Lewis Hamilton, einer der erfolgreichsten Formel 1‑Fahrer aller Zeiten, ist auf den #BLM-Zug aufgesprungen. Sein Profil auf Twitter zeigt die drohend ausgestreckte Faust als sein Photo und er bemerkte, dass die Aufregung über den Fall George Floyd „zu einem globalen Erwachen über den systemischen Rassismus geführt hat, den jede Person von Farbe [‚person of colour‘] auf der Welt bezeugt und erfährt, und mit dem ich nur zu vertraut bin.“ Aber Hamilton fühlt sich nicht nur schlecht behandelt, sondern „es bricht mein Herz“, so sagt er, dass sich manche seiner Teamkollegen nicht an den Protesten beteiligten, denn „die Ungerechtigkeit siegt wenn man neutral bleibt.“ Er bezieht das nicht auf existierende oder auch nicht existierende Probleme Schwarzer im Allgemeinen, sondern auf sich selber:
Die unveränderte Zusammensetzung der Formel 1‑Gemeinschaft während meiner Karriere erzeugt das Gefühl, dass nur ein bestimmter Typ von Person in diesem Sport wirklich willkommen geheißen wird, jemand mit einem bestimmten Aussehen, der von einem bestimmten Hintergrund kommt, in eine bestimmte Gussform passt, und nach bestimmten ungeschriebenen Gesetzen spielt. Sogar heute fragen mich die Medien andere Fragen als meine Wettbewerber und machen direkte und indirekte Anschuldigungen – du bist nicht britisch genug, du bist nicht bescheiden genug, wirst von der Öffentlichkeit nicht genug geliebt.
‚Lewis Hamilton launches motorsport diversity commission‘, Sky Sports, 20.06.2020
Starker Tobak. Der Mann, der sich vom Formel 1‑Zirkus schlecht behandelt fühlt ist nämlich nicht nur einer der erfolgreichsten und gefeiertsten Formel 1‑Fahrer aller Zeiten, sondern auch der bestverdienende. Die Sponsoren jedenfalls lieben ihn, und das täten sie vermutlich weniger, wenn er beim vorwiegend weißen und männlichen Publikum nicht doch beliebt wäre. Wenn jemand in diesem Zirkus eine dominante Stellung hat, dann er.
‚Privileg‘ hat er in der Tat genossen
Man kann übrigens schon an der unterliegenden Prämisse seiner Schwarzheit Zweifel haben. Hamilton hat eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater. Vom Aussehen her geht er ohne Probleme auch als mediterran durch. Er sieht sich als den „ersten schwarzen Fahrer“ in der Formel 1. Nun soll sich natürlich jeder sein Selbstbild aussuchen dürfen, aber jedenfalls der Abstammung und dem Aussehen nach könnte er sich mit gleichem Recht als weißen Fahrer bezeichnen. Wenn er nun einer der erfolgreichsten und der reichste Fahrer seiner Sportart ist, woher weiß man denn, ob das jetzt Ausdruck seines halben ‚weißen Privilegs‘ oder seiner halben schwarzen Diskriminierung ist? Sollte er den Titel des ‚ersten schwarzen Fahrers‘ nicht jemandem überlassen, der keine weißen Eltern hat?
‚Privileg‘ hat er aber in der Tat genossen, allerdings in einem anderen Zusammenhang. In den Rennsport kommt man nicht aus dem Schulsport. Die meisten erfolgreichen Fahrer, so auch Hamilton, haben im Grundschulalter angefangen, und das geht nur mit Eltern, die dafür die nötige Zeit, das nötige Geld und die nötige Begeisterung haben. Hamiltons Vater hat, wie es bei erfolgreichen Sportlern in materialintensiven und ortsgebundenen Exotensportarten nicht unüblich ist, anderthalb Jahrzehnte lang praktisch sein ganzes Leben der Rennkarriere seines Sohnes untergeordnet.
Ähnliche Geschichten gibt es oft bei erfolgreichen Skifahrern, Reitern und so weiter. Anfängliche Förderung durch den Sportlehrer oder den örtlichen Fußballverein wird es für die Formel 1 nicht tun. Selbst in einem Sport, den ich ausübe, dem Schnellschießen, das einmal von erwachsenen Männern dominiert wurde, erzielen heute sechzehnjährige Mädchen Spitzenleistungen, an die man kaum herankommt, wenn man später im Leben angefangen hat. Logischerweise aber nur, wenn die Mädchen außer Talent auch Eltern haben, welche selber im Schießsport begeistert aktiv sind, denn auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird man als Einsteiger mit sechs Jahren niemanden außer den eigenen Eltern finden, der einem eine Schusswaffe in die Hand gibt und einem das Schießen beibringt.
Da ist die eigentliche Ungerechtigkeit, eine des Lebens selbst
Die größte Diskriminierung im Rennsport, genauso wie beispielsweise im Reitsport, ist damit ganz einfach. Um wirklich gut zu werden sollte man früh anfangen, um früh anzufangen braucht man eine ganz ungewöhnliche Unterstützung der Eltern, und die riesige Mehrzahl der Kinder aus jedem Land, jeder Rasse, jedes Geschlechts, jeder sozioökonomischen Lage bekommt diese Unterstützung nicht. Da ist die eigentliche Ungerechtigkeit, eine des Lebens selbst, die man nicht wird abstellen können, ohne den Rennsport oder andere Sportarten, die mehr als einen Fußballplatz brauchen, abzuschaffen.
Es wird vermutlich niemand vorschlagen, dass Sechsjährige in der Schule sich gegen den Willen der verängstigten Eltern in staatlich finanzierte und potent motorisierte Carts setzen dürfen sollen. Hamiltons Geschichte ist damit keine der Unterdrückung sondern außergewöhnlichen Glücks, ‚Privileg‘ würde man neudeutsch sagen, dass er diese Unterstützung seiner Eltern bekommen hat. Auch der Umstand seines außergewöhnlichen Talents selber ist natürlich ein solches ‚Privileg‘, das den meisten Leuten nicht zukommt. In diesem speziellen Sport aber hat auch die große Mehrzahl der außergewöhnlich Talentierten nicht die Chance, ihr Talent überhaupt erst zu entdecken und dann auszubauen.
Damit könnte sich eine ganz einfache und rasseneutrale Interpretation der Überrepräsentation Weißer in der Formel 1 im Vergleich zur Weltbevölkerung ergeben: Diese Variante des Rennsports ist vorwiegend in Europa populär. Wenn jetzt vorwiegend europäische Kinder früh mit dem Rennsport anfangen, vorwiegend europäische Kinder die dafür nötige und ziemlich ungewöhnliche Förderung ihrer Eltern erhalten, und ein späterer Quereinsteig eher schwierig ist, verwundert es dann, dass die meisten Fahrer aussehen wie typische Europäer?
Ist es ein Zeichen von Rassismus, dass im Skispringen Weiße im Allgemeinen und Skandinavier im Besonderen stärker vertreten sind als Afrikaner? Ist es ein Zeichen von Rassismus, dass mehr gute Schlittenhundefahrer aus Alaska kommen als aus Indien? Ist es aber auch ein Zeichen von Rassismus, dass Indien mehr gute Cricket-Spieler produziert als Deutschland?
Würde man es als besonders großes Problem empfinden, wenn in Indien ein Cricket-Spieler, der etwas deutsch aussieht und halb deutscher Abstammung ist, dabei so erfolgreich, dass er den ganzen Sport aufmischt, in besonderer Weise Gegenstand der Betrachtung, gelegentlich auch der gehässigen, in den Boulevardmedien wäre? Wäre diese Betrachtung überhaupt weniger gehässig, wenn auch vielleicht mit einem anderen Aufhänger, würde er mehr aussehen wie die anderen, oder kommt sie nicht schon mit dem überragenden Erfolg an sich?
Ist ein Programm, für das man einen „schwarzen Hintergrund“ haben muss, wirklich eine gute Idee?
Hamilton will jetzt mit der Royal Academy of Engineering ein Institut schaffen, The Hamilton Commission, deren Ziel es sein soll, „herauszufinden wie der Motorsport als ein Vehikel benutzt werden kann, mehr junge Menschen mit schwarzen Hintergründen an Fächer aus Wissenschaft, Technik, Ingenieurwissenschaften und Mathematik (MINT) heranzuführen und sich schließlich in unseren Teams oder anderen Feldern der Ingenieurwissenschaften zu beschäftigen.“
Ist es wirklich eine gute Idee, wenn eine halbstaatliche Institution wie die Royal Academy of Engineering ein Programm auflegen will, das sicher viele Jungen interessieren würde (zu den Mädchen kommen wir noch), für das man aber einen „schwarzen Hintergrund“ haben muss? Was ist mit den rennbegeisterten weißen Jungs, deren Eltern entweder Motorsport schlecht finden oder schlicht nicht das Geld oder die Zeit haben? Wie definiert sich eigentlich der „schwarze Hintergrund“? Muss der im Vordergrund stehen? Wie soll er nachgewiesen werden wenn er nicht dem Aussehen nach offensichtlich ist, was er beim namensgebenden Fahrer nicht ist? Trägt, wenn ein solches Program tatsächlich darauf hinauslaufen sollte, dass es für Weiße mit roten Haaren nicht offen ist, das wirklich zu einem Abbau von Rassenspannungen bei? Ohne eine Einschränkung auf den „schwarzen Hintergrund“ dürften sich bei einem Rennprogramm für Kinder oder Jugendliche in Europa allerdings in der Mehrzahl Weiße einfinden, schlicht der Bevölkerungszusammensetzung geschuldet.
Sollte Lewis Hamilton nicht seinen Platz in der Männerliga für eine Frau freimachen?
Wenn wir aber schon bei der Diskriminierung und bei Maßnahmen gegen sie sind, wie steht’s eigentlich mit der Intersektionalität? In den Kernländern der Formel 1 sind rund die Hälfte der Bevölkerung weiblich, so wie in anderen auch. Damit sind Frauen offensichtlich massivst unterrepräsentiert, denn bisher gab es in der Formel 1 nur zwei davon, die bei einem Rennen gestartet sind, Maria Teresa de Filippis und Lella Lombardi, mit dem letzten Start anno 1976. Und wenn wir schon intersektionell werden: Meines Wissens ist noch kein einziger Transsexueller bei der Formel 1 angetreten, auch wenn da die Unterrepräsentation wegen ihres geringeren Anteils an der Bevölkerung weniger schreiend ist als bei den Frauen.
Sollte Lewis Hamilton nicht seinen Platz in der Männerliga für eine Frau freimachen, idealerweise mit Transquote, und seinen Kollegen raten, es ihm gleichzutun? Wenn sich die Zahlen und Erfolge der Frauen dann immer noch nicht einstellen, dann freue ich mich auf die Debatte ob das überhaupt oder gar ausschließlich an Diskriminierung liegt, oder vielleicht eher daran, dass sich die meisten Mädchen weniger für körperlich fordernde Risikosportarten interessieren als Jungen, und dass riskanter physischer Leistungsvergleich als Imponiergehabe auch im Tierreich häufiger ein männlicher Charakterzug zu sein scheint.
Bezüglich Herrn Hamilton braucht man sich diese Frage allerdings nicht zu stellen. Er wollte es, er kann es, er hatte das seltene Glück intensiver früher Förderung, und seine Karriere ist der beste Beweis dafür, dass Rassendiskriminierung eben nicht entfernt der bestimmende Faktor ist, der Talent aus dem Formel 1‑Zirkus heraushält. Hamilton jammert auf wirklich allerhöchstem Niveau.
„Abscheuliche Tat“
Nebenbei: In Amerika hat NASCAR gerade seinen eigenen Rassismusvorwurf. In der Teamgarage des schwarzen Fahrers Bubba Wallace wurde angeblich ein Galgenstrick gefunden, der als Todesdrohung gegen den schwarzen Fahrer interpretiert wurde. Wallace schrieb, dass „die abscheuliche Tat“ ihn „unglaublich traurig macht und als eine schmerzhafte Erinnerung dient, wie viel weiter wir als Gesellschaft zu gehen haben und wie hartnäckig wir im Kampf gegen den Rassismus sein müssen.“ Kollegen solidarisierten sich, das Kommentariat war entsetzt, das volle Programm.
Das FBI wurde hinzugezogen, und es stellte sich heraus: Der Strick war in der Garage schon seit letztem Jahr und wurde schlicht zum Schließen der Garage verwendet, während Wallaces Team die Garage erst letzte Woche zugewiesen bekam. Der Rassismus war jedenfalls in diesem Fall ausschließlich im Kopf von jemandem, der beleidigt und traurig und wütend sein wollte.