Hitz­kopf oder Rassist?

War der Tod Geor­ge Floyds ein ras­sis­tisch moti­vier­ter Mord? Eini­ge Indi­zi­en spre­chen dage­gen, und in einer nicht unähn­li­chen Geschich­te mit umge­kehr­ter Rol­len­ver­tei­lung käme nie­mand auf die Idee, das zu behaup­ten. Die Medi­en, wel­che ohne Berück­sich­ti­gung der Fak­ten die Geschich­te vom ras­sis­ti­schen Mord hin­aus­po­sau­nen, reprä­sen­tie­ren einen Nie­der­gang des Jour­na­lis­mus und fachen Kon­flik­te an. Ande­re, nuan­cier­te­re Inter­pre­ta­ti­on die­ses Zusam­men­tref­fens eines Gewalt­kri­mi­nel­len und eines Poli­zis­ten mit einer Lita­nei von Beschwer­den und Schie­ße­rei­en lie­gen näher.

Die gegen­wär­ti­gen Pro­tes­te, Plün­de­run­gen und Brand­stif­tun­gen gegen angeb­li­che oder wirk­li­che Poli­zei­ge­walt hän­gen sich bekann­ter­ma­ßen am Tod von Geor­ge Floyd bei einer aus dem Ruder gelau­fe­nen Fest­nah­me auf, von dem sich vie­le Demons­tran­ten und Medi­en lan­ge vor jedem Ermitt­lungs­ver­fah­ren und lan­ge vor jedem Urteil sicher sind, dass es ein ras­sis­ti­scher Mord gewe­sen sei. Floyd starb nach­dem er am Hals fixiert wur­de, auch dann noch, als er sich beschwert hat, kei­ne Luft zu bekom­men, und anschei­nend selbst dann noch, als einer der Beam­ten sei­nen Puls geprüft und kei­nen gefun­den hat:

Aber muss das ras­sis­tisch moti­viert sein? Ras­sis­ti­sche Belei­di­gun­gen fie­len anschei­nend nicht, und der ein­zi­ge Anhalts­punkt für Ras­sis­mus ist offen­bar, dass Floyd schwarz war und die Beam­ten weiß und asiatisch.

Käme irgend­ein ver­nünf­ti­ger Mensch auf die Idee, dass Smit­hs Han­deln nicht nur hitz­köp­fig und über­trie­ben bru­tal son­dern ras­sis­tisch gewe­sen wäre?

Viel­leicht ist es zur Illus­tra­ti­on des Sach­ver­halts auf­schluss­reich, eine nicht völ­lig unähn­li­che Geschich­te mit umge­kehr­ter Ver­tei­lung der Haut­far­ben zu betrach­ten. Der ame­ri­ka­ni­sche Bas­ket­ball­spie­ler J. R. Smith, Links­ak­ti­vist und Demons­trant, kam nach Hau­se, bemerk­te, wie ein wei­ßer Ran­da­lie­rer sein Auto zer­stö­ren woll­te, und ver­pass­te ihm kur­zer­hand eine Tracht Prü­gel, die über eine Jeder­mann­fest­nah­me hin­aus­ging und auch gleich die Stra­fe der Tat beinhaltete:

Smit­hs Fuß­trit­te gegen den Kopf des Täters waren wie Floyds Fixie­rung am Hals mit einer nicht uner­heb­li­chen Gefahr des Todes oder blei­ben­der Schä­den am Täter behaf­tet, der Täter war bereits am Boden und hat von sei­ner Tat abge­las­sen, und Smith scheint durch­aus kör­per­lich in der Lage gewe­sen zu sein, den Täter zu fixie­ren und der Poli­zei zuzu­füh­ren. Damit liegt eine Not­wehr­über­schrei­tung nahe, auch wenn der Täter ver­mut­lich von einer Anzei­ge abse­hen wird, die gleich­zei­tig eine Selbst­an­zei­ge min­des­tens wegen Van­da­lis­mus sein würde.

Aber käme irgend­ein ver­nünf­ti­ger Mensch auf die Idee, dass Smit­hs Han­deln nicht nur hitz­köp­fig und über­trie­ben bru­tal son­dern ras­sis­tisch gewe­sen wäre? Jedem, der das behaup­te­te, wür­de zu Recht ent­ge­gen­ge­hal­ten, dass es dafür kei­ner­lei Anhalts­punk­te gibt, dass alles dafür spricht, dass Smith einen Schwar­zen genau­so ver­mö­belt hät­te, und dass die­se halt­lo­se Behaup­tung offen­bar der Schaf­fung von Unfrie­den die­nen solle.

Anhalts­punk­te, die für ande­re Erklä­run­gen sprechen

Auch bei der Fest­nah­me Floyds gibt es kei­ne star­ken Anhalts­punk­te, dass die Bru­ta­li­tät der Poli­zei­be­am­ten ras­sis­tisch moti­viert war, aber es gibt eini­ge Anhalts­punk­te, die für ande­re Erklä­run­gen sprechen:

Floyd war ein Gewohn­heits­kri­mi­nel­ler mit regel­mä­ßi­gem Kon­takt mit der Straf­jus­tiz. Die Krö­nung sei­ner kri­mi­nel­len Kar­rie­re – neben Dieb­stäh­len und Betäu­bungs­mit­tel­de­lik­ten – war ein bru­ta­ler Über­fall auf ein Wohn­haus in Hous­ton. Einer der Täter erschlich sich als Mit­ar­bei­ter des Was­ser­werks ver­klei­det Zugang zur Woh­nung, sechs Täter, dar­un­ter Floyd, stürm­ten die Woh­nung, und Floyd drück­te einem Bewoh­ner eine Pis­to­le an den Kör­per (und sol­che Figu­ren hal­ten dabei nicht den Fin­ger flach an der Sei­te), schlug die Bewoh­ner, ver­lang­te Geld und Betäu­bungs­mit­tel, und erbeu­te­te Schmuck und ein Mobil­te­le­phon. In dem Haus war auch ein ein­jäh­ri­ges Kind. Dafür gab es für texa­ni­sche, aber sogar für deut­sche Ver­hält­nis­se bei sei­nem vor­he­ri­gen Vor­stra­fen­re­gis­ter äußerst mil­de fünf Jahre.

Ankla­ge gegen Geor­ge Floyd wegen schwe­ren Raubes

Das Vor­ge­hen Floyds bei die­sem bewaff­ne­ten Über­fall war von einer erheb­li­chen Rück­sichts­lo­sig­keit gegen­über dem Leben und der Psy­che der Opfer gekenn­zeich­net, aber auch gegen­über dem eige­nen, denn wer so vor­geht, der muss auch mit töd­li­chem Wider­stand der Opfer oder einem töd­li­chen Kampf mit der Poli­zei rechnen.

Die an der Fest­nah­me in Min­nea­po­lis betei­lig­ten Poli­zis­ten konn­ten das nicht wis­sen, aber in die­sem Beruf lernt man, die Leu­te ein­zu­schät­zen, so dass es gut mög­lich ist, dass sie davon aus­gin­gen, einen bru­ta­len Gewalt­kri­mi­nel­len vor sich zu haben. Das ist kei­ne Recht­fer­ti­gung für Bru­ta­li­tät, aber es legt doch die Mög­lich­kei­ten nahe, dass sie ent­we­der Angst vor Floyds Gewalt­tä­tig­keit hat­ten oder mein­ten, er brau­che eine sofor­ti­ge Abrei­bung, oder bei­des. Ver­bo­ten ist davon zumin­dest letz­te­re Moti­va­ti­on, aber ras­sis­tisch ist sie nicht.

Wei­ter­hin haben Geor­ge Floyd und der Poli­zist Derek Chau­vin offen­bar eine Wei­le im glei­chen Nacht­club gear­bei­tet, Floyd als Tür­ste­her und Chau­vin als Poli­zei­prä­senz. (In Ame­ri­ka ist es vie­ler­orts erlaubt und üblich, dass sich Poli­zis­ten außer­halb ihrer Dienst­zeit ein Zubrot erwer­ben dür­fen, indem sie in Uni­form als bezahl­te Sicher­heits­leu­te her­um­ste­hen – eine Pra­xis mit offen­sicht­li­chen Inter­es­sen­kon­flik­ten, aber das ist ein ande­res The­ma.) Die bei­den haben sich also mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit gekannt, und auch das legt die Mög­lich­keit nahe, dass da ande­re Kon­flik­te als all­ge­mei­ner Ras­sen­hass am Werk waren.

Schließ­lich, als ganz ein­fa­che Moti­va­ti­on, hat Floyd mit sei­nen rund 100 Kilo­gramm sich gewei­gert, in das Poli­zei­fahr­zeug ein­zu­stei­gen, das ihn abtrans­por­tie­ren soll­te. Der Gedan­ke, dass die Beam­ten sich in dem nach Ansicht ihrer Trä­ger der Uni­form schul­di­gen Respekt ver­letzt gefühlt hat­ten, kei­ne Lust hat­ten, ihn mit Gewalt da hin­ein­zu­he­ben, und ihm des­we­gen völ­lig unab­hän­gig von sei­ner Ras­se eine Abrei­bung ver­pas­sen woll­ten, um ihn koope­ra­ti­ver zu machen, liegt nicht fern. Auch das ist straf­bar, aber nicht rassistisch.

Zwei sehr unsym­pa­thi­sche Menschen

Nun ist es bei­lei­be nicht so, dass die betei­lig­ten Poli­zis­ten oder die Poli­zei von Min­nea­po­lis als Orga­ni­sa­ti­on in der Sache gut aus­sä­hen. Die betei­lig­ten Beam­ten, ins­be­son­de­re Chau­vin, hat­ten eine Lita­nei an Beschwer­den ange­sam­melt, die unty­pisch sein dürf­te. Er war in einen töd­li­chen Ver­kehrs­un­fall ver­wi­ckelt, und in vor­her­ge­hen­de Schie­ße­rei­en. Bei denen war zwar den Umstän­den nach töd­li­che Gewalt gerecht­fer­tigt. Einer der Betei­lig­ten hat bei­spiels­wei­se Chau­vin mit einer Flin­te bedroht, bei der ein Tref­fer auf kur­ze Ent­fer­nung extrem ungüns­tig aus­geht. Aber ande­rer­seits kann man die­se Anhäu­fung von Beschwer­den, berech­tigt oder nicht, und Kämp­fen mit töd­li­chen Waf­fen, den unmit­tel­ba­ren Umstän­den nach offen­bar gerecht­fer­tigt, doch als erheb­li­ches Indiz anse­hen, dass es mit Chau­vin ein sys­te­ma­ti­sches Pro­blem gab, das Anlass für eine Inter­ven­ti­on hät­te sein müs­sen. Details zu den Vor­wür­fen sind lei­der nicht ver­füg­bar. Die mäch­ti­gen Poli­zei­ge­werk­schaf­ten ver­ste­hen es, Tarif­ver­trä­ge aus­zu­han­deln, in denen den Poli­zis­ten ein unan­ge­mes­se­ner Schutz vor der Beleuch­tung ihres Tuns und vor dis­zi­pli­na­ri­schen oder schlicht auf Unfä­hig­keit gestütz­ten Maß­nah­men zuteil wird.

Es gibt bei der Beur­tei­lung des Ver­hal­tens Chau­vins in vor­he­ri­gen Fäl­len und auch im vor­lie­gen­den auch einen wei­ten Spiel­raum zwi­schen dem Extrem des Vor­wurfs „ras­sis­ti­scher Mord“ und dem ande­ren Extrem exem­pla­ri­scher Poli­zei­ar­beit. Nicht jeder Mord ist ras­sis­tisch, nicht jedes Tötungs­de­likt ist ein Mord, nicht jede sinn­lo­se Tötung ist ein Tötungs­de­likt, und die blo­ße Ver­mei­dung von straf­ba­ren Tötungs­de­lik­ten ist kei­ne Leis­tung, für die man Bezah­lung und Respekt ver­lan­gen kann. Man kann bei­spiels­wei­se auch eine Ten­denz haben, sich durch bru­ta­les, unsi­che­res, unge­plan­tes oder sonst unge­eig­ne­tes Ver­hal­ten in Not­wehr­si­tua­tio­nen zu brin­gen. Das ist dann nicht straf­bar, soll­te aber genau­so Kon­se­quen­zen haben, wie wenn ein Arzt regel­mä­ßig dum­me Behand­lungs­feh­ler macht, die zum Tod von Pati­en­ten füh­ren. Der muss auch nicht kri­mi­nell sein, schon gar kein Mör­der, aber er kann hin­rei­chend unfä­hig sein, dass er von Pati­en­ten fern­ge­hal­ten wer­den muss. Nicht anders bei der Polizei.

Ich ken­ne die Wahr­heit, was genau vor­ge­fal­len ist, genau­so wenig wie ande­re. Ein Betei­lig­ter ist tot, die vier ande­ren Betei­lig­ten dürf­ten von ihren Anwäl­ten fürs ers­te zu strik­tem Schwei­gen ver­don­nert wor­den sein, zwei Aut­op­sien kom­men zu teil­wei­se wider­sprüch­li­chen Ergeb­nis­sen, das Kame­ra­ma­te­ri­al der Poli­zei ist noch nicht ver­öf­fent­licht, und die Sach­ver­stän­di­gen dürf­ten noch eine gan­ze Wei­le beschäf­tigt sein. Es wür­de mich aber nicht wun­dern, wenn sich die Sache am Ende so dar­stel­len wür­de, dass sich da zwei sehr unsym­pa­thi­sche Men­schen, deren Talent die Dees­ka­la­ti­on nicht war, unglück­lich getrof­fen haben, wie das all­ge­mein bei sol­chen Vor­fäl­len oft ist. Nach den Unter­su­chun­gen und Gerichts­ver­fah­ren wis­sen wir hof­fent­lich mehr.

Nie­der­gang des Journalismus

Die als poli­ti­sche kor­rek­te Wahr­heit her­aus­po­saun­te Geschich­te vom ras­sis­ti­schen Mord ist also zumin­dest ohne Bele­ge, wäh­rend es durch­aus Anhalts­punk­te für ande­re, nuan­cier­te­re Inter­pre­ta­tio­nen gibt. Davon fin­det sich erstaun­li­cher­wei­se in den deut­schen Qua­li­täts­me­di­en wenig bis nichts, wäh­rend beim „die Bestra­fung der an dem Mord betei­lig­ten Poli­zis­ten“ schon wie­der das tra­di­tio­nel­le „mut­maß­lich“ ent­behr­lich wur­de und auch die ras­sis­ti­sche Moti­va­ti­on nicht als blo­ße Mut­ma­ßung gekenn­zeich­net wird.

Auch der „Mord“, selbst wenn man den Redak­tio­nen Über­set­zungs­schwie­rig­kei­ten von „third-degree mur­der“ und juris­ti­sche Unkennt­nis zugu­te hält, als sol­cher, nicht nur die Moti­va­ti­on, ist frag­lich. Sowohl die Hals­fi­xie­rung Floyds als auch Smit­hs Trit­te gegen den Kopf waren unklug, weil die­se Art von Gewalt öfters zum Tod führt, und sie waren bru­tal, aber eine Tötungs­ab­sicht folgt dar­aus nicht, auch nicht (jeden­falls bis zur Puls­kon­trol­le bei Floyd) eine bil­li­gen­de Inkauf­nah­me. Laut behörd­li­chem Aut­op­sie­be­richt soll Floyd sowohl herz­krank gewe­sen sein als auch unter dem Ein­fluss von Fen­ta­nyl gestan­den und nicht lan­ge vor­her Metham­phet­amin kon­su­miert haben, was dazu bei­getra­gen haben könn­te, dass eine Behand­lung, die als Abrei­bung gedacht war, zum Tod führte.

Wir erle­ben hier also, man muss es lei­der sagen, einen Nie­der­gang des Jour­na­lis­mus, sei es aus per­sön­li­cher Über­zeu­gung, sei es der Auf­la­ge wegen, und ohne jede Rück­sicht dar­auf, ob dadurch sozia­le Span­nun­gen ange­heizt wer­den und Men­schen, die nicht zwi­schen den Zei­len lesen kön­nen oder wol­len, dadurch zu Wut und manch­mal zu Kri­mi­na­li­tät auf­ge­hetzt wer­den. Gleich­zei­tig sorgt die Vor­ver­ur­tei­lung in den Medi­en auch dafür, dass man die nächs­te Run­de des Mor­dens, Sen­gens und Plün­derns schon als vor­her­seh­bar anneh­men darf, soll­ten die betei­lig­ten Poli­zei­be­am­ten bei einer Gerichts­ver­hand­lung frei­ge­spro­chen oder zu gerin­ge­ren Stra­fen wegen Delik­ten unter­halb des Mor­des oder Tot­schlags ver­ur­teilt werden.

Die­ses Medi­en­ver­sa­gen wur­de aller­dings von offi­zi­el­ler Sei­te vor­weg­ge­nom­men, ange­fan­gen mit dem Bür­ger­meis­ter von Min­nea­po­lis, der den Nerv zu dem Satz hat­te: „Die mini­ma­len Fak­ten, die ich gese­hen habe, brin­gen mich sicher zu der Über­zeu­gung, dass der Vor­fall mit Ras­se zu tun hat­te.“ Ja, wenn die betrach­te­ten Fak­ten so mini­mal sind, wäre es dann nicht ange­mes­sen, mit der Zuschrei­bung von Moti­ven, die aus den Fak­ten eben nicht her­vor­ge­hen, etwas zu war­ten, und viel­leicht lie­ber den Umgang der Stadt mit pro­ble­ma­ti­schen – egal aus wel­chen Grün­den – Poli­zei­be­am­ten zu prüfen?

Wer frei­lich in Kennt­nis der Vor­ge­schich­te Floyds, sei­nes Angriffs auf fried­li­che (und einer Min­der­heit ange­hö­ri­ge, wenn das einen Unter­schied macht) Men­schen mit töd­li­chen Waf­fen, aus­ge­rech­net ihn zu einer Gali­ons­fi­gur irgend­wel­cher sozia­ler For­de­run­gen macht, der muss sich dann schon fra­gen las­sen, ob er wirk­lich nur gegen unbe­rech­tig­te Poli­zei­ge­walt ist, oder ob er nicht viel­mehr bru­ta­le Gewalt legi­ti­mie­ren will, wenn sie nur von der rich­ti­gen Sei­te kommt. Zum Hei­li­gen taugt Floyd genau­so wenig wie Chauvin.