Auf der französischen Charles de Gaulle sind mehr als 50% der getesteten 2000 Soldaten positiv auf SARS-CoV‑2 getestet worden, von denen ungefähr die Hälfte Symptome entwickelt haben, 24 im Krankenhaus behandelt werden, davon einer auf der Intensivstation. Auf der Theodore Roosevelt ist der Anteil der positiv Getesteten mit 600 aus einer Mannschaft von 4800 geringer, dafür aber der Anteil der asymptomatischen mit 60% noch etwas höher.
Nun ist ein Flugzeugträger kein Abbild einer Gesellschaft. Die Mannschaft ist viel enger zusammengepfercht, jünger und männlicher als eine Nation. Gleichzeitig ist sie vermutlich disziplinierter und dürfte Infektionsschutzmaßnahmen, so sie angeordnet waren, eher korrekt ausführen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Die Ergebnisse dieser beiden Flugzeugträger decken sich aber grob mit denen der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen, in der ebenfalls die Hälfte der vermutlich überdurchschnittlich jungen und männlichen, aber vielleicht eher nicht militärisch disziplinierten Einwohner positiv getestet wurden.
Erstaunlich an der Sache finde ich die Reaktion der amerikanischen Verteidigungsministers Mark Esper, der die Ergebnisse des Testens kommentierte: „Es hat eine neue Dynamik des Virus offengelegt: dass es von normalen, gesunden Menschen getragen werden kann, die keine Ahnung haben, dass sie es tragen,“ was „beunruhigend“ sei.
Erstaunlich finde ich das deshalb, weil daraus eigentlich keineswegs folgt, dass die Sache sich schlechter entwickelt als befürchtet, nur anders. Aus der unmittelbaren Sicht des Verteidigungsministers sollte es zunächst einmal nicht so schlecht sein, dass bei der unter den Verhältnissen eines Trägers vielleicht gar nicht zu vermeidenden Durchseuchung zwar leider im Fall der Roosevelt ein Soldat gestorben ist, aber die meisten offenbar in gutem Zustand sind, der Träger im Notfall vielleicht auch einsatzbereit wäre. Aus Sicht der Allgemeinbevölkerung wird – sollten sich diese Fälle besonderer Populationen eingeschränkt auf ganz andere Lebenssituationen übertragen lassen – zwar die Aussicht auf eine Kontrolle der Ausbreitung geringer, aber eine Verringerung der Anzahl schwerer Komplikationen und Todesfälle als Anteil der Infizierten ist doch keine rein negative Nachricht.
Die Preisfrage ist jetzt natürlich, wie weit sich die beobachteten Durchseuchungs- und Komplikationsraten aus vollständig getesteten, aber für die Normalbevölkerung nicht repräsentativen Gruppen auf die Normalbevölkerung übertragen lassen. Jede faktenbasierte Strategiefindung für den Umgang mit dem neuartigen Coronavirus wäre auf diese Informationen dringend angewiesen, aber wir haben sie nicht.
Wir scheinen uns in einer Situation zu befinden, in der Politik und Medien einerseits Strategien wie #FlattenTheCurve kommuniziert haben, ohne deren Voraussetzungen und Implikationen wirklich zu verstehen, andererseits sich bewusst auf eine Strategie, die mehr eine Kommunikations- als eine Handlungsstrategie ist, festgelegt und die zur Verschlusssache erklärt haben. Debatten wie zwischen #FlattenTheCurve und #StopTheSpread scheinen mehr Stellvertreterdebatten von auf Hashtags reduziertem politischem Lagerdenken zu sein als Fragen nach den jeweiligen Voraussetzungen und Implikationen und nach der Faktenbasis, die eine Entscheidung ermöglichen würde. Zumindest von der militärischen Führung würde man sich eigentlich einen besseren Zyklus aus Faktengewinnung and Strategieanpassung wünschen.