Nicht­wis­sen­schaft des Tages: „Zukunfts­for­schung“

Die FU Ber­lin hat einen Mas­ter­stu­di­en­gang ‚Zukunfts­for­schung‘ mit Anspruch auf Wis­sen­schaft­lich­keit. An der scheint es aber zu feh­len, und schwer­ge­wich­ti­ge Grün­de spre­chen dage­gen, dass so eine Wis­sen­schaft über­haupt mög­lich ist. Wäre ein Stu­di­en­gang ‚Mode­ra­ti­ons­tech­ni­ken‘ nicht dem Erreich­ba­ren angemessener?

Ben­to hat ein Inter­view mit einer „Zukunfts­for­sche­rin“, die „erklärt, wie der Neu­an­fang [nach der Coro­na­kri­se] gelin­gen kann.“ Ich will mich an der sym­pa­thisch wir­ken­den jun­gen Dame nicht abar­bei­ten, zumal man von einem Stu­di­en­an­fän­ger viel­leicht nicht erwar­ten kann, die Sinn­haf­tig­keit eines inter­es­sant klin­gen­den Fel­des vor Stu­di­en­an­tritt kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Mit dem Abschluss in der Tasche soll­te man ihn logi­scher­wei­se gut ver­kau­fen, und die Dame hat sich sogar selb­stän­dig gemacht, lebt also wohl nicht von der öffent­li­chen Hand in den Mund. Ihr Stu­di­en­fach, ein ‚Mas­ter­stu­di­en­gang Zukunfts­for­schung‘ an der FU Ber­lin, scheint mir aber eine kri­ti­sche Betrach­tung wert zu sein.

Die Eigen­dar­stel­lung die­ses Stu­di­en­gan­ges betont, dass es sich um „wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­se von Zukunfts­bil­dern“ hand­le. Nun wird man von einer Wis­sen­schaft eine ihr spe­zi­fi­sche Metho­dik erwar­ten dür­fen, und einen erkenn­ba­ren Fort­schritt von Wis­sen. Die­ser Fort­schritt ist in der Phy­sik am klars­ten gelun­gen, aber selbst in einem Feld, das ein­deu­tig nicht mehr unter den eng­li­schen Term ’sci­ence‘ fällt, wie der Phi­lo­so­phie wür­den die meis­ten Leu­te noch eine spe­zi­fi­sche Metho­dik und einen Fort­schritt erken­nen – Kant lehr­te Din­ge, die Aris­to­te­les ver­mut­lich sehr inter­es­sant gefun­den hät­te, und die ihn ver­mut­lich bewegt hät­ten, sein Sys­tem anders zu for­mu­lie­ren als er es tat.

Man redet also unter und mit ver­schie­de­nen Leuten

Eine sol­che spe­zi­fi­sche Metho­dik ist bei der Selbst­dar­stel­lung die­ses Stu­di­en­gangs aller­dings gera­de nicht erkenn­bar. Cha­rak­te­ris­tisch ist fol­gen­de Beschreibung:

Zukunfts­for­schung ist nach ihrem Selbst­ver­ständ­nis not­wen­di­ger­wei­se inter- und trans­dis­zi­pli­när. For­sche­rin­nen und For­scher aus Päd­ago­gik, Sozio­lo­gie, Psy­cho­lo­gie, Poli­tik­wis­sen­schaft, Sprach­wis­sen­schaf­ten, Öko­no­mie und Inge­nieurs­wis­sen­schaf­ten tref­fen in ihren Pro­jek­ten auf poli­ti­sche Ent­schei­dungs­trä­ger, sowie Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter aus Zivil­ge­sell­schaft, Wirt­schaft und öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen. Als trans­for­ma­ti­ve Wis­sen­schaft setzt die Zukunfts­for­schung auf die Ent­wick­lung von Hand­lungs­wis­sen, um Akteu­re unter­schied­li­cher Ein­satz­fel­der und die Gesell­schaft als Gan­zes zu befä­hi­gen, ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dun­gen in der Gegen­wart zu treffen.

Was ist Zukunfts­for­schung?, FU Berlin

Man redet also unter und mit ver­schie­de­nen Leu­ten. Dabei will man „trans­for­ma­tiv“ sein, wobei unklar bleibt, ob man selbst das Ziel gesell­schaft­li­cher Trans­for­ma­tio­nen vor­ge­ben will, oder ob man ledig­lich Mode­ra­tor in einem gesell­schafts­üb­grei­fen­den Dis­kurs über Wege und Zie­le sein will. Im ers­ten Fall wäre es die Erklä­rung will­kür­lich gesetz­ter gesell­schaft­li­cher For­de­run­gen zur Wis­sen­schaft, und im zwei­ten Fall wäre es eine Gesprächs­mo­de­ra­ti­on über Zukunfts­fra­gen. Bei­des ist aber dem Anspruch wie der Metho­de nach kei­ne Wissenschaft.

Auch die wei­te­re Beschrei­bung der in die­sem Stu­di­en­gang gelehr­ten Tech­ni­ken benennt eigent­lich Tech­ni­ken zur Mode­ra­ti­on eines Dis­kur­ses, wenn auch mit exo­tisch klin­gen­den Namen für ein­fa­che Kon­zep­te wie „Design Thin­king“ oder „Del­phi-Metho­de“ (wobei letz­te­re ja schon eine gewis­se Selbst­iro­nie in ihrem Namen trägt, die nicht jedem ihrer Anwen­der zugäng­lich ist). So ver­stan­den wäre die Zukunfts­for­schung ver­wandt mit Pas­to­ral­ar­beit, Psy­cho­the­ra­pie, Streit­mo­de­ra­ti­on, Unter­neh­mens­be­ra­tung, usw. – Dis­zi­pli­nen, die durch­aus wich­tig sind, aber die meis­tens kei­ne Wis­sen­schaft­lich­keit son­dern eher Hand­werks­cha­rak­ter in Anspruch neh­men, mit der Aus­nah­me der Psy­cho­the­ra­pie. Bei Letz­te­rer mag die­ser Anspruch auch damit zusam­men­hän­gen, ähn­lich wie die wis­sen­schaft­li­che Medi­zin in die Kos­ten­er­stat­tung der Kran­ken­kas­sen ein­be­zo­gen wer­den zu wol­len, obwohl sich die bear­bei­te­ten Pro­blem­stel­lun­gen einem wis­sen­schaft­li­chen Zugang bis­wei­len eher verschließen.

Als Stu­di­en­gang in Mode­ra­ti­ons­tech­ni­ken könn­te die­ser Stu­di­en­gang also sogar eini­ger­ma­ßen pro­duk­tiv sein, aber das wäre doch etwas ganz ande­res als der Eigen­an­spruch, auf „wis­sen­schaft­li­che“ Wei­se Zukunft vor­her­sa­gen und gestal­ten zu wollen.

Ist immer kra­chend geschei­tert und wird immer kra­chend scheitern

Es scheint mir auch klar, dass die­ses Ver­spre­chen einer hypo­the­ti­schen „Zukunfts­wis­sen­schaft“ immer kra­chend geschei­tert ist und schei­tern wird. Dis­zi­pli­nen wie Astro­lo­gie, Hiero­sko­pie, Auspi­zi­en usw., die als Kern­an­spruch eine Metho­dik zur Vor­aus­sa­ge der Zukunft und Hand­lungs­emp­feh­lung haben, hat­ten nie irgend­wel­che metho­di­schen Fort­schrit­te oder Erfol­ge zu ver­mel­den. Dis­zi­pli­nen mit Erfol­gen in der Vor­aus­sa­ge der Zukunft hin­ge­gen, klas­sisch die Phy­sik, haben eine bestimm­te Metho­de, die auf ihrem Feld extrem erfolg­reich ist, aber gera­de nicht in Anspruch nimmt, die Fra­gen beant­wor­ten zu kön­nen, mit denen man am ehes­ten zum Astro­lo­gen oder zum Zukunfts­for­scher gehen würde.

Bei vie­len inter­es­san­ten gesell­schaft­li­chen Fra­gen kommt hin­zu, dass es sich um kom­pe­ti­ti­ve Vor­gän­ge han­delt, bei denen die Betei­lig­ten ihr Ver­hal­ten nicht nur nach ihren eige­nen Zukunfts­er­war­tun­gen son­dern auch nach ihren Erwar­tun­gen der Zukunfts­er­war­tun­gen der Gegen­sei­te anpas­sen. Das ist dann Gegen­stand der Spiel­theo­rie, macht aber eine „Zukunfts­wis­sen­schaft“ für sol­che Gegen­stän­de wie mili­tä­ri­sche Stra­te­gie oder die Selek­ti­on von Geld­an­la­gen, die den Markt schla­gen wer­den, prin­zi­pi­ell unmög­lich und bringt sie auf eine ähn­li­che Serio­si­tät wie die Astro­lo­gie.

Im bes­ten Fall gute Fik­ti­on, wie bei Jules Verne

Selbst die Geschichts­wis­sen­schaft, die ja immer­hin gegen­über der Zukunfts­wis­sen­schaft den Vor­teil hat, dass die Ver­gan­gen­heit bereits ver­gan­gen ist und damit nicht den prin­zi­pi­el­len Unsi­cher­hei­ten der Zukunfts­pro­gno­se unter­liegt, ist ein­deu­tig kei­ne ’sci­ence‘, schon des­halb weil die expe­ri­men­tel­le Bestä­ti­gung von Ursa­chen und Wir­kun­gen unmög­lich ist und weil sie gera­de das Spe­zi­el­le einer ein­ma­li­gen geschicht­li­chen Situa­ti­on unter­sucht. Gute Geschichts­schrei­bung ist erzäh­lend und inter­pre­tie­rend, dabei natür­lich so eng wie mög­lich an eru­ier­ba­ren Fak­ten ori­en­tiert, deren Eru­ie­ren dann soweit wie­der wis­sen­schaft­lich sein kann. Weil sich die Zukunft nicht in der Art eru­ie­ren lässt wie die Ver­gan­ge­nen­heit, aber, wie die Ver­gan­gen­heit es war, eben­falls von Kon­tin­genz bestimmt ist, bleibt einer „Zukunfts­wis­sen­schaft“ nur das Erzäh­len ohne Fak­ten­ba­sis, und sie wird damit Fik­ti­on. Im bes­ten Fall gute Fik­ti­on, wie bei Jules Verne.

Das größ­te Pro­jekt mit dem Ziel, das Ver­ständ­nis der Geschich­te auf die Zukunft aus­zu­deh­nen und para­do­xer­wei­se die­se gleich­zei­tig bestim­men zu wol­len, der Mar­xis­mus, ist so kra­chend geschei­tert wie kaum ein Pro­jekt der Menschheitsgeschichte. 

Es gibt also gute Grün­de, sehr arge Zwei­fel zu haben, ob nicht eine „Zukunfts­wis­sen­schaft“ von vorn­her­ein zum Schei­tern ver­ur­teilt ist. Als Ossip K. Flecht­heim den Begriff der „Futu­ro­lo­gie“ (also des Wor­tes von der Zukunft) ein­ge­führt hat, räum­te er frei ein, dass dar­in jeden­falls noch kein Anspruch auf Wis­sen­schaft­lich­keit ste­cke. Brau­chen wir wirk­lich Stu­di­en­gän­ge in Wis­sen­schaf­ten, die nicht nur kei­ne sind, son­dern bei denen sehr schwer­ge­wich­ti­ge Grün­de dage­gen spre­chen, dass sie je wel­che sein wer­den? Wäre ein Stu­di­en­gang „Mode­ra­ti­ons­tech­ni­ken“ dem tat­säch­lich Erreich­ba­ren nicht viel angemessener?