Mei­ne Aus­wer­tung des Repro­duk­ti­ons­zahl der gemel­de­ten posi­ti­ven Test­ergeb­nis­se gibt Anlass zur Hoff­nung: In vie­len west­li­chen Natio­nen ist sie bei 1 oder dar­un­ter ange­kom­men, das heißt, die Anzahl der getes­te­ten aktiv Infi­zier­ten steigt nicht mehr an. (Die in den Medi­en ger­ne genutz­te Zahl Zeit der Ver­dop­pe­lung der kumu­la­ti­ven Fall­zahl scheint mir eher unpraktisch.)

Weil die Anzahl der posi­ti­ven Tests sowohl von der Anzahl der Infi­zier­ten als auch der Anzahl der Tests getrie­ben wird, könn­te die Lage der Ten­denz nach sogar bes­ser sein wenn die Anzahl der durch­ge­führ­ten Tests deut­lich ange­stie­gen ist. Dann wäre es mög­lich, dass die Repro­duk­ti­ons­zahl des Virus deut­lich unter 1 ist. Die Fra­ge ist dann, wie es wei­ter­ge­hen soll. Eine dau­er­haf­te Unter­drü­ckung der Repro­duk­ti­ons­zahl unter 1 bis zur Ver­füg­bar­keit einer Imp­fung durch die Still­le­gung des sozia­len und wirt­schaft­li­chen Lebens is kaum mach­bar – durch die Ver­wen­dung von Mas­ken und Ver­fol­gung von Infek­ti­ons­ket­ten bei Ver­mei­dung von Groß­ver­an­stal­tun­gen schon eher. „7. April: Zei­chen der Ent­span­nung“ weiterlesen

Epi­de­mie der Tests oder des Virus? Die Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl des Coro­na­vi­rus auf Basis gemel­de­ter Infektionen

Bei Betrach­tung der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl von berich­te­ten Infek­tio­nen gegen den Anteil der Infi­zier­ten unter der Bevöl­ke­rung sieht man ein gemein­sa­mes Mus­ter der west­li­chen Län­der. Man kann aus den vor­lie­gen­den Test­ergeb­nis­sen aber nicht sehen, ob wir die Infek­ti­on in den Griff bekom­men, viel­leicht sogar sehr gut, oder nur mit dem Tes­ten nicht hin­ter­her­kom­men. Sys­te­ma­ti­sche Berich­te nega­ti­ver Tests sind eine drin­gen­de Auf­ga­be, wie auch sys­te­ma­ti­sche Stich­pro­ben­tests der Bevölkerung.

Um die Aus­brei­tung des neu­ar­ti­gen Coro­na­vi­rus zu illus­trie­ren bekommt man von der Qua­li­täts­pres­se allent­hal­ben Gra­phi­ken mit furcht­erre­gends­ten Hockey-Stick Dar­stel­lun­gen auf­ge­tischt. Zur Beur­tei­lung die­ses Gesche­hens tau­gen die eher wenig. Natür­lich wird ein expo­nen­ti­el­les Wachs­tum einer sich aus­brei­ten­den Krank­heit eine Kur­ve geben, die zunächst flach ist und dann furcht­erre­gend immer stei­ler wird — sonst könn­te die Krank­heit sich nicht aus­brei­ten. Wenn eine Infek­ti­on Immu­ni­tät ver­leiht, dann wird sich die­ses Wachs­tum mit der Aus­brei­tung der Infek­ti­on auch wie­der abfla­chen, so lan­ge, bis Her­den­im­mu­ni­tät erreicht ist. Sinn­vol­ler zur Beur­tei­lung wäre da schon eine log­arith­mi­sche Ach­se der Fall­zah­len; aber man kann es auch inter­es­san­ter gestalten.

Das Anste­ckungs­po­ten­ti­al eines Erre­gers kann man mit der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl R0 ange­ben, die angibt, wie vie­le wei­te­re Men­schen ein Infi­zier­ter in einer noch nicht immu­nen Popu­la­ti­on im Durch­schnitt ansteckt. Bei SARS-CoV‑2 wird das ohne „Maß­nah­men“ so auf 3 geschätzt. Wenn durch „Maß­nah­men“ die­se Zahl auf 1 gesenkt wird, dann ist das Wachs­tum der Fall­zah­len gestoppt — jeder Infi­zier­te steckt im Ver­lauf sei­ner Infek­ti­on nur noch eine wei­te­re Per­son an. Sinkt die Zahl noch wei­ter, dann sin­ken die Fall­zah­len. Wei­ter sin­ken die Fall­zah­len durch Durch­seu­chung, wenn also mehr und mehr Men­schen immun sind, und die tat­säch­li­che Repro­duk­ti­ons­zahl unter der Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl zurück­bleibt, weil das Virus auf bereits Immu­ne trifft, die es nicht noch ein­mal anste­cken kann. „Epi­de­mie der Tests oder des Virus? Die Basis­re­pro­duk­ti­ons­zahl des Coro­na­vi­rus auf Basis gemel­de­ter Infek­tio­nen“ weiterlesen