Die Berliner Zeitung berichtet, dass wegen eines Photos, auf dem ein Polizist eines Sondereinsatzkommandos ein T‑Shirt der Marke Grunt Style trug (die auch ich gerne trage), die Beamten einer „nochmaligen Sensibilisierung“ unterzogen werden sollen, also wohl einer Standpauke über erwünschte und unerwünschte Kleidermarken.
Anlass war offenbar eine Anfrage der Grünen-Politikern June Tomiak, die irgendwie über dieses Photo gestolpert sein muss. Frau Tomiak scheint ausweislich ihrer Website einen Großteil ihrer Energie auf Veranstaltungen „Grün gegen Rechts“ zu verwenden. Der Innenstaatssekretär Torsten Akmann von der SPD beantwortete diese Anfrage dahingehend, es „erschein[e] vorliegend zweifelhaft“, ob das T‑Shirt geeignet sei, wie vorgeschrieben „das Ansehen der Polizei und Disziplin zu wahren und sich rückhaltlos für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ einzusetzen. Interessant an der Sache ist, dass der Beamte auf dem Photo eine Schutzweste trägt, unter der ein möglicherweise aufgedrucktes Motiv des T‑Shirts gar nicht sichtbar ist. Sichtbar ist lediglich das Logo des Herstellers. Die Aufregung bezieht sich also entweder auf den Hersteller als solchen oder aber auf ein nur imaginiertes Motiv.
„Es ist kein Mensch, es ist kein Tier“
Nun ist das Wort ‚grunt‘ im Namen des Herstellers etymologisch verwandt mit dem deutschen ‚Grunzen‘ und als Substantiv im Amerikanischen eine flapsige Bezeichnung für einen Infanteristen der Mannschaftsgrade. Die darin liegende Bedeutung entspricht ungefähr dem deutschen Spruch „Es ist kein Mensch, es ist kein Tier – es ist ein Panzergrenadier.“ Die Bekleidungsmarke Grunt Style wurde von ehemaligen Militärangehörigen gegründet und stellt vorwiegend bedruckte T‑Shirts her, die den Stolz auf das Vaterland, auf den Dienst in bestimmten Waffengattungen, die Solidarität mit der Polizei, die Freude an Waffen und dergleichen ausdrücken. Die Motive und Sprüche reichen dabei von subtil bis infantil, und sicher wäre nicht jedes geeignet, im Dienst oder sonst auf der Arbeit sichtbar getragen zu werden.
Selbst der Berliner Innenstaatssekretär von der SPD kam aber zum Schluss, dass es „keine Bezüge der Herstellerfirma zur rechtsextremen Szene“ gebe. Insofern ein möglicherweise vorhandener Aufdruck – sie machen auch T‑Shirts ohne Aufdruck außer der Marke und der Nationalflagge – gerade nicht sichtbar war, auch die Marke keiner bestimmten politischen Richtung außer allgemeinem Patriotismus in einem befreundeten Land zugeordnet werden kann, sollte damit eigentlich kein Problem bestehen.
Damit, dass kein Problem besteht, sollte dann eigentlich auch die Sache abgeschlossen sein, denn für eine künstlerische Bewertung von Bekleidungsmarken ist der Staat nicht zuständig. Der Hinweis darauf, sich „rückhaltlos für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ einzusetzen, ist in diesem Zusammenhang nachgerade unverschämt, denn es gibt nicht den geringsten Hinweis, dass der Beamte das nicht tun würde. Vermutlich entspricht sein allgemeines Lebensgefühl nicht in allen Belangen dem von Frau Tomiak oder Herrn Akmann, aber das ist soweit nicht verboten. Eine Reichskleiderkammer zur Bewertung von Kleidermarken als „besonders wertvoll“ oder eben nicht ist von unserer Rechtsordnung nicht vorgesehen.
Die Nationalflagge eines anderen Landes auf dem Ärmel
Ein mögliches Problem gäbe es vielleicht schon, aber das wurde offenbar weder erkannt noch angesprochen: Die T‑Shirts von Grunt Style haben fast alle auf dem linken Arm das im inkriminierten Photo zu sehende Firmenlogo und auf dem im Photo nicht zu sehenden rechten Arm die amerikanische Nationalflagge. Dass ein Polizeibeamter eines Landes bei einem bewaffneten Einsatz in hoheitlicher Funktion die Nationalflagge eines anderen Landes auf dem Ärmel trägt, wäre in der Tat nach traditionellen Kriterien eigentlich unpassend, auch wenn eine Verwechslungsgefahr offensichtlich nicht bestand.
Das Photo entstand offenbar bei einem Einsatz am 6. Juni, bei dem eine Filiale von Real in der Karl-Marx-Straße (!?) in Neukölln mit vorgehaltenem Messer überfallen wurde. Auf seinem solchen Schnappschuss, vermutlich aus einiger Distanz mit einem Teleobjektiv aufgenommen, fehlt der Kontext. Es könnte beispielsweise sein, dass der Beamte aus seiner Freizeit gerufen wurde, und da eben nicht seine Dienstbekleidung sondern ein in der Freizeit unverfängliches T‑Shirt trug.
Das übermäßig martialische Auftreten liegt nicht im T‑Shirt unter der Weste
Man kann sich bei diesem Photo und dem Anlass des Einsatzes – einem Raubüberfall mit Messern – natürlich so seine Fragen stellen. Beispielsweise die, warum der zweite Beamte von links in dem Photo seinen geladenen Karabiner in eine Richtung vielleicht 30 Grad nach oben hält, ohne aber dahin zu zielen. Eine sichere Richtung zum Halten ist das in einer städtischem Umgebung eigentlich nicht, zumal der Lauf direkt auf der Höhe der Köpfe der anderen Beamten ist. Vielleicht gab es dafür einen guten Grund, vielleicht auch nicht.
Grundsätzlicher könnte man sich fragen, ob es sinnvoll ist, wegen eines Angriffs mit Messern das SEK zu schicken, und folglich auf es zu warten, und ob der Auftritt in Tarnfarbe, Gesichtsmasken und mit mehreren Magazinen an den Westen wirklich besonders angemessen ist. Wenn man in diesem Bild ein übermäßig martialisches Auftreten sehen will, dann doch bitteschön nicht in einem nicht sichtbaren, nur imaginierten Motiv auf einem unter der Weste getragenen T‑Shirt! Immerhin: Der Einsatz galt einem tatsächlich stattgefundenen Überfall und nicht der reinen Machtdemonstration beim Transport eines Gefangenen oder dem brachialen Eindringen in eine Wohnung, in der kein Notfall vorliegt.
Bietet Deutschland seinen Neubürgern überhaupt eine Perspektive der positiven emotionalen Identifikation?
Es gibt aber auch noch eine andere und nochmals grundsätzlichere Frage, die mir bei dieser Sache in den Sinn kommt. Deutschland ist ja, unter dem Jubel eines erheblichen Teils der Bevölkerung, wenn auch ohne dementsprechende Debatte gefolgt von Parlamentsbeschlüssen, zu einem Einwanderungsland der Extreme geworden. In Amerika sieht man den Stolz auf die ausgesuchte und durch Arbeit, nicht nur den Zufall der Geburt, erworbene Nationalität auch und oftmals gerade bei Einwanderern, und durchaus bisweilen ausgedrückt durch das Tragen von Bekleidung wie der von Grunt Style.
Ich frage mich nun, wie Integration überhaupt möglich sein soll, wenn selbst das entspannte Tragen von patriotischen T‑Shirts anderer Nationen zu Aufregung und Beschwerden führt, und zwar gerade nicht, weil im Dienst als deutscher Beamter ein Bezug auf die eigene Nation angemessener wäre, sondern weil Patriotismus selbst dann suspekt erscheint, wenn es der der anderen ist. Die natürlichste Konsequenz gelungener Integration wäre doch eigentlich der Satz „Ich bin stolz, Deutscher zu sein,“ sowohl in dieser Formulierung als auch in etwas flapsigeren, wie eben T‑Shirts oder Rufen bei Sportereignissen oder politischen Reden. Wenn dieses Empfinden und sein Ausdruck aber schon bei Autochthonen als total unerwünscht gelten, bietet dann Deutschland seinen Neubürgern überhaupt eine Perspektive der positiven emotionalen Identifikation? Und ist Integration ohne solche Identifikation, in eine dahingehend desintegrierte Gesellschaft, überhaupt denkbar?