Coro­na im Nicht­so­zia­lis­ti­schen Wirtschaftsgebiet

Winand von Peters­dorffs Arti­kel in der FAZ „War­um Coro­na in Ame­ri­ka so wütet“ ist eine fak­ten- und logik­be­frei­te Gene­ral­ank­la­ge gegen das Land, in dem er lebt.

Es war ein­mal eine Zeit, in der man die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne zuver­läs­sig vom Neu­en Deutsch­land unter­schei­den konn­te. Die ist wohl vor­bei. Ein neu­es Fall­bei­spiel ist der Arti­kel ‚War­um Coro­na in Ame­ri­ka so wütet‘ von Winand von Peters­dorff, sei­nes Zei­chens Ame­ri­ka­kor­re­spon­dent der FAZ.

Der Arti­kel ist eine Anein­an­der­rei­hung von unbe­leg­ten und weit­ge­hend unzu­sam­men­hän­gen­den Vor­wür­fen an Ame­ri­ka. Schon im Unter­ti­tel – der frei­lich nicht vom Autoren stam­men muss – steht, genau wie auch im Titel sel­ber, der Ton: „Die Coro­na-Pan­de­mie ent­larvt das ame­ri­ka­ni­sche Gesund­heits­we­sen.“ Dem Gesundsheits­sys­tem des Kapi­ta­lis­ten soll also die Mas­ke (eine alte Bedeu­tung von ‚Lar­ve‘) abge­ris­sen wer­den, wie einst im Neu­en Deutsch­land oder im Schwar­zen Kanal, auf dass die dar­un­ter lie­gen­de häss­li­che Frat­ze sicht­bar werde.

Ganz erstaun­lich für einen Arti­kel die­ser The­men­wahl ver­sucht von Peters­dorff nicht im Ansatz, fest­zu­stel­len, inwie­fern SARS-CoV‑2 in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten tat­säch­lich mehr oder weni­ger „wüte“ als in ande­ren west­li­chen Län­dern. Geht man nach der Zahl der gemel­de­ten Toten pro Kopf der Bevöl­ke­rung als Maß für das „Wüten“, so haben die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zur Zeit 402 pro Mil­li­on Ein­woh­ner zu bekla­gen. Das ist deut­lich mehr als in Deutsch­land (109), aber weni­ger als in Bel­gi­en (843), dem Ver­ei­nig­ten König­reich (652), Spa­ni­en (607), Ita­li­en (577), oder Frank­reich (458). Es „wütet“ in Ame­ri­ka also unge­fähr so wie in der EU auch, was einen Arti­kel, der „Coro­na“ zur Ankla­ge gegen die Ver­ei­nig­ten Staa­ten macht, eher zwei­fel­haft macht.

27 Mil­lio­nen Unversicherte

Die ‚Ent­lar­vung‘ kommt dann in der Zahl von 27 Mil­lio­nen Men­schen in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die kei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung haben. Schaut man sich die­se Zahl aber etwas näher an, dann besteht sie im Wesent­li­chen aus zwei Grup­pen: Einer­seits unge­fähr fünf Mil­lio­nen ille­ga­le Aus­län­der, und der Rest sind vor­wie­gend Leu­te, die zu viel für eine von der Stüt­ze voll­sub­ven­tio­nier­te Ver­si­che­rung ver­die­nen, aber wenig genug, dass ihnen auch die Kos­ten einer vom Arbeit­ge­ber oder vom Staat teil­sub­ven­tio­nier­ten Ver­si­che­rung zu hoch sind. Dazu kom­men eini­ge, die in Absur­di­tä­ten im Wech­sel­spiel von Bun­des- und Lan­des­recht gefan­gen sind, und natür­lich eini­ge, die eigent­lich umsonst oder bil­lig eine Ver­si­che­rung bekom­men könn­ten, das aber nicht auf die Rei­he bekom­men. Letz­te­res ist ins­be­son­de­re bei Men­schen mit Geis­tes­krank­hei­ten ein Pro­blem, denn ein abs­trak­ter Rechts­an­spruch macht kei­ne Behand­lung, aber der Umgang mit sol­chen Fäl­len berührt wei­te­re Fra­gen von Selb­stän­dig­keit und Frei­heit. Auch die Behaup­tung des Arti­kels, dass man durch den Ver­lust des Arbeits­plat­zes die Kran­ken­ver­si­che­rung ver­lie­ren wür­de, stimmt so nicht, denn die Mög­lich­keit sie bei­zu­be­hal­ten – frei­lich gegen Zah­lung des Bei­trags – ist gesetz­lich geregelt.

Die unter Prä­si­dent Oba­ma ein­ge­führ­te Ver­si­che­rungs­pflicht hat sich jeden­falls als unpo­pu­lär erwie­sen, wenn auch kei­ner eine ent­fernt mehr­heits­fä­hi­ge Alter­na­ti­ve ange­ben kann. Wie bei, eben­falls von der Ver­si­che­rung nicht erfass­ten, abge­tauch­ten Aus­län­dern ohne Auf­ent­halts­recht in Deutsch­land auch, dürf­ten eini­ge effek­tiv über Ver­si­che­rungs­be­trug mit gelie­he­nen Kar­ten ‚ver­si­chert‘ sein, Aus- wie Inlän­der, und bemü­hen sich des­halb nicht um eine Ver­si­che­rung, die sie durch­aus bekom­men könn­ten, wenn auch nicht gra­tis. Man soll­te auch nicht ver­ges­sen, dass Not­auf­nah­men jeden Not­fall­pa­ti­en­ten unab­hän­gig von sei­ner Ver­si­che­rung oder Zah­lungs­fä­hig­keit auf­neh­men müs­sen. Man­che Leu­te, bei denen eine spä­te­re Rech­nung ohne­hin nicht ein­bring­bar ist, nut­zen das auch scham­los aus, nicht nur für Notfälle. 

Wei­ter­hin sind Senio­ren über die Ren­ten­kas­se auto­ma­tisch kran­ken­ver­si­chert, so dass Ame­ri­ka aus­ge­rech­net für das Bevöl­ke­rungs­seg­ment, wo wirk­lich Kos­ten anfal­len, ohne­hin eine ziem­lich weit­ge­hend sozia­li­sier­te Kran­ken­ver­si­che­rung hat. Das alles ist kei­ne sehr ratio­na­le Lösung des Ver­si­che­rungs­pro­blems, aber auch kein Mate­ri­al für eine Gene­ral­ank­la­ge eines gan­zen Landes.

Es „wütet“ in Bun­des­staa­ten in der Hand der Demo­kra­ti­schen Par­tei mit wenig Unversicherten

In jedem Fall hat aber die Zahl der Unver­si­cher­ten ganz offen­sicht­lich nichts mit der Zahl der Covid-19-Toten zu tun. Das fängt damit an, dass eben die Senio­ren, wel­che den Groß­teil der Toten stel­len, fast alle ver­si­chert sind – man­che ille­ga­len Aus­län­der aus­ge­nom­men. Wich­ti­ger aber ist, dass man die fünf­zig Bun­des­staa­ten plus eini­ge Ter­ri­to­ri­en ver­glei­chen kann, die alle durch ein­zel­staat­li­ches Recht und ande­re Fak­to­ren etwas ande­re Lösun­gen zur Kran­ken­ver­si­che­rung haben.

Da stellt sich nun her­aus, dass die Bun­des­staa­ten, wo es so rich­tig „gewü­tet“ hat, vor­nehm­lich sol­che sind, die fest in der Hand der Demo­kra­ti­schen Par­tei sind, und in denen die Zahl der Unver­si­cher­ten gering ist: New Jer­sey (1723 Tote pro Mil­li­on), New York (1659), Con­nec­ti­cut (1217), Mas­sa­chu­setts (1189). Hin­ge­gen ist die Zahl der Toten in vie­len Bun­des­staa­ten mit mehr Unver­si­cher­ten gerin­ger, und zwar auch dann, wenn die Infek­ti­ons­zah­len recht hoch sind, z.B. Utah (59), Texas (94), oder Flo­ri­da (176). Die­se Anti­kor­re­la­ti­on muss nun nichts mit der Ver­si­che­rung zu tun haben, son­dern kann an voll­kom­men ande­ren Din­gen lie­gen, aber sie macht es sehr unwahr­schein­lich, dass die Rege­lung der Kran­ken­ver­si­che­rung ein Haupt­grund für Todes­fäl­le durch Covid-19 sei.

von Peters­dorffs Arti­kel ist eine Gene­ral­ank­la­ge gegen das Land, in dem er lebt

Die rest­li­chen Punk­te Herrn von Peters­dorffs – eigent­lich alle sei­ne Punk­te, denn die bis­her aus­ge­führ­ten Zusam­men­hän­ge bespricht er gera­de nicht – will ich nur kurz anreißen:

Das „Wüten“ soll auch eine „Spät­fol­ge der Unter­las­sungs­sün­de sein, ille­ga­le Ein­wan­de­rer nicht zu lega­li­sie­ren.“ Es wur­den in Ame­ri­ka ille­ga­le Ein­wan­de­rer eigent­lich öfters lega­li­siert, z.B. 1986, und im Gegen­satz zu Deutsch­land bekom­men ihre im Land gebo­re­nen Kin­der auto­ma­tisch die Staats­bür­ger­schaft. Man kann aber schlecht, will man über­haupt irgend­ei­ne Kon­trol­le über die Ein­wan­de­rung behal­ten, stän­dig alle ille­ga­len Ein­wan­de­rer zu Staats­bür­gern machen. Die Wahl Donald Trumps zum Prä­si­den­ten war ein Aus­druck die­ses demo­kra­ti­schen Wil­lens, aber Barack Oba­ma hat es eigent­lich auch nicht so viel anders gese­hen, mit der Aus­nah­me von ille­ga­len Ein­wan­de­rern, die als Kin­der nach Ame­ri­ka ver­schleppt wur­den, und denen er eine Blei­be­per­spek­ti­ve gewäh­ren wollte.

Der Rest wird noch wil­der. Die Ame­ri­ka­ner näh­men „es hin, dass Phar­ma­kon­zer­ne jah­re­lang süch­tig­ma­chen­de Schmerz­mit­tel ver­schrei­ben“, als wil­de Zumi­schung in eine all­ge­mei­ne Ankla­ge, die doch eigent­lich mit Covid-19 zu tun haben soll. Auch in Ame­ri­ka ver­schrei­ben Medi­ka­men­ten­her­stel­ler gar nichts, son­dern Ärz­te tun das. Wahr ist, dass es in die­sem Zusam­men­hang eini­ges an Miss­brauch gege­ben hat und gibt, aber ande­rer­seits kann man als Ame­ri­ka­ner auch froh sein, im Fall einer schwe­ren und stark schmerz­haf­ten Erkran­kung wohl eher als in Deutsch­land nach Schmer­zen gefragt zu wer­den und nöti­gen­falls etwas dage­gen zu bekom­men. Soll­te ich der­einst zum Bei­spiel an einer sehr schmerz­haf­ten Krebs­er­kran­kung ster­ben, dann hof­fe ich, dass mir „süch­tig­ma­chen­de Schmerz­mit­tel ver­schrie­ben“ wer­den wenn ich das wünsche.

Die Ame­ri­ka­ner, immer­hin seit fünf Jah­ren Herrn von Peters­dorffs Gast­ge­ber, sei­en wei­ter­hin unfä­hig, von Erfah­run­gen ande­rer Län­der zu ler­nen, „weil Ame­ri­ka alles bes­ser kann.“ Es prä­ge sie außer der „Igno­ranz“ auch „eine Käl­te des Her­zens, die erstaunt“. Und, geld­gie­rig wie sie sei­en, sei es ihnen „vor allem gelun­gen, die Wall Street vor dem Schlimms­ten zu bewah­ren“. Man darf wohl froh sein, dass nicht noch die For­mu­lie­rung „ame­ri­ka­ni­sche Ost­küs­te“ Ein­gang in den Arti­kel gefun­den hat.

Herr von Peters­dorffs Arti­kel ist eine Gene­ral­ank­la­ge gegen das Land, in dem er lebt, fak­ten- und logik­be­freit, und dafür gezeich­net von einer tie­fen Miss­gunst gegen die­ses Land und sei­ne Leu­te. Nicht das neu­ar­ti­ge Coro­na­vi­rus „wütet“ in Ame­ri­ka auf­fal­lend anders als anders­wo, son­dern von Peters­dorff wütet, wenn auch nur auf der Tas­ta­tur. Dage­gen gibt es aller­dings, anders als gegen Covid-19, eine ein­fa­che und per­fekt wirk­sa­me The­ra­pie: Dann geh doch nach drüben!