Zigeu­ner­schnit­zel und Lebensraum

Nach dem ‚Moh­ren­kopf‘ soll jetzt das ‚Zigeu­ner­schnit­zel‘ abge­schafft wer­den. Ein pro­fes­sio­nel­ler Ras­sis­mus­exper­te will statt­des­sen „Lebens­raum“. Für zwei amü­san­te Ope­ret­ten Emme­rich Kál­máns wird es rich­tig kritisch.

Mit den immer wil­de­ren For­de­run­gen nach poli­ti­scher Säu­be­rung der Spra­che kann man sich schnell selbst ins Bocks­horn jagen. Der Blick hat einen Arti­kel über For­de­run­gen, Begrif­fe wie ‚Zigeu­ner­schnit­zel‘ durch neue zu erset­zen, denn die sei­en, so eine Lese­rin, „für uns Fah­ren­de auch ras­sis­tisch.“ Nun ja.

Ein pro­fes­sio­nel­ler Ras­sis­mus­exper­te einer gewis­sen Stif­tung Zukunft für Schwei­zer Fah­ren­de schießt dann aller­dings den Vogel ab:

Das Wort lenkt zudem davon ab, dass Roma, Sin­ti und Jeni­sche geschütz­te Min­der­hei­ten sind, die ein Recht auf Lebens­raum haben – nament­lich auf Hal­te­plät­ze für ihre Wohnwagen.

Simon Röth­lis­ber­ger, Geschäfts­füh­rer der Stif­tung Zukunft für Schwei­zer Fah­ren­de, Blick, «Wir soll­ten Zigeu­ner­schnit­zel aus dem Wort­schatz ver­ban­nen», 16.06.2020

Mir per­sön­lich jeden­falls scheint zu gewin­nen­der „Lebens­raum“ als poli­ti­sches Ziel poli­tisch nicht weni­ger vor­be­las­tet als die ‚Zigeu­ner.‘ War da nicht ein­mal etwas? Wur­de die­ses Wort neu­tral benutzt oder muss die Alarm­hu­pe ange­hen? Wer poli­tisch kor­rek­te Wort­wahl zum Job macht, soll­te da eigent­lich vor­sich­ti­ger sein, oder doch nicht?

Such­ma­schi­ne im Kopf mit der Texterkennung

Wie bei Astrid Lind­grens ‚Neger­kö­nig‘ schei­nen sich die Beschwer­den über das ‚Zigeu­ner­schnit­zel‘ oder den ‚Moh­ren­kopf‘ aus­schließ­lich am Wort sel­ber auf­zu­hän­gen. Da geht die Such­ma­schi­ne im Kopf mit der Tex­terken­nung an, und wenn sie einen Tref­fer erzielt hat, dann läuft die Auf­re­gungs­ma­schi­ne an. Wenn aus dem see­fah­ren­den ‚Neger­kö­nig‘ jetzt ein ‚Süd­see­kö­nig‘ wur­de, dann bin ich mir jeden­falls nicht so sicher, ob die da mit­schwin­gen­de Vor­stel­lung von attrak­ti­ven Poly­ne­sie­rin­nen und alten wei­ßen Män­nern wirk­lich so viel weni­ger pro­ble­ma­tisch ist als ein wenig plau­si­bles König­reich irgend­wo im sub­sa­ha­ri­schen Afri­ka, dass doch eigent­lich nur heißt, dass der Vater jeden­falls weit weg ist.

Auch der für ‚Zigeu­ner‘ vor­ge­schla­ge­ne Alter­na­tiv­be­griff ‚Fah­ren­der‘ scheint mir nicht weni­ger pro­ble­ma­tisch als das Ori­gi­nal. So sehr die Ver­wen­dung sub­stan­ti­vier­ter Par­ti­zi­pi­en in Mode ist, wird damit doch gera­de der Eth­ni­zi­tät eine bestimm­te Ver­hal­tens­wei­se, näm­lich das Fah­ren, als defi­nie­rend zuge­schrie­ben. Inso­fern die Beschwer­den über Zigeu­ner sich oft­mals gera­de an der unste­ten Lebens­wei­se und den mit dem Fah­ren kom­pa­ti­blen Ver­dienst­mög­lich­kei­ten auf­hän­gen, die sich nicht in allen Fäl­len mit der bür­ger­li­chen Gesell­schaft völ­lig ver­tra­gen, scheint mir der Begriff ‚Fah­ren­der‘ für Zigeu­ner eher vorurteilsbeladen.

Es gibt aber vie­le Zigeu­ner, die nicht fah­ren, son­dern sich häus­lich ein­ge­rich­tet haben. Die­je­ni­gen, die ich ken­ne, haben ganz nor­ma­le Büro­jobs und Ein­fa­mi­li­en­häu­ser. In Ost­eu­ro­pa gibt es auch Elends­sied­lun­gen, die ein Pro­blem sind, und die das Resul­tat einer schlech­te Behand­lung durch die Mehr­heits­ge­sell­schaft sein mögen, aber deren Bewoh­ner eben nicht ‚fah­ren‘. Ande­rer­seits fah­ren vie­le Men­schen, die kei­ne Zigeu­ner sind, in ver­schie­de­nen Wort­be­deu­tun­gen, vom Auto­fah­ren bis zu den immer noch exis­tie­ren­den fah­ren­den Handwerksgesellen.

Auch mit den ‚Sin­ti und Roma‘ als Alter­na­tiv­be­zeich­nung wird es schwie­rig, denn ich jeden­falls kann beim bes­ten Wil­len den Unter­schied zwi­schen bei­den nicht ange­ben, und die meis­ten ande­ren Leu­te wohl auch nicht.

Süße Pam­pe für den deut­schen Geschmack

Man könn­te dann noch fra­gen, ob die Benen­nung einer Spei­se nach einer Eth­ni­zi­tät über­haupt sinn­voll sei, und ich wür­de sagen, ja. Es ist dabei auch üblich, dass die Inter­pre­ta­ti­on einer so bezeich­ne­ten Spei­se in ande­ren Gegen­den mit den kuli­na­ri­schen Gepflo­gen­hei­ten im Volk, das den Namen leiht, nur sehr begrenzt etwas zu tun haben. Was in Deutsch­land als mexi­ka­ni­sches oder süd­west­ame­ri­ka­ni­sches Chi­li oder Sal­sa ver­kauft wird, ist oft eine ver­zu­cker­te Sau­ce ohne wesent­li­chen Geschmacks­an­teil der eigent­lich defi­nie­ren­den Chi­lis, jeden­falls ohne wesent­li­che Emp­fin­dung von ’scharf‘ für jeden, der ein­mal das Ori­gi­nal geges­sen hat.

Trotz­dem wür­de ich Mag­gis „Inter­na­tio­na­le Würz­sauce, Texi­ca­na Sal­sa“ (ers­te bei­de Zuta­ten: Toma­ten­mark, Zucker!) ledig­lich als süße Pam­pe für den deut­schen Geschmack bezeich­nen, aber nicht als ras­sis­tisch gegen­über Texa­nern oder Mexi­ka­nern, ver­bo­te­ne Kul­tu­rappro­pria­ti­on oder der­glei­chen. Was mit der Vor­sil­be ‚Zigeu­ner-‘ ver­kauft wird, dürf­te, etwa in die glei­che Rich­tung gehend, einen gewis­sen Papri­ka­an­teil haben, aber ob das jetzt wirk­lich der Küche von Zigeu­nern, von Ungarn, oder sonst jeman­dem ent­stammt, oder eher der deut­schen Küche mit nur ent­fern­ten Anlei­hen durch einen Schuß Papri­ka­pul­ver, wer weiß – und ist das wirk­lich wichtig?

Spielt zukünf­tig der Fah­ren­den­prí­más auf?

Und, zum Schluss: Wenn auf Zigeu­ner hin­wei­sen­de eth­ni­sche Bezeich­nun­gen wenigs­tens in man­chen Fäl­len zuläs­sig sind, dann wir­ken alle vor­ge­schla­ge­nen Alter­na­ti­ven irgend­wie lächer­lich. Wenn Sie sich in Buda­pest vom Zigeu­ner­prí­más auf­spie­len las­sen wol­len, wol­len sie dann wirk­lich nach einem ‚Sin­ti- oder alter­na­tiv Roma­prí­más‘ fra­gen oder schlim­mer noch nach einem ‚Fah­ren­den­prí­más‘?

Müs­sen eigent­lich auch Emme­rich Kál­máns Ope­ret­ten ‚Der Zigeu­ner­pri­mas‘ und ‚Die Her­zo­gin von Chi­ca­go‘ umge­schrie­ben, im ers­ten Fall gar umbe­nannt wer­den? Bei letz­te­rer wird’s beson­ders kri­tisch, denn da heißt es: „Doch bevor wir geh’n nach Haus schmei­ßen wir den Neger mit dem Saxo­phon hin­aus“, damit der „Zigeu­ner­prí­más“ wie­der die süßen Klän­ge des Wie­ner­lieds fie­deln kann, auch wenn am Schluß die Prot­ago­nis­ten wie auch die Musik­rich­tun­gen ver­söhnt wer­den. (Die­se Stel­le ist in der ver­link­ten und amü­san­ten Auf­nah­me unter ‚Vor­spiel – 4b: Paß auf, alter Prí­más, bist du ein Mann!‘ zu finden.)

Nein, nein, da schmei­ßen wir doch bes­ser die poli­tisch Kor­rek­ten hin­aus, in hohem Bogen.