Tryg­ghet: Gebor­gen­heit in Rinkeby

Im Schwe­di­schen gibt es das Wort der ‚Tryg­ghet‘, einer Art Gebor­gen­heit in der Gemein­schaft. Wenn unter die­sem Titel ange­kün­digt wird, dass Poli­zei­be­am­te auf dem Weg zur Arbeit Per­so­nen­schutz brau­chen, dann ist es mit der Gebor­gen­heit vor­bei. Damit ist auch die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Visi­on des ‚Volks­heims‘ am Ende. Ihren Ver­tre­tern bleibt nur noch die Kon­trol­le über die Mei­nung, nach­dem die Kon­trol­le über die Stra­ße ihnen schon lan­ge ent­glit­ten ist.

Die nor­di­schen Spra­chen haben einen Schatz schö­ner Wör­ter, die sich nur unge­nau ins Deut­sche über­tra­gen las­sen. Seit eini­gen Jah­ren soll alles, aus dem Däni­schen, ‚hyg­ge­lig‘ sein – sogar in den Duden hat das Wort Ein­gang gefun­den. Im Schwe­di­schen gibt es das etwas damit ver­wand­te Wort von der ‚Tryg­ghet‘ mit dem Adjek­tiv ‚trygg‘. Ety­mo­lo­gisch ist die­ses Wort mit ‚treu‘ und ‚true‘ ver­wandt, und die Wör­ter­buch­über­set­zung ist ’sicher‘, aber das trifft es nicht wirk­lich. ‚Tryg­ghet‘ bezeich­net das sub­jek­ti­ve Gefühl, dass einem in der Gemein­schaft eines sozia­len Ver­ban­des, ins­be­son­de­re der Fami­lie, oder mög­li­cher­wei­se auch in der Sicher­heit des fes­ten christ­li­chen Glau­bens nichts zusto­ßen werde.

Im Musi­cal ‚Kris­ti­na från Duve­må­la‘ taucht ‚gren­zen­lo­se Tryg­ghet‘ als Gegen­teil davon auf, in eine ‚gefähr­li­che, frem­de Welt gewor­fen‘ wor­den zu sein. Ich möch­te daher als best­mög­li­che deut­sche Über­set­zung nicht ‚Sicher­heit‘ son­dern ‚Gebor­gen­heit‘ vor­schla­gen. Eine Bil­der­su­che bei Goog­le ergibt als ers­te Tref­fer Pho­tos von Men­schen unter­schied­li­cher Gene­ra­tio­nen, die sich die Hän­de hal­ten. Hier ist das Lied aus dem Musi­cal, vor­ge­tra­gen von der bezau­bern­den und stimm­kräf­ti­gen Helen Sjöholm:

Das Gegen­teil von Trygghet

Wie kom­me ich nun dazu, aus­ge­rech­net heu­te über Tryg­ghet zu schrei­ben? Nun, auf der Web­site des schwe­di­schen Fern­se­hens fiel mir ein Arti­kel auf, der die ‚Tryg­ghet‘ in iro­ni­scher und trau­ri­ger Wei­se in ihr Gegen­teil ver­kehrt. Da heißt es:

Die Poli­zis­ten, die in dem neu­en Poli­zei­re­vier in Rin­ke­by arbei­ten wer­den, wer­den durch spe­zi­el­le Patrouil­len geschützt wer­den, wenn sie nach den spä­ten Abend- oder nach Nach­schich­ten Dienst­schluss haben. Dies dient zum Schutz der ein­ge­teil­ten Poli­zis­ten, die im Sep­tem­ber im Revier zu arbei­ten anfan­gen werden.

Die Sicher­heit und Gebor­gen­heit [‚tryg­ghet‘] unse­res Per­so­nals zu prio­ri­sie­ren ist kei­ne schwe­re Ent­schei­dung, erklär­te Fri­da Nord­löf, dienst­füh­ren­de Gebiets­lei­te­rin in Rin­ke­by, den SVT Nachrichten.

‚Poli­ser ska få skydds­pa­trull nattet­id‘, SVT Nyhe­ter, 07.08.2020

Nun ist Per­so­nen­schutz eigent­lich genau das Gegen­teil von Tryg­ghet. Man benö­tigt ihn gera­de in der oben genann­ten ‚gefähr­li­chen, frem­den Welt‘, zu der Rin­ke­by exem­pla­risch gewor­den ist. Mit hin­rei­chend wirk­sa­mem Per­so­nen­schutz fühlt man sich viel­leicht sicher, aber gebor­gen bestimmt nicht. Das völ­li­ge Ende der Gebor­gen­heit kommt, wenn uni­for­mier­te Poli­zis­ten, die auch außer Dienst ihre Pis­to­le tra­gen dür­fen, nicht mehr sicher durch die Stadt lau­fen oder fah­ren kön­nen, son­dern für den ganz nor­ma­len Weg von oder zu der Arbeit Per­so­nen­schutz brau­chen. Das kann man nur so inter­pre­tie­ren, dass die Ver­hält­nis­se so gewor­den sind, dass einen wenn die Angrei­fer einen ein­zeln zu fas­sen bekom­men auch eine Feu­er­waf­fe nicht mehr schützt. Trygg geht anders.

Noch weni­ger gebor­gen dürf­ten sich frei­lich alle ande­ren füh­len, die kei­ne Uni­form mit ihrem impli­zi­ten Ver­spre­chen, dass ein Angriff Ärger gibt, tra­gen, denen das Füh­ren einer Feu­er­waf­fe ver­sagt wird, und die kei­nen Per­so­nen­schutz bekom­men. Wenn bewaff­ne­te Poli­zis­ten Per­so­nen­schutz brau­chen, dann kann man sich aus­rech­nen, wie sich eine jun­ge Frau füh­len wird, die allei­ne mit der U‑Bahn zur Nach­schicht fah­ren soll.

Die Über­le­gun­gen, wie man es über­haupt so ein­rich­ten kann, dass man Poli­zis­ten bekommt, die in Rin­ke­by Dienst zu tun bereit sind, kom­men nicht von unge­fähr. Dass im Sep­tem­ber ein Poli­zei­re­vier da eröff­net wer­den soll, hängt näm­lich damit zusam­men, dass 2014 nach Angrif­fen auf das alte Revier die­ses schlicht dicht­ge­macht wur­de. Die Poli­zei hat sich zurück­ge­zo­gen. Der Bau eines grö­ße­ren Reviers zog sich dann hin, weil Bau­fir­men schwe­re Angrif­fe auf ihr Per­so­nal befürchteten.

‚Volks­heim‘: Das Ver­spre­chen, die gan­ze Nati­on als gro­ße Fami­lie zu organisieren

Nun hat die Gebor­gen­heit in Schwe­den einen gro­ßen Stel­len­wert in der Poli­tik, ist sie doch das zen­tra­le Ver­spre­chen der schwe­di­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie seit den 1930er-Jah­ren. Wäh­rend die radi­ka­len kor­po­ra­tis­ti­schen Bewe­gun­gen des Faschis­mus, Natio­nal­so­zia­lis­mus und Kom­mu­nis­mus zu die­ser Zeit sich an der Kriegs­wirt­schaft und dem Gemein­schafts­er­leb­nis der Front im ers­ten Welt­krieg ori­en­tier­ten, schick­ten sich die schwe­di­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten an, die Gebor­gen­heit einer glück­li­chen Fami­lie auf die gan­ze Nati­on als eine gro­ße Fami­lie aus­zu­deh­nen, in der sich jeder gebor­gen füh­len kann. Das Ver­spre­chen die­ser Gebor­gen­heit war die Recht­fer­ti­gung dafür, die Steu­ern ins Uner­mess­li­che zu trei­ben, und die Akzep­tanz die­ses Ver­spre­chens war der Grund dafür, dass die Schwe­den erst zu meckern anfin­gen, als ihr Ein­kom­men­steu­er­satz 100% über­schritt, wie es Astrid Lind­gren 1976 pas­siert ist, was sie in ihrer Erwach­se­nen­ge­schich­te ‚Pom­pe­ri­pos­sa in Monis­ma­ni­en‘ ver­ar­bei­tet und ver­spot­tet hat.

Das Ver­spre­chen, die gan­ze Nati­on als gro­ße Fami­lie zu orga­ni­sie­ren, ‚Volks­heim‘ oder auf Schwe­disch ‚Folk­hem­met‘ genannt, in der auf weni­ger bru­ta­le Wei­se und mit mehr Frei­hei­ten als im Kom­mu­nis­mus jeder nach sei­nen Fähig­kei­ten arbei­tet und die Arbeits­er­geb­nis­se größ­ten­teils in die gemein­sa­me Kas­se wirft, dafür auch jeder nach sei­nen Bedürf­nis­sen bekommt, war natür­lich von Anfang an problematisch.

Ein Natio­na­lis­mus, der so inten­siv wäre, dass die Bin­dung an die Nati­on, damit auch die Bereit­schaft für sie abzu­ge­ben und Leis­tun­gen nicht aus­zu­nut­zen, so groß wäre wie die Bin­dung an die Fami­lie, wäre unge­sund und ver­mut­lich aggres­siv, wur­de im Grun­de auch nie so ein­ge­for­dert. Damit ent­stan­den dann die vor­her­seh­ba­ren Pro­ble­me, dass sozia­ler Auf­stieg ohne Steu­er­ver­mei­dung unmög­lich war, und dass die sozia­le Hän­ge­mat­te doch nicht glück­lich macht, son­dern eher in den Alko­ho­lis­mus im sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Plat­ten­bau treibt. Die Sache hat­te auch ganz dunk­le Sei­ten wie eine begeis­ter­te Umset­zung eines Pro­gramms für Ras­sen­hy­gie­ne und Euge­nik – auch die Ent­schei­dung, ob man Kin­der bekom­men soll­te, wur­de auf die gro­ße Fami­lie der sozi­al­de­mo­kra­tisch regier­ten Nati­on verlagert.

Wenn man aber soweit ist, dass sich selbst Poli­zis­ten nicht mehr sicher in der Öffent­lich­keit bewe­gen kön­nen, mit­hin von der ver­spro­che­nen Gebor­gen­heit auch der letz­te Rest ver­flo­gen ist, dann ist das Kon­zept des ‚Volks­heims‘ end­gül­tig hin­über. Dass man nachts nicht mehr auf die Stra­ße kann, das ist wirk­li­che ’sozia­le Käl­te‘, und dass im Win­ter die Näch­te nicht nur kalt son­dern arg lang sind, macht die Sache nicht besser.

Die Kri­mi­nel­len grei­fen gleich zur Handgranate

Die­se Ent­wick­lung war bei der schwe­di­schen Poli­tik der unge­re­gel­ten Mas­sen­ein­wan­de­rung in die Sozi­al­sys­te­me eigent­lich vor­her­seh­bar. Die Leis­tungs­be­zie­her füh­len sich ganz offen­sicht­lich nicht als Teil einer gro­ßen schwe­di­schen Fami­lie, und trotz des Leis­tungs­be­zugs sind sie mit ihrer Lage im Plat­ten­bau nach­voll­zieh­bar unzu­frie­den, was sich dann in unkon­trol­lier­ten Gewalt­aus­brü­chen ent­lädt. Gewalt­aus­brü­che, Brand­stif­tung, Kra­wall, und all dies vor dem Hin­ter­grund eines Stadt­teils, in dem auto­chtho­ne Schwe­den schon lan­ge nicht mehr nen­nens­wert ver­tre­ten sind, das ist nicht das ver­spro­che­ne Volksheim:

Die schwe­di­sche Poli­zei betreibt eine Lis­te von mitt­ler­wei­le 60 ‚gefähr­de­ten Gebie­ten‘, auch bekannt als ’no-go zones‘, weil Ret­tungs­dienst und Feu­er­wehr ohne Poli­zei­schutz kaum noch dahin kön­nen, und auch die Poli­zei nur unter Ein­schrän­kun­gen. Die Kri­mi­nel­len begnü­gen sich längst nicht mehr mit Kurz­waf­fen, son­dern grei­fen gleich zur Hand­gra­na­te oder zur Bom­be, mit sol­cher Häu­fig­keit, dass die Poli­zei in Mal­mö die Ein­woh­ner vor der Gefahr durch unex­plo­dier­te Spreng­kör­per gewarnt hat – das kennt man sonst eigent­lich nur aus dem Krieg oder bes­ten­falls vom Trup­pen­übungs­platz. Trygg ist da schon lan­ge nichts mehr.

Wo die Hoheit über die Stra­ße ver­lo­ren ist bleibt noch die Meinungshoheit

Wie zu erwar­ten, hat sich gegen die­se Ent­wick­lun­gen eine Gegen­be­we­gung gebil­det, die Schwe­den­de­mo­kra­ten. Die wer­den oft als Rechts­extre­mis­ten bezeich­net, aber in vie­ler­lei Hin­sicht sind sie eher die letz­ten Anhän­ger der skan­di­na­visch-sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Idee des Volks­heims. Ein Heim, ob es einem gefällt oder nicht, braucht eine Haus­tür, und es kann nicht jedem erlau­ben, her­ein­zu­kom­men und bes­ten­falls die Vor­rats­kam­mer leer­zu­räu­men, schlimms­ten­falls auch gleich das Wohn­zim­mer anzuzünden.

Wie eben­falls zu erwar­ten, haben die ‚Alt­par­tei­en‘ und die eta­blier­ten Medi­en dage­gen eine Wagen­burg gebil­det, wel­che auf die offen­sicht­li­chen Pro­ble­me und Wider­sprü­che nur noch damit regie­ren kann, den Mei­nungs­kor­ri­dor zu ver­en­gen und sei­ne Über­tre­tung zu ahn­den. Wo die Hoheit über die Stra­ße schon längst und offen­sicht­lich ver­lo­ren ist bleibt noch die Mei­nungs­ho­heit. Sehr gut (und aus gar nicht ‚rech­ter‘ Sicht, aber trotz­dem zu heiß für das Fern­se­hen) wur­de das in dem extrem sehens­wer­ten Doku­men­tar­film ‚A Swe­dish Ele­phant‘ thematisiert:

Eine sehr schlech­te Idee für die per­sön­li­che Sicherheit

Als Kana­ri­en­vo­gel in der Mine, des­sen Lei­den dem auf­merk­sa­men Betrach­ter die Gefahr früh­zei­tig vor Augen füh­ren soll­te, kann in Schwe­den, wie so oft, die jüdi­sche Gemein­schaft die­nen. Jüdi­sche Gemein­den kön­nen die Auf­wen­dun­gen für Sicher­heit nicht mehr stem­men, und nicht jeder hat Lust, sei­ne Reli­gi­on unter Gefähr­dung sei­nes Lebens auszuüben.

Die Fol­ge ist, dass jüdi­sche Gemein­den mit ihrem Aus­ster­ben bin­nen eines Jahr­zehnts rech­nen, durch das Weg­ster­ben der Alten und die Emi­gra­ti­on oder die Distan­zie­rung der Jun­gen. Aus per­sön­li­chen Gesprä­chen als ich mir 2016 bei einem Besuch eine Schwe­din ange­lacht hat­te, die zwar kei­ne Jüdin war, aber Hebrä­isch gelernt und län­ger Isra­el besucht hat­te, weiß ich, dass es selbst in den bes­se­ren Stadt­tei­len von Stock­holm eine sehr schlech­te Idee für die per­sön­li­che Sicher­heit ist, auch nur einen win­zi­gen Davids­stern als Anhän­ger als einer Hals­ket­te zu tra­gen, und die Syn­ago­ge wirkt auch eher fes­tungs­ar­tig als einladend.

Die Täter sind Ein­wan­de­rer, aber die Mehr­heits­ge­sell­schaft schaut zu und beschäf­tigt sich lie­ber mit der Aner­ken­nung ‚Paläs­ti­nas‘ als Staat, auch wenn dem offen­sicht­lich jede Staat­lich­keit fehlt.

Aus der ver­spro­che­nen Tryg­ghet wird in der Tat eine ‚gefähr­li­che, frem­de Welt‘, in die sich die Schwe­den gesto­ßen sehen, und nicht nur die Schwe­den. Schwe­den mit sei­ner wun­der­schö­nen Spra­che, sei­nen Seen, sei­nen Som­mer­wie­sen und sei­nen Lucia-Fei­ern ist alle­mal eine Rei­se wert. Aber es wird käl­ter und dunk­ler, und nicht nur wegen des Lau­fes der Jahreszeiten.

(Bild: ‚Mid­som­mardans‘ von Anders Zorn, 1897. Sein Haus in Mora ist sehr sehens­wert, wie auch sei­ne Bilder.)