Gan­gelt-Stu­die: Zäh­lung nach Haus­hal­ten korrekt?

Krau­se disst Stre­eck. Wer hat in der Zäh­lung der Gan­gelt-Stu­die nach Per­so­nen oder Haus­hal­ten recht? 

Wis­sen­schaft wird die­ser Tage fast schon aus­ge­tra­gen wie Batt­le Rap. Am Grün­don­ners­tag wur­de von einem Team um Prof. Hen­drik Stre­eck eine Kurz­zu­sam­men­fas­sung von Teil­ergeb­nis­sen einer sero­lo­gi­schen Stu­die zu durch­ge­mach­ten SARS-CoV-2-Infek­tio­nen in Gan­gelt her­aus­ge­ge­ben, samt zuge­hö­ri­ger Pres­se­kon­fe­renz, die dann von Prof. Chris­ti­an Dros­ten und Prof. Gérard Krau­se, wie die Rap­per sagen wür­den, gedisst wur­de, eben­falls in Form einer Pres­se­kon­fe­renz. (Hin­ter­grün­de und Erklä­run­gen dazu gibt es z.B. hier.) Wis­sen­schaft als Batt­le Rap ist viel­leicht eine ungu­te Ent­wick­lung, aber wir wol­len uns hier ein­mal einen ein­zel­nen Punkt her­aus­grei­fen, der kei­ne spe­zi­el­len Kennt­nis­se der Viro­lo­gie vor­aus­setzt, aber als einer der wich­tigs­ten bezeich­net wur­de, das Tes­ten und Zäh­len meh­re­rer Per­so­nen in einem Haus­halt. War das kor­rekt oder nicht?

Pro­fes­sor Krau­se führ­te aus:

Ich sehe da noch ein ande­res Pro­blem, das viel­leicht fast quan­ti­ta­tiv noch stär­ker ist. Ich weiß es nicht, weil ich die Stu­die nicht ken­ne. Aber es ist eine Haus­halts­stu­die gewe­sen. Ich neh­me an, dass alle Mit­glie­der aus dem Haus­halt getes­tet wor­den sind. Das kann man so machen. Aber dann darf man kei­nes­wegs alle Ergeb­nis­se neh­men und in Pro­zent umrech­nen, son­dern allen­falls pro Haus­halt nur eine Per­son nehmen.

Gérard Krau­se, Kri­tik an Zwi­schen­er­geb­nis­sen der Heins­ber­ger Immu­ni­täts-Stu­die zu SARS-CoV‑2

Prof. Dros­ten bestä­tig­te die­sen Punkt als „rich­tig“. Aber ist er das, und, viel­leicht wich­ti­ger, wäre der Vor­schlag „allen­falls pro Haus­halt nur eine Per­son [zu] neh­men“ zielführend?

Die unaus­ge­spro­che­ne Vor­aus­set­zung die­ser Kri­tik ist wohl, dass Infek­tio­nen und des­halb die Aus­bil­dung von Anti­kör­pern bei meh­re­ren in einem Haus­halt zusam­men­le­ben­den Per­so­nen oft mit­ein­an­der ein­her­ge­hen, weil es sich schwer ver­mei­den lässt, dass der eine den ande­ren im sel­ben Haus­halt ansteckt.

Um uns zu ver­ge­wis­sern, ob man alle Mit­glie­der eines Haus­halts oder nur „allen­falls pro Haus­halt eine Per­son“ zäh­len soll­te, machen wir ein Rechenexempel:

  • In einem hypo­the­ti­schen Dorf gebe es 100 Haus­hal­te mit einer Per­son und 100 Haus­hal­te mit 3 Personen
  • Der Immu­ni­täts­sta­tus sei (um das Argu­ment auf die Spit­ze zu trei­ben) bei allen Ange­hö­ri­gen eines Haus­halts gleich
  • Von den Ein­per­so­nen­haus­hal­ten sei­en 20% immun, von den Drei­per­so­nen­haus­hal­ten nur 10%, macht eine Immu­ni­tät von 12.5% der Einwohner
  • Wenn man nun jeweils alle Mit­glie­der von zehn Ein­per­so­nen- und zehn Drei­per­so­nen­haus­hal­te tes­tet, also jeweils ein Zehn­tel der Haus­hal­te bei­der Kate­go­rien, dann bekommt man als Erwar­tungs­wert 5 posi­ti­ve Tests (2 von den Ein­per­so­nen- und 3 von den Drei­per­so­nen­haus­hal­ten). Macht bei vier­zig getes­te­ten Per­so­nen aus den zwan­zig Haus­hal­ten eine Immu­ni­tät von 12.5%, also das rich­ti­ge Ergebnis.
  • Wenn man aber „allen­falls pro Haus­halt eine Per­son“ zählt, wie­der mit je zehn Haus­hal­ten bei­der Kate­go­rien, dann bekommt man als Erwar­tungs­wert 3 posi­ti­ve Tests (2 aus den Ein­per­so­nen- und einen aus einem Drei­per­so­nen­haus­halt). Macht bei zwan­zig getes­te­ten Per­so­nen also 15%, ein fal­scher Wert, denn die Bewoh­ner von Drei­per­so­nen­haus­hal­ten waren unterrepräsentiert.

Es ist also die Kri­tik von Prof. Krau­se, so wie er sie vor­trug, offen­bar falsch. Es ergä­be sich eine Ver­zer­rung wenn die Teil­nah­me­be­reit­schaft unter­schied­lich gro­ßer Haus­hal­te unter­schied­lich groß wäre, aber das wür­de nicht durch die Zäh­lung von „allen­falls pro Haus­halt eine[r] Per­son“ korrigiert.

Wir kön­nen aber noch zwei wei­te­re Aspek­te beleuchten:

Wenn es zutrifft, dass der Immu­ni­täts­sta­tus von Ange­hö­ri­gen eines Haus­halts mit­ein­an­der kor­re­liert, dann ist die effek­ti­ve Anzahl aus­ge­wer­te­ter Pro­ben, von den Sta­tis­ti­kern meist n genannt, gerin­ger als die tat­säch­li­che Anzahl von Pro­ben. Im Extrem­fall, wenn alle Ange­hö­ri­gen von Haus­hal­ten jeweils den glei­chen Immu­ni­täts­sta­tus hät­ten, könn­te man sich das Tes­ten von mehr als einem Haus­halts­an­ge­hö­ri­gen ganz spa­ren (von Feh­lern der Test­ergeb­nis­se ein­mal abge­se­hen, bei denen auch wie­der zu prü­fen wäre, ob sie bei Haus­halts­an­ge­hö­ri­gen kor­re­lie­ren, viel­leicht wegen ähn­li­cher durch­ge­mach­ter ver­wand­ter Infek­tio­nen oder ähn­li­chem Erb­gut und Lebens­stil von Eltern und Kindern).

Wenn es wei­ter­hin zutrifft, dass der Auf­wand mehr in der Pro­ben­ent­nah­me und deren Aus­wer­tung liegt als in der Gewin­nung der Test­teil­neh­mer, dann war das Tes­ten aller Ange­hö­ri­gen aus­ge­wähl­ter Haus­hal­te inef­fi­zi­ent (wie­der vor­aus­ge­setzt, dass die Ergeb­nis­se inner­halb eines Haus­halts kor­re­lie­ren). Effi­zi­en­ter wäre das Tes­ten von je einer zufäl­lig aus­ge­wähl­ten Per­son pro Haus­halt, und dann eine Gewich­tung der Ergeb­nis­se nach Haus­halts­grö­ße, um die Ver­zer­rung durch den Aus­schluss wei­te­rer Haus­halts­mit­glie­der aus­zu­glei­chen. Die­ser Kri­tik­punkt wäre kor­rekt, aber er ist fast das Gegen­teil der Kri­tik von Prof. Krau­se, nach der man zwar alle Haus­halts­mit­glie­der tes­ten kön­ne, aber nur einen zäh­len sol­le. Umge­kehrt macht es mehr Sinn. Der Ein­fluß die­ses Kri­tik­punk­tes ist aber nicht sehr groß, denn die Stu­die erfasst ohne­hin einen erheb­li­chen Anteil aller Haus­hal­te in Gan­gelt. Wenn man alle Mit­glie­der eines Haus­halts tes­tet, dann erhält man im Gegen­zug für die gerin­ge­re Effi­zi­enz bezüg­lich der gesam­ten Immu­ni­tät auch Erkennt­nis­se über die Infek­ti­on inner­halb von Haus­hal­ten, die eben­falls wert­voll sein mögen.

Es wären die Viro­lo­gen viel­leicht gut bera­ten, auf den Batt­le Rap zu ver­zich­ten, und den den Kolum­nis­ten, den Poli­ti­kern und der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit zu las­sen. Pres­se­kon­fe­ren­zen haben wir genug, belast­ba­re Zah­len lei­der nicht. Und neben­bei bemerkt: War­um eigent­lich immer die Beto­nung auf Viro­lo­gen? Das hier bespro­che­ne Pro­blem hat eigent­lich mit den Spe­zi­fi­ka von Viren wenig zu tun und fällt mehr in Domä­ne der Epi­de­mio­lo­gen und der Statistiker.