Letzte Woche hatte ich darüber geschrieben, dass Lego sein Technic-Set der Bell Boeing Osprey im letzten Moment, nachdem bereits Sets bei Händlern waren, zurückgezogen hat. Ich habe mich darüber gewundert, dass es in einem bestimmt jahrelangen Prozess zur Herausgabe eines neuen Modells niemandem aufgefallen sein soll, dass es sich dabei um ein Militärflugzeug handelt, zumal Lego offenbar keinerlei Probleme mit der spielerischen Umsetzung barbarischer Hinrichtungsmethoden hat.
Der Antrieb zerlegt sich selbst
Es gibt nun, nachdem sich manche Fans doch die ersten an Händler ausgelieferten Exemplare beschaffen konnten, aber auch einen anderen möglichen Grund für Legos Rückzug: Offenbar ist das Design des Antriebs der Rotoren in dem Set derartig verkorkst, dass sich schon nach wenigen Minuten ein vollkommen überlastetes, winziges Plastikzahnrad selbst zerlegt:
Lego wird sich bestimmt nicht dazu äußern, was nun der Grund für den Rückzieher im letzten Moment war, das Designproblem oder die überraschende Erkenntnis, dass man eine Lizenz von einem Rüstungskonzern erworben hat. Beide Möglichkeiten wären aber gleichermaßen eine symbolische Repräsentation von Problemen im Kleinen, die unsere Gesellschaft auch im Großen hat.
War es wirklich die militärische Verwendung, dann habe ich dazu in meinem vorhergehenden Artikel schon alles geschrieben. Fast alles, denn die ‚Deutsche Friedensgesellschaft‘ war offenbar tatsächlich verpeilt genug, gegen das Modell Zeter und Mordio zu schreien und eine mehr als seltsame Demonstration mit einem als Legofigur verkleideten Aktivisten in Tarnkleidung abzuhalten. Nun ja.
Funktionstest bis zum Versagen
Wenn aber das technische Problem der Grund für den Rückzug war, dann hätte Lego hier tatsächlich in unrühmlicher Weise das Vorbild der echten Rüstungsindustrie kopiert, wo es ja offenbar schon auch einmal vorkommt, dass Waffen ausgeliefert werden, ohne ausprobiert worden zu sein. Die Osprey selbst hatte mit schweren Problem zu kämpfen, aber immerhin, sie ist ein innovativer Flugzeugtyp. Aber die Bundeswehr sitzt ja bis heute mit dem G36 auf einem Sturmgewehr, das heißgeschossen nicht treffen soll, und von dem das offenbar niemand ausprobiert hat. Das ist Technologie aus den Fünzigerjahren – seit Michail Kalaschnikows Design der AK-47 in den Vierzigern und Eugene Stoners Design der AR-15 in den Fünfzigern hat sich am Funktionsprinzip nichts Wesentliches mehr geändert. Von daher sollte die Sache eigentlich gut verstanden sein.
Ich persönlich weiß von meinem Wettbewerbskarabiner, wie er sich verhält und wie es sich auf die Präzision auswirkt, wenn man ihn heißschießt bis er aus allen Enden raucht. Dazu braucht man nur auf hinreichend spaßige Wettbewerbe zu gehen. Wenn man gleich die ganze Bundeswehr ausstatten will, dann sollte man aber eigentlich erwarten, dass auch jemand einen Funktionstest bis zum Versagen macht, z.B. so:
Aus naheliegenden Gründen des Spaßfaktors werden sich in einer Armee zur Not ohne Probleme Freiwillige finden, die das in ihrer Freizeit machen und einen Bericht über das Ergebnis schreiben. Aber wenn die Geschichte wirklich stimmt, dass die Probleme mit dem G36 zwei Jahrzehnte nach seiner Einführung im Zusammenhang mit dem ersten „heißen“ Einsatz in Afghanistan aufgefallen seien, dann hat offenbar vor der Einführung und auch danach, niemand, auf den gehört würde, das Gewehr einmal bis an seine Grenzen geschossen. Das ist für ein Gerät, dem unsere Soldaten mit ihrem Leben vertrauen sollen, durchaus erstaunlich.
Um die Lektion zu verallgemeinern: Wenn man ein technisches System von einiger Wichtigkeit in Masse einführt, dann sollte man es so intensiv bis zum Versagen testen, dass man weiß, welcher Mechanismus unter welchen Umständen das Versagen auslöst. Wenn Sie zehntausend Akkuschrauber kaufen wollen, dann schrauben sie vor der Entscheidung einmal mit zehn Exemplaren so lange, bis sie nicht mehr schrauben, und schauen sie sich an, was dabei passiert, wie sehr man sie dafür überlasten muss, und wie lange das dauert. Bei einem Spielwarenhersteller muss das nicht so intensiv sein wie bei einer Armee, aber es sollte doch auch kein Problem sein, große oder kleine Kinder dafür zu gewinnen, einen Entwurf bis zum Kaputtgehen zu bespielen.
Eine zu realistische Abbildung der Erwachsenenwelt
Was bei der Bundeswehr immerhin noch erstaunt ist in der Software-Branche und noch mehr bei intern genutzter Software von Großunternehmen selbstverständlich und toleriert: Andauernd und ohne mit der Wimper zu zucken wird Software an Kunden und Anwender ausgeliefert, die von den Entwicklern nie unter ernsthaften Bedingungen ausprobiert wurde. Die beste Software kommt aus naheliegenden Gründen oftmals nicht von groß geplanten Projekten, sondern von Leuten, die sie sich zur Lösung eines eigenen Problems selber geschrieben haben, aber das kann leider nicht jeder, entweder aus Gründen der Fähigkeiten oder solchen der Zeit.
Aber, zurück zu Lego, jetzt einmal im Ernst: Wollen die tatsächlich die Wirklichkeit der Erwachsenenwelt so gut modellieren, dass sie entweder ein Produkt herausbringen, ohne überhaupt zu wissen, wobei es sich dabei handelt, oder aber ein Produkt herausbringen, ohne dass jemand einmal bis zum Materialversagen damit gespielt hätte? Nein danke, diese Abbildung der Erwachsenenwelt ist mir zu realistisch. Im Spielzeug wie in der Erwachsenenwelt ersetzt die coole Abbildung auf der Verpackung und die Markenlizenz nicht die Funktion.