Lynch­jus­tiz in der Zeitung

Frü­her war es in bes­se­ren Zei­tun­gen ein­mal üblich, vor den „Mör­der“ ein „mut­maß­lich“ zu set­zen, wenn die Vor­wür­fe nicht bewei­sen und die Ermitt­lun­gen noch am Lau­fen sind. Bei der FAZ ist das offen­bar nicht mehr notwendig.

Die FAZ schreibt im Unter­ti­tel eines Arti­kels: „Der Mord an dem jun­gen Jog­ger Ahmaud Arbe­ry ent­setzt vie­le Men­schen in Ame­ri­ka. Wie­der haben Wei­ße einen unbe­waff­ne­ten Schwar­zen erschos­sen, der ein­fach nur lau­fen woll­te.“ Für einen Arti­kel, der spä­ter (wenn auch in einem Zitat) noch das Wort vom „Lynch­mord“ auf­greift, ist die­se Art der Vor­ver­ur­tei­lung der einen Sei­te und des jour­na­lis­ti­schen Frei­spruchs der ande­ren ironisch.

Frü­her war ein­mal das Wort „mut­maß­lich“ üblich

Der Arti­kel sel­ber gibt zu:„den genau­en Ablauf der fol­gen­den Tat müs­sen nun die Ermitt­ler klä­ren.“ Frü­her war es da ein­mal üblich, immer­hin noch das Wort „mut­maß­lich“ vor den „Mord“ oder den „Mör­der“ zu set­zen. Die Ent­schei­dung des Staats­an­walts, nicht wei­ter zu ermit­teln, wur­de viel­fach kri­ti­siert, wohl auch zu Recht. Dar­aus, dass ein Sach­ver­halt viel­leicht nicht hin­rei­chend ermit­telt wur­de, folgt aber kei­nes­wegs, dass Beschul­dig­te auch schul­dig sind. Es kann zumin­dest so gewe­sen sein, dass die Beschul­dig­ten sich nichts Straf­ba­res zuschul­den haben kom­men lassen.

Der Arti­kel ver­gisst auch – ob aus Schlam­pe­rei oder Ten­denz wis­sen wir nicht – zu erwäh­nen, dass die bei­den Beschul­dig­ten den spä­ter getö­te­ten Ahmaud Arbe­ry eben nicht oder jeden­falls nicht nur ange­hal­ten haben, weil er schwarz war, son­dern dass sie ihn fest­neh­men woll­ten. Es gab da wohl eine Rei­he von Ein­brü­chen, und der Getö­te­te soll auf einem Video zu sehen sein, wie er unbe­fugt auf einer Bau­stel­le her­um­läuft. Das ist schon ein Unter­schied zu dem sug­ge­rier­ten Mord, weil er „ein­fach nur lau­fen wollte“.

Gut mög­lich, dass bei­de Sei­ten kei­ne Engel waren

Für die juris­ti­sche Auf­ar­bei­tung der Sache sind ande­re zustän­dig. Wer im Recht war, wenn über­haupt jemand, müs­sen die Gerich­te klä­ren. Es scheint mir gut mög­lich, dass, wie so oft bei sol­chen Situa­tio­nen, bei­de Sei­ten kei­ne Engel waren.

Viel­leicht war der getö­te­te Arbe­ry der gesuch­te Ein­bre­cher, viel­leicht nicht. Viel­leicht woll­te er sich durch sei­nen Angriff einer Situa­ti­on ent­zie­hen, die er als Über­fall emp­fand, viel­leicht einer, die er als Fest­nah­me emp­fand. Es ist auch nicht ganz unwe­sent­lich, obwohl natür­lich kei­ner­lei Beweis für die Vor­fäl­le die­ser Nacht, dass Arbe­ry offen­bar schon vor­her straf­recht­lich mit Vor­wür­fen von Laden­dieb­stahl und des Ver­brin­ges einer Schuss­waf­fe in die Schu­le in Erschei­nung getre­ten ist. Was aus die­sen Vor­wür­fen wur­de, scheint noch unklar zu sein. Einer der Beschul­dig­ten war damit als Mit­ar­bei­ter der Staats­an­walt­schaft befasst, die Betei­lig­ten kann­ten sich also viel­leicht. Rein tak­tisch ist es auch eher sub­op­ti­mal, einen Kampf eines Unbe­waff­ne­ten gegen zwei Bewaff­ne­te zu suchen und nach einer Flin­te nicht nur über­haupt son­dern auch noch an der Mün­dung zu greifen.

Die bei­den Beschul­dig­ten Gre­go­ry und Tra­vis McMi­cha­el wie­der­um brach­ten sich viel­leicht mit ihrem Fest­nah­me­ver­such ohne jede Not in eine Situa­ti­on, bei der eine Eska­la­ti­on leicht mög­lich ist. Genau­so wie es kei­ne gute Idee ist, wegen irgend­wel­cher Vor­wür­fe jeman­dem ohne Vor­war­nung vom SEK die Tür ein­ram­men zu las­sen, weil da die Eska­la­ti­on eigent­lich vor­pro­gram­miert ist, ist auch ein Jeder­man­n­ar­rest auf offe­ner Stra­ße, bei dem zwei Bewaff­ne­te, aber nicht uni­for­mier­te, aus einem Auto aus­stei­gen und jeman­den, der nicht in just die­sem Moment eine Straf­tat begeht, mit vor­ge­hal­te­nen Waf­fen fest­neh­men wol­len, kei­ne gute Idee. Dem Fest­zu­neh­men­den erschließt sich dabei nicht, ob es sich um eine Fest­nah­me oder um einen beson­ders bru­ta­len Über­fall han­delt, und er hat auch kei­ne Zeit, über die­se Fra­ge nach­zu­den­ken. Die Poli­zei zu rufen wäre wohl sinn­vol­ler gewe­sen, denn eine Not­la­ge, die ein sofor­ti­ges Ein­schrei­ten erfor­der­lich machen wür­de, lag wohl nicht vor. Auch hier war es rein tak­tisch eher sub­op­ti­mal, sich mit einer Flin­te so vor einen Ver­däch­ti­gen hin­zu­stel­len, dass er die grei­fen kann, denn dann gehen die Optio­nen aus.

Zu die­ser Unter­schei­dung waren bes­se­re Zei­tun­gen frü­her ein­mal fähig

Wie bei man­chen ande­ren die­ser Vor­fäl­le, die in den Medi­en hoch­ko­chen, wir­ken dem ers­ten Ein­druck nach bei­de Sei­ten nicht beson­ders sym­pa­thisch. Eine Sei­te ist nun lei­der tot und kann ihre Vari­an­te des Sach­ver­halts nicht mehr dar­le­gen. Aber dar­aus folgt beim bes­ten Wil­len nicht, dass es sich bei der ande­ren Sei­te um „Mör­der“ hand­le. Noch viel weni­ger folgt dar­aus, dass es sich um Mör­der aus ras­sis­ti­schen Moti­ven hand­le. Zu die­ser Unter­schei­dung waren bes­se­re Zei­tun­gen frü­her ein­mal fähig. Die Unfä­hig­keit zu die­ser Unter­schei­dung ver­bun­den mit der Ten­denz, aus allem einen Ras­sen­kon­flikt zu machen, war hin­ge­gen die Grund­la­ge der Lynchjustiz.

Genau­so über­flüs­sig wie die Vor­ver­ur­tei­lung der Beschul­dig­ten ist übri­gens der abfäl­li­ge Sei­ten­blick auf die Ame­ri­ka­ner in Bezug auf die Jeder­mann-Fest­nah­me und die Stand-your-Ground Regel, denn die gibt es in Deutsch­land in §127 StPO und §32 StGB in sehr ähn­li­cher Form. Wenn die­se Regeln in Geor­gia unrecht sein sol­len, sind sie es dann auch in Deutsch­land, und wenn ja, was ist der Alternativvorschlag?