Fake­Tech: Eine Zukunftsindustrie

‚FinTech‘-Unternehmen wie das jetzt in Tur­bu­len­zen gera­te­ne Wire­card haben einen Anreiz, sich als Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men dar­zu­stel­len. Vie­le sol­cher ‚Tech‘-Unternehmen haben aber kei­ne Tech­nik als Wett­be­werbs­vor­teil, son­dern ste­hen in einem Wett­be­werb um Netz­werk­ef­fek­te. Bei einem sol­chen Wett­be­werb kann der Gewin­ner enor­me Pro­fi­te ein­fah­ren, aber die meis­ten Teil­neh­mer sind Ver­lie­rer. Wenn das Wachs­tum aus­bleibt kommt die Ver­su­chung zum Betrug. Wire­card und WeWork als Fall­bei­spie­le und War­nun­gen. Ich schla­ge für sol­che Unter­neh­men den Begriff ‚Fake­Tech‘ vor.

Das soge­nann­te ‚FinTech‘-Unternehmen Wire­card, eigent­lich ein Zah­lungs­ab­wick­ler, ist in erheb­li­che Tur­bu­len­zen gera­ten, nach­dem offen­bar rund zwei Mil­li­ar­den Euro, die angeb­lich auf aus­län­di­schen Treu­hand­kon­ten geparkt sei­en, nicht exis­tie­ren. Einer der Geld­ge­ber, die damit wohl ziem­lich viel Geld ver­lo­ren haben, ist Soft­Bank, eine japa­ni­sche Betei­li­gungs­ge­sell­schaft. Die hat mit Ali­baba, wo aus einer Inves­ti­ti­on von zwan­zig Mil­lio­nen bis zum Bör­sen­gang sech­zig Mil­li­ar­den wur­den, einen spek­ta­ku­lä­ren Erfolg, von dem sie lan­ge zeh­ren kann, aber auch eine Rei­he von spek­ta­ku­lär geschei­ter­ten Inves­ti­tio­nen, zu denen jetzt wohl auch Wire­card gehört. Ein Teil der Erklä­rung des Pro­blems scheint mir in Begrif­fen wie ‚Fin­Tech‘ oder auch nur ‚Tech‘ zu lie­gen, wel­che die Geschäfts­mo­del­le der geschei­ter­ten Inves­ti­tio­nen fun­da­men­tal falsch dar­stel­len und uner­füll­ba­re Erwar­tun­gen wecken. Aus uner­füll­ba­ren Erwar­tun­gen könn­te dann mit einer gestei­ger­ten Wahr­schein­lich­keit auch Betrug wer­den, damit die schö­ne Par­ty (noch) nicht aufhört.

Um zu ver­ste­hen, war­um ‚Fin­Tech‘ und all­ge­mei­ner ‚Tech‘-Unternehmen oft­mals nicht das sind, was sie zu sein behaup­ten, müs­sen wir etwas aus­ho­len und damit anfan­gen, Tech­nik zu defi­nie­ren. Es wird sich dann schnell zei­gen, dass Start­ups eigent­lich nichts mit Tech­nik son­dern eher mit Netz­werk­ef­fek­ten zu tun haben, aber die Behaup­tung exklu­si­ver tech­ni­scher Fähig­kei­ten brau­chen, um Inves­to­ren erklä­ren zu kön­nen, war­um sie in einem Ver­drän­gungs­wett­be­werb um die Markt­füh­rer­schaft bestehen wer­den. Die­ses Argu­ment kann man sogar bei so offen­sicht­lich untech­ni­schen Bran­chen wie der Büro­ver­mie­tung für eine Wei­le erfolg­reich machen, aber am Ende wird es kollabieren.

Eine zwie­späl­ti­ge Bezie­hung zur Tech­nik und zum Techniker

‚Tech­nik‘, von grie­chisch τέχνη für ‚Kunst‘ oder ‚Hand­werk‘, bezeich­net den ziel­ge­rich­te­ten Umgang des Men­schen mit der phy­si­schen Welt, in der er sich fin­det, und deren Nutz­bar­ma­chung ihm einen unge­ahn­ten Fort­schritt in prak­tisch allen Lebens­be­rei­chen ermög­licht hat. Wenn man von ‚Tech­nik‘ als Bran­che spricht, dann wird man aber nicht jeden sol­chen Umgang mei­nen, unter den auch bei­spiels­wei­se das hand­werk­li­che Kochen fällt, son­dern sol­che wirt­schaft­li­chen Unter­neh­mun­gen, die ihren Wett­be­werbs­vor­sprung aus inno­va­ti­ven Tech­ni­ken bezie­hen, zu deren Pra­xis Kon­kur­ren­ten (noch) nicht im glei­chen Maße fähig sind. Ein leis­tungs­stär­ke­rer und effi­zi­en­te­rer Motor ist Tech­nik, eine Kame­ra, die schö­ne­re Bil­der mit weni­ger Licht macht, ist Tech­nik. Ein neu­ar­ti­ges auf einem abstru­sen Syn­the­se­weg gewon­ne­nes Medi­ka­ment ist es eigent­lich auch, wobei die Heil­kunst aber tra­di­tio­nell nicht unter die Tech­nik gezählt wird, ver­mut­lich weil das eigent­li­che Objekt ihrer Bear­bei­tung der Mensch ist und nicht die unbe­leb­te Umwelt.

Die Moder­ne hat eine zwie­späl­ti­ge Bezie­hung zur Tech­nik und zum Tech­ni­ker. Einer­seits ver­dan­ken wir der Tech­nik offen­sicht­lich nicht nur die Befrie­di­gung vie­ler unse­rer Bedürf­nis­se son­dern auch unse­re nack­te Exis­tenz, jeden­falls in der Anzahl, in der wir als Men­schen leben. Ande­rer­seits ist die­sel­be Tech­nik Gegen­stand eines Unbe­ha­gens, das sich einer­seits schrift­stel­le­risch, z.B. bei Heid­eg­ger, ande­rer­seits in der All­tags­kul­tur mit der Furcht nicht nur vor dem ‚Atom­tod‘ son­dern auch vor dem ‚Elek­tro­smog‘ und der Unzu­frie­den­heit mit der ‚Appa­ra­te­me­di­zin‘ ausdrückt.

Eine deut­lich gerin­ge­re Cool­ness und sexu­el­le Anzie­hungs­kraft als der Rockstar

Die Bewer­tung des Tech­ni­kers sel­ber ist ähn­lich zwie­späl­tig. Einer­seits fal­len MINT-Fächer unter die Auf­for­de­rung „Jun­ge, lern was Ver­nünf­ti­ges!“, aber ande­rer­seits wird dem Tüft­ler oder Inge­nieur in der All­tags­kul­tur eine deut­lich gerin­ge­re Cool­ness und sexu­el­le Anzie­hungs­kraft nach­ge­sagt als dem Rock­star und mit tech­ni­schem und mathe­ma­ti­schem Unwis­sen koket­tiert. Finan­zi­ell sieht es für den Tech­ni­ker gemischt aus: Man kann von der Beherr­schung der Tech­nik oft­mals gut oder sehr gut leben, aber spek­ta­ku­lär reich wer­den eher die Bes­ten unter den Ver­käu­fern, die vom Cha­rak­ter her oft­mals das genaue Gegen­teil des Tech­ni­kers sind, ins­be­son­de­re auf einer Ach­se der Psy­cho­me­trie, die man zwi­schen Autis­mus und Sozio­pa­thie auf­span­nen könnte.

Man kann als inno­va­ti­ver Tech­ni­ker natür­lich auch wirt­schaft­lich und sozi­al schei­tern, als ver­kann­ter Erfin­der, wohin­ge­gen es kei­nen ver­kann­ten Ver­käu­fer geben kann, denn des­sen Erfolg misst sich nicht an der Erfin­dung, deren Wert­schät­zung spä­ter revi­diert wer­den kann, son­dern am Ver­kauf. Anstel­le des ver­kann­ten Erfin­ders gibt es beim Ver­käu­fer das Gegen­teil, den Ver­käu­fer, des­sen Wert­schät­zung spä­ter vom Posi­ti­ven ins Nega­ti­ve revi­diert wird, nach­dem sich das ver­kauf­te Gut als wert­los und der Ver­käu­fer als Schar­la­tan oder Betrü­ger her­aus­ge­stellt haben.

Ska­len- und Netzwerkeffekte

Bei vie­len Unter­neh­men, die sich als ‚Tech‘ bezeich­nen, ist die­se Defi­ni­ti­on von Tech­no­lo­gie aber kei­nes­falls der ange­streb­te Wett­be­werbs­vor­teil, son­dern sie zie­len auf Vor­tei­le ab, die sich aus Ska­len- und Netz­werk­ef­fek­ten spei­sen. In Märk­ten mit sol­chen Vor­tei­len bil­den sich oft­mals zumin­dest zeit­wei­se natür­li­che Mono­po­le oder Oli­go­po­le her­aus, die dann spek­ta­ku­lär pro­fi­ta­bel sein können.

Ein inzwi­schen klas­si­sches Bei­spiel wäre Micro­soft. Die hat­ten nie die inno­va­tivs­ten Algo­rith­men oder auch nur die bes­te Fähig­keit, funk­ti­ons­fä­hi­ge Stan­dard­soft­ware zu ent­wi­ckeln, eher im Gegen­teil. Dar­auf kam es aber nicht an. Mit dem Coup, ein rudi­men­tä­res und bil­lig ein­ge­kauf­tes Betriebs­sys­tem für teu­er Geld an IBM zu lizen­zie­ren, leg­te Gates des Grund­stein zu einer Geld­druck­ma­schi­ne, bei der Kun­den Micro­soft-Pro­duk­te nicht wegen ihrer Leis­tung kau­fen, son­dern weil ande­re sie auch kau­fen. Soft­ware­ent­wick­ler schrei­ben für Micro­soft-Betriebs­sys­te­me, weil Kun­den Micro­soft-Betriebs­sys­te­me haben, und Kun­den haben Micro­soft-Betriebs­sys­te­me, weil Ent­wick­ler dafür Soft­ware schrei­ben. Gleich­zei­tig sind bei Soft­ware die Grenz­kos­ten einer wei­te­ren ver­kauf­ten Lizenz prak­tisch Null, so dass aus der all­ge­gen­wär­ti­gen Ver­brei­tung des Pro­dukts enor­me Pro­fit­mar­gen ent­stan­den sind.

Enor­me Pro­fi­te für den Gewin­ner des Wettrüstens

Das Pro­blem ist jetzt natür­lich, dass wenn sich in einem neu­en Feld, viel­leicht von einer neu­en Tech­nik eröff­net, sol­che Ska­len- und Netz­werk­vor­tei­le abzeich­nen, vie­le Wett­be­wer­ber ver­su­chen wer­den, eine von die­ses Effek­ten getra­ge­ne domi­nan­te Markt­po­si­ti­on zu errin­gen. Dar­aus ergibt sich das Kon­zept des extern finan­zier­ten Start­ups, das kei­nes­wegs ein­fach ein Unter­neh­men in der Grün­dungs­pha­se ist, denn für die meis­ten neu­ge­grün­de­ten Unter­neh­men wäre eine aggres­si­ve exter­ne Finan­zie­rung rui­nös. (Wenn Sie eine Hand­werks­bä­cke­rei auf­ma­chen wol­len: Hal­ten Sie sich von Kre­di­ten fern, und von jeder Form per­sön­li­cher Haf­tung dafür erst recht! Wenn die Bäcke­rei nicht aus Ein­nah­men orga­nisch wach­sen kann, machen Sie lecke­re­re Bröt­chen, bes­se­re Wer­bung oder geben Sie auf.) Das Ziel des Start­ups ist nicht, ein trag­fä­hi­ges Geschäfts­mo­dell mög­lichst schnell zu errei­chen, son­dern in einem Wett­rüs­ten zwi­schen Kon­kur­ren­ten mög­lichst schnell Markt­an­tei­le auf­zu­bau­en, unter Inkauf­nah­me von Ver­lus­ten und des­we­gen unter der Vor­aus­set­zung exter­ner Finan­zie­rung. Der Gewin­ner die­ses Wett­rüs­tens kann sich dann mög­li­cher­wei­se enor­mer Pro­fi­te erfreuen.

Hier­mit ergibt sich aber das nächs­te Pro­blem: Die meis­ten Teil­neh­mer des Wett­rüs­tens um Netz­werk­ef­fek­te wer­den kei­ne Gewin­ner sein, son­dern von dem Gewin­ner vom Markt ver­drängt wer­den. Bes­ten­falls kön­nen sie dann die Kata­stro­phe noch abwen­den, indem sie sich von Gewin­nern auf­kau­fen las­sen, aber reich wird man davon eher nicht. Wie soll man unter die­sen Umstän­den also exter­ne Geld­ge­ber oder auch nur man­gels Cash teil­wei­se mit Akti­en­op­tio­nen ent­lohn­te Ange­stell­te von der Sache überzeugen?

Die exklu­si­ve Tech­no­lo­gie wäre der Zau­ber­stab für den Erfolg

Das bes­te Argu­ment für den Erfolg des Start­ups im Wett­be­werb um Markt­an­tei­le wäre, wenn es bei sei­nem Pro­dukt einen tat­säch­li­chen tech­ni­schen Vor­teil hät­te, den Kon­kur­ren­ten nicht nach­ma­chen kön­nen. Damit ergibt sich der Grund, war­um Start­ups so ger­ne im Sili­con Val­ley – in dem schon lan­ge kei­ne bedeu­ten­den Halb­lei­ter­fa­bri­ken mehr sind – resi­die­ren und sich so ger­ne als ‚Tech‘-Firmen ausgeben.

Wenn man eine der Kon­kur­renz nicht zugäng­li­che Tech­nik hät­te, dann wäre das in der Tat ein Argu­ment für den Wett­be­werbs­vor­teil, und damit für die Inves­ti­ti­on exter­nen Kapi­tals. Die exklu­si­ve Tech­nik wäre der Zau­ber­stab für den Erfolg. Wenn man aber die größ­ten Inves­ti­tio­nen exter­nen Kapi­tals bekom­men kann, dann kann man dar­auf hof­fen, sich damit unter Inkauf­nah­me von Ver­lus­ten Markt­an­tei­le kau­fen zu kön­nen, die zum Erfolg füh­ren, auch wenn die über­le­ge­ne Tech­nik eigent­lich nicht exis­tiert. Damit kann die ange­streb­te domi­nan­te Markt­po­si­ti­on doch noch wahr werden.

Die Ver­su­chung zur Selbst­dar­stel­lung als ‚Tech‘-Unternehmen wird damit offen­sicht­lich. Am Anfang über­zeugt man damit Ange­stell­te, ers­te Inves­to­ren und nicht zuletzt sich selbst von den Erfolgs­aus­sich­ten. Bei wei­ter fort­ge­schrit­te­nem Wachs­tum wird mit die­ser Selbst­dar­stel­lung eine höhe­res Kurs-Gewinn-Ver­hält­nis der mitt­ler­wei­le viel­leicht öffent­lich gehan­del­ten Aktie gerecht­fer­tigt, also immer noch der Zugang zu bil­li­gem Geld.

Schwie­rig wird es nun spä­tes­tens bei Fel­dern, bei denen über­le­ge­ne Tech­nik offen­sicht­lich ziem­lich wenig mit dem Pro­dukt oder dem Erfolg zu tun hat. Aber auch bei Fel­dern, auf denen Tech­nik einen plau­si­blen Zusam­men­hang mit dem Erfolg hat, kann die­ser Zusam­men­hang schwä­cher sein als gedacht. Das tech­nisch bes­se­re Pro­dukt hat kei­ne Erfolgs­ga­ran­tie. Auch hier­für ist Micro­soft ein klas­si­sches Beispiel.

Ein Begriffs­vor­schlag: FakeTech

Ich möch­te einen Begriff vor­schla­gen für Fir­men, deren Gewinn­hoff­nung auf der Nut­zung von Ska­len- und Netz­werk­ef­fek­ten beruht und die die Wahr­schein­lich­keit ihres Erfolgs mit Tech­nik begrün­den, obwohl der Zusam­men­hang oder auch nur das Vor­han­den­sein der Tech­nik eher zwei­fel­haft erschei­nen: ‚Fake­Tech‘.

Bleibt das ver­spro­che­ne Wachs­tum nun aus, so hat man als Manage­ment ein Pro­blem. Weil man sich das Wachs­tum durch Ver­lus­te erkauft blu­tet das Unter­neh­men Geld, und ohne Über­gang zur Pro­fi­ta­bi­li­tät oder neu­es Geld wird es kol­la­bie­ren. Man muss also etwas ver­kau­fen: Ent­we­der Pro­dukt, zu einem pro­fi­ta­blen Preis, oder Finanz­in­stru­men­te wie Akti­en oder Anlei­hen. Wenn ers­te­res nicht gelingt und letz­te­res man­gels Erfolgs­aus­sich­ten immer schwie­ri­ger wird, dann ist die Ver­su­chung zur irre­füh­ren­den oder fal­schen Dar­stel­lung der wirt­schaft­li­chen Lage offen­sicht­lich. Ohne wäre näm­lich Schluss.

‚Fin­Tech‘ ist FakeTech

Wenn wir uns nun ‚Fin­Tech‘, also ‚Tech‘-Firmen im Finanz­sek­tor, betrach­ten, dann wird schnell klar, dass ‚Fin­Tech‘ nahe­zu auto­ma­tisch Fake­Tech ist, und dass Wire­card hier kei­ne Aus­nah­me ist.

Das Ver­bu­chen von Über­wei­sun­gen ist im Kern kein tech­ni­sches Pro­blem, genau­so wenig wie die Ein­schät­zung der Kre­dit­wür­dig­keit eines Kun­den usw. Sol­che Vor­gän­ge wer­den zwar durch Tech­nik effi­zi­en­ter, aber die­se Tech­nik besteht schlicht­weg aus den Fort­schrit­ten der Infor­ma­ti­ons­tech­nik, die von Fir­men in die­sem Seg­ment bereit­ge­stellt werden.

Die Tech­nik einer Bank kann man sich im Grun­de mehr oder weni­ger schlüs­sel­fer­tig kau­fen, was man dar­an sieht, dass win­zi­ge Genos­sen­schafts­ban­ken immer noch im Geschäft blei­ben kön­nen. Der Rest, die Inte­gra­ti­on von Sys­te­men usw., ist dann im Grun­de mehr eine Fra­ge von gutem Pro­jekt­ma­nage­ment als von tech­ni­scher Über­le­gen­heit. Der wirk­li­che Erfolgs­fak­tor ist die pro­fi­ta­ble Kun­den­ak­qui­se. Wer schon ein­mal in der Finanz­bran­che gear­bei­tet oder sonst einen tie­fe­ren Ein­blick bekom­men hat, wird fest­ge­stellt haben, dass auch und viel­leicht sogar gera­de in sehr erfolg­rei­chen Fir­men der Stand der Infor­ma­ti­ons­tech­nik nicht effek­tiv und schon gar nicht inno­va­tiv ist, was dem Erfolg aber kei­nen Abbruch tut.

Von die­ser Regel, dass Erfolg in der Finanz­wirt­schaft nicht auf Tech­nik basiert, gibt es eini­ge Aus­nah­men. Gewis­se Arten des hoch­fre­quen­ten Han­dels mit Wert­pa­pie­ren bei­spiels­wei­se set­zen einen Vor­teil gegen­über Wett­be­wer­bern in der Latenz­zeit von Signal­ver­ar­bei­tung oder der Lauf­zeit von Signa­len vor­aus, und das gibt dann in der Tat inter­es­san­te tech­ni­sche Pro­ble­me auf dem Feld der Elek­tro­nik. Die Unter­neh­men, die das kön­nen, brau­chen aber kein exter­nes Kapi­tal, wer­den des­halb schon gar nicht öffent­lich gehan­delt, und hal­ten sinn­vol­ler­wei­se die Klap­pe über ihr Tun um kei­ne Nach­ah­mer anzu­lo­cken, die viel­leicht etwas Schnel­le­res ent­wi­ckeln wür­den. Als ‚Fin­Tech‘ bezeich­nen sie sich nicht.

Wire­card: Inno­va­tio­nen in der Buchhaltung?

Bei der Zah­lungs­ab­wick­lung, dem Geschäft von Wire­card, jeden­falls ist eine Abhän­gig­keit von über­le­ge­ner Tech­no­lo­gie oder deren Exis­tenz kei­nes­falls offen­sicht­lich. Am ehes­ten gibt es einen sol­chen Zusam­men­hang noch bei Model­len zur Erken­nung betrü­ge­ri­scher Trans­ak­tio­nen, aber auch da sind erfolg­rei­che Model­le nor­ma­ler­wei­se nicht sehr kom­plex, son­dern der Vor­teil ent­steht schlicht dadurch, mehr Trai­nings­da­ten als ande­re zu haben, also als Skalenvorteil.

Der Vor­stands­vor­sit­zen­de von Wire­card, Mar­kus Braun, hat zwar ger­ne pro­gram­ma­ti­sche Reden gehal­ten. „Es macht mir viel Freu­de, auf der Bug­wel­le der Inno­va­ti­on zu agie­ren“, sag­te er, und sprach davon „das Bezah­len unsicht­bar zu machen“, was dann im Grun­de doch nur Din­ge wie eine in ein Arm­band inte­grier­te Kre­dit­kar­te mit Radio­trans­pon­der waren. Es ist damit also unklar, aus wel­chen tech­ni­schen Inno­va­ti­on die „Bug­wel­le der Inno­va­ti­on“ getrie­ben wer­den soll­te, oder ob es sich nicht viel­mehr um Inno­va­tio­nen im Ver­trieb von Wert­pa­pie­ren oder in der Buch­hal­tung handelte.

Es ist damit auch ohne das Ver­schwin­den von Mil­li­ar­den schwer erklär­bar, womit genau man die Bewer­tung von Wire­card, zu Spit­zen­zei­ten 2018 mit mehr als dem 60-fachen des Gewinns, recht­fer­ti­gen woll­te. Eine sol­che Bewer­tung lässt sich nur mit phan­tas­ti­schen Wachs­tums­aus­sich­ten recht­fer­ti­gen, und zu deren Plau­si­bi­li­tät braucht es die Erzäh­lung von der über­le­ge­nen Tech­nik, die unbe­grenz­tes Wachs­tums schaf­fen wird. Daher ‚Fin­Tech.‘

Wenn der Markt die Geschich­te von der über­le­ge­nen Tech­nik und des von ihr gene­rier­ten Wachs­tums nicht mehr glaubt, dann wird es eng. Noch enger wird es, wenn der Unter­neh­mens­chef die Akti­en des eige­nen Unter­neh­mens in drei- oder vier­stel­li­gen Mil­lio­nen­wer­ten auf Kre­dit kauft. Da könn­te schon eine Rück­kehr zur Bewer­tung eines eigent­lich soli­den, aber irgend­wie auch lang­wei­li­gen Unter­neh­mens für Zah­lungs­in­fra­struk­tur die­se gehe­bel­te Posi­ti­on zum Plat­zen brin­gen. Dass eine sol­che Struk­tur zu Ver­su­chun­gen füh­ren kann, den Akti­en­wert um jeden Preis zu sta­bi­li­sie­ren, liegt irgend­wie nahe. (Noch ein Tipp: Kau­fen Sie kei­ne Akti­en auf Kre­dit. Kau­fen Sie, wenn Sie es ver­mei­den kön­nen, gar nichts auf Kre­dit, und wenn dann nur Din­ge, die Ihnen eine sonst unzu­gäng­li­che hohe Ren­di­te ermög­li­chen, sagen wir eine Aus­bil­dung. Und wenn Sie reich sind, kau­fen Sie um Him­mels Wil­len nichts auf Kre­dit wenn sie reich blei­ben wollen.)

WeWork: Ein beson­de­res Ver­hält­nis zur Realität

Einen Ehren­platz in der Lis­te von ‚Tech‘-Fehlgriffen von Soft­Bank weit vor Wire­card kommt ohne Fra­ge WeWork zu, einem Ver­mie­ter von Büro­flä­che, des­sen Bör­sen­gang letz­tes Jahr geplatzt ist. Schon eine ober­fläch­li­che Betrach­tung des Geschäfts­mo­dells legt nahe, dass dar­an nichts ‚Tech‘ ist, und noch nicht ein­mal ‚Start­up‘. Ver­mie­ten hat kei­ne rie­si­gen Ska­len­vor­tei­le. Wenn man Häu­ser kauft oder mie­tet und dann wei­ter­ver­mie­tet, dann ist das tau­sends­te Haus nicht bil­li­ger als das ers­te. Es bringt also nichts, sich mit Gewalt Grö­ße zu erkau­fen. Ein Vor­teil durch ande­ren unzu­gäng­li­che Tech­nik exis­tiert offen­sicht­lich auch nicht, und Netz­werk­ef­fek­te auch nicht wirk­lich. Die vom Unter­neh­men gefor­der­te Bewer­tung als Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men mit phan­tas­ti­schem Gewinn­wachs­tum ließ sich durch nichts recht­fer­ti­gen, denn es han­del­te sich schlicht­weg um ein Ver­mie­tungs­un­ter­neh­men, des­sen Gewinn­span­ne enge Gren­zen gesteckt sind.

Dass WeWork sich über­haupt eine Wei­le als Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men posi­tio­nie­ren konn­te, kann man wohl nur der Per­sön­lich­keit des Grün­ders Adam Neu­mann zuschrei­ben. Obwohl die­se Geschich­ten mehr als unter­halt­sam sind, will ich es bei einem Satz belas­sen: Neu­mann soll vor ande­ren Leu­ten davon geträumt haben „der ers­te Bil­lio­när der Welt zu wer­den, mit WeWork auf den Mars zu expan­die­ren, ewig zu leben, und Pre­mier­mi­nis­ter von Isra­el oder Prä­si­dent der Welt zu sein.“ Das sind hoch­ge­steck­te Zie­le für einen Ver­mie­ter von Büro­flä­che. Man darf ihm wohl ein beson­de­res Ver­hält­nis zur Rea­li­tät attes­tie­ren, das er zumin­dest zeit­wei­se auch auf ande­re über­tra­gen konnte. 

Ich möch­te Ihnen daher nahe­le­gen, wenn Ihnen jemand etwas von ‚Tech‘ erzählt zu prü­fen ob es Tech­nik oder Fake­Tech ist. Beruht der Plan des Unter­neh­mens auf ihm exklu­si­ven Fähig­kei­ten zur tech­ni­schen Nutz­bar­ma­chung der Natur? Wenn nicht, dann ist es kein Tech­nik­un­ter­neh­men. Ist ein auf die Nut­zung von Ska­len- und Netz­werk­ef­fek­ten gerich­te­tes Start­up, aber kein Tech­nik­un­ter­neh­men: Wor­auf soll der Wett­be­werbs­vor­teil, der die Durch­set­zung gegen­über Kon­kur­ren­ten im Wett­be­werb um den Gewin­ner­platz ermög­licht, beru­hen? Wenn Sie dar­auf kei­ne befrie­di­gen­de Ant­wort erhal­ten, zie­hen Sie zumin­dest die Mög­lich­keit in Betracht, dass es sie nicht gibt.