Hüt­chen­spie­ler Seehofer

Horst See­ho­fers Bericht nach der gest­ri­gen EU-Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz erin­nert an einen Hüt­chen­spie­ler. Er schafft es, unter dem einen Becher die Ver­hin­de­rung der Abrei­se aus den Her­kunfts­län­dern, unter dem zwei­ten die Schlie­ßung der Außen­gren­zen und unter dem drit­ten ihre Öff­nung über den Tisch zu bug­sie­ren. Aller­dings erst nach der Urlaubszeit.

Horst See­ho­fer ist eine schil­lern­de Figur. Er hat das Talent, und scheint es zu genie­ßen, gleich­zei­tig eine Sache und ihr genau­es Gegen­teil zu sagen, und dabei gele­gent­lich spitz­bü­bisch zu grin­sen. Sei­te Auf­trit­te erin­nern bis­wei­len an ein Herr­chen, das sei­nen Hund mit dem Hüt­chen­spiel mit einem Lecker­li unter einem der drei Becher unter­hält. Mal ist das Lecker­li da, mal ist es weg. Als Spiel ist das lus­tig, als Betrug ist es ärger­lich, aber als Metho­de der Ent­schei­dung grund­le­gen­der poli­ti­scher Fra­gen ist es katastrophal.

See­ho­fers Bericht nach der EU-Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz ges­tern, ins­be­son­de­re zum The­ma Migra­ti­on, folg­te die­sem Mus­ter und kün­dig­te alles und auch das Gegen­teil davon an:

MIGRATION IN DIE EU: Brie­fing von Innen­mi­nis­ter See­ho­fer nach der EU-Kon­fe­renz, 07.07.2020

„See­not­ret­tung“ gehört zur „Migra­ti­ons­po­li­tik“

Schon in der Ein­füh­rung des The­mas geht es gut los. „Alle Mit­glieds­staa­ten sind bei der Migra­ti­ons­po­li­tik, zu der ja die See­not­ret­tung gehört, an einer nach­hal­ti­gen Lösung inter­es­siert.“ (5:44)

Es dürf­te eine Novi­tät in der Geschich­te der christ­li­chen See­fahrt sein, „See­not­ret­tung“ als Teil der „Migra­ti­ons­po­li­tik“ zu sehen. Nor­ma­ler­wei­se wür­de ich unter „Seet­not­ret­tung“ zunächst ein­mal ver­ste­hen, See­fah­rern zu hel­fen, die unbe­ab­sich­tigt in einen Sturm gekom­men sind, einen Maschi­nen­scha­den haben, gar einen Mann über Bord haben, und so wei­ter. Die wol­len typi­scher­wei­se mög­lichst schnell nach Hau­se, idea­ler­wei­se lebend. 

„See­not­ret­tung“ in einer neu­en Bedeu­tung als Shut­tle­ser­vice, um die Ein­wan­de­rung in die Euro­päi­sche Uni­on zu erzwin­gen, ist dem­ge­gen­über ein voll­kom­men ande­res Prin­zip. Die auf dem Mit­tel­meer auf­ge­grif­fe­nen Migran­ten sind nicht unver­schul­det in See­not gera­ten, son­dern füh­ren die­se absicht­lich eben zur Erzwin­gung der Ein­rei­se her­bei. So blöd, dass sie glau­ben, dass man mit einem über­la­de­nen Schlauch­boot ohne extra Sprit­vor­rat von Liby­en nach Ita­li­en käme, sind die nicht. Damit ist der ein­zi­ge Grund, war­um sie in See und in siche­re See­not ste­chen, eben die Hoff­nung, aus der selbst her­bei­ge­führ­ten See­not nach Euro­pa trans­por­tiert zu werden.

Die Hilfs­in­dus­trie, wel­che die­se Trans­por­te orga­ni­siert, muss sich dann fol­ge­rich­tig vor­wer­fen las­sen, dass ihr die Toten schlicht­weg egal sind, die nur wegen des impli­zi­ten Ver­spre­chens in See gesto­chen sind, dass sie von ‚Ret­tern‘ nach Euro­pa gebracht wür­den. Wer das Ster­ben im Mit­tel­meer abstel­len will, der muss die Auf­ge­le­se­nen ohne wenn und aber wie­der nach Afri­ka brin­gen, und wür­de das kon­se­quent durch­ge­führt, dann gäbe es See­not vor Liby­en nur noch wie auf der Nord­see, wenn eben einem Fischer der Motor aus­fällt und dergleichen.

Eigent­lich soll­te man da von einem Innen­mi­nis­ter ein­mal deut­li­che Wor­te erwar­ten, dass wenn sogar noch die evan­ge­li­sche Kir­che sich nicht ent­blö­det, sol­che Schleu­ser­schif­fe zu finan­zie­ren, sie damit die Toten hin­nimmt, um ihrer sin­ken­den Mit­glie­der­zahl mit eben­so sin­ken­der Glau­bens­ge­wiss­heit einen Ablass­zet­tel zu erkau­fen, aber eben nicht nur mit Geld son­dern mit toten Afri­ka­nern. Nichts von dem. Statt­des­sen sieht Herr See­ho­fer offen­bar die absicht­li­che Her­bei­füh­rung von See­not durch Migran­ten und afri­ka­ni­sche Schleu­ser und die Ver­lo­ckung dazu durch euro­päi­sche Gut­men­schen-Schleu­ser und Poli­ti­ker als nor­ma­len Teil der „Migra­ti­ons­po­li­tik“ an.

„Ablan­dun­gen aus die­sen Län­dern bekämpfen“

Gleich anschlie­ßend ver­spricht Minis­ter See­ho­fer, „inbe­son­de­re zu errei­chen, durch eine bes­se­re Zusam­men­ar­beit, dass weni­ger Migran­ten von [Afri­ka] den Weg über das Mit­tel­meer antre­ten“ (7:45), wozu eine Kon­fe­renz mit den dor­ti­gen Staa­ten und Nicht-mehr-Staa­ten statt­fin­den sol­le. Dann soll in einer wei­te­ren Kon­fe­renz auch die „Ent­wick­lung auf der“ zah­len­mä­ßig natür­lich viel bedeu­ten­de­ren „West­bal­kan­rou­te“ (8:15) bespro­chen werden.

Die dann vor­ge­schla­ge­nen Maß­nah­men haben das typisch Schil­lern­de See­ho­fers. Es sei vor­ge­se­hen „ins­be­son­de­re den Her­kunfts­staa­ten stär­ker zu hel­fen, Ablan­dun­gen aus die­sen Län­dern ver­stärkt zu bekämp­fen, und vor allem die Schleu­ser­kri­mi­na­li­tät zu been­den.“ (8:45) Das klingt soweit ker­nig und kann wohl nur als Code dafür ver­stan­den wer­den, dass die Her­kunfts­län­der gegen Geld­leis­tun­gen die robus­ten poli­zei­li­chen Maß­nah­men durch­füh­ren sol­len, zu denen den EU-Län­dern der poli­ti­sche Mut fehlt. Dass dabei von den dor­ti­gen Dik­ta­tu­ren und Kriegs­her­ren in geschei­ter­ten Staa­ten auf Fein­hei­ten mit Huma­ni­tät und Men­schen­rech­ten mehr Rück­sicht genom­men wird, als wenn man ein­fach die euro­päi­schen Küs­ten­wa­chen oder gar Kriegs­ma­ri­nen mit dem Auf­trag der zur Not zwangs­wei­sen Rück­füh­rung schi­cken wür­de, erscheint extrem unwahr­schein­lich. Aber man ver­mei­det eben die ‚häss­li­chen Bilder‘.

Als Wer­te­ge­mein­schaft ohne Asyl­ver­fah­ren Arbeit aufnehmen

Gleich danach ist Herr See­ho­fer aller­dings „begrün­det zuver­sicht­lich, dass wir hier end­lich ein Regel­werk in Euro­pa hin­brin­gen kön­nen, das Euro­pa auch als Wer­te­ge­mein­schaft in der Welt zeigt, indem wir eine Zuwan­de­rung steu­ern. Sie wis­sen, ich bin dafür, dass wir die­se Asyl­ver­fah­ren an der Außen­gren­ze durch­füh­ren, dass wir die Rück­füh­run­gen für nicht Schutz­be­rech­tig­te über die Euro­päi­sche Uni­on orga­ni­sie­ren, aber dass wir drit­tens auch einen lega­len Weg nach Euro­pa öff­nen, unter bestimm­ten Bedin­gun­gen ohne ein Asyl­ver­fah­ren auch hier Arbeit auf­neh­men zu kön­nen, das ist der Steue­rungs­teil, und auf der ande­ren Sei­te auch immer wie­der bereit sein müs­sen, star­ke Zei­chen der Huma­ni­tät in Euro­pa zu zei­gen.“ (10:20)

Schon in einem ein­zi­gen Satz ver­spricht See­ho­fer zwei Din­ge, die ent­we­der nichts mit­ein­an­der zu tun haben oder gar ein­an­der wider­spre­chen. Einer­seits soll offen­bar die Gren­ze dicht­ge­macht wer­den und Asyl­ver­fah­ren sol­len direkt an ihr durch­ge­führt wer­den. Ande­rer­seits soll man ver­ein­facht ohne Asyl­an­trag ein­rei­sen dürfen.

Die Pro­ble­ma­tik eines Schutz­sta­tus außer­halb des Asyl­rechts spricht See­ho­fer genau­so wenig an wie die prak­ti­schen Pro­ble­me der Rück­füh­rung von Per­so­nen, die in Ein- oder Aus­rei­se­la­gern, je nach­dem wie man es sieht, an den EU-Gren­zen inner­halb der EU sit­zen. Bezieht man See­ho­fers Aus­sa­ge tat­säch­lich nur auf Asyl­be­rech­tig­te, dann muss man fest­stel­len, dass es davon nur sehr weni­ge gibt. Letz­tes Jahr bei­spiels­wei­se haben 2192 Per­so­nen in Deutsch­land eine Aner­ken­nung als Asyl­be­rech­tig­te oder deren berech­tig­te Ange­hö­ri­ge erhal­ten, und nur im Aus­nah­me­jahr 2017 waren es ein­mal mehr als 3000. Das schaf­fen wir wirk­lich. Bezüg­lich des Umgangs mit nicht Asyl­be­rech­tig­ten, die viel­leicht Flücht­lin­ge sind, aber schon in einem siche­ren Dritt­land waren, oder auch ein­fach Wirt­schafts­mi­gran­ten, also zusam­men der rie­si­gen Mehr­heit der Fäl­le, leg­te See­ho­fer sich nicht fest.

Es ist dann auch nicht klar, wie die Mög­lich­keit „ohne ein Asyl­ver­fah­ren auch hier Arbeit auf­neh­men zu kön­nen“ dazu bei­tra­gen soll, „star­ke Zei­chen der Huma­ni­tät in Euro­pa zu zei­gen.“ Die Mög­lich­keit der Ein­wan­de­rung für qua­li­fi­zier­te Arbeits­kräf­te, die ja schon besteht, wird von Län­dern gemein­hin nicht vor­wie­gend als Zei­chen der Huma­ni­tät son­dern aus Grün­den des eige­nen Nut­zens geschaf­fen. Eine mas­si­ve Ein­wan­de­rung Unge­lern­ter ins Nied­rig­lohn­seg­ment dürf­te in Deutsch­land zu mas­si­ven sozia­len Ver­wer­fun­gen füh­ren, zumal auch nicht klar ist, wie lan­ge die­se Ein­wan­de­rer im Nied­rig­lohn­seg­ment blie­ben und nicht in die Stüt­ze abwan­der­ten, frei­wil­lig oder unfreiwillig.

Jeden­falls dürf­te die Mehr­zahl derer, die über ille­ga­le Migra­ti­ons­rou­ten nach Euro­pa ein­rei­sen, idea­ler­wei­se in die Län­der mit den bes­ten Sozi­al­leis­tun­gen, kaum die rich­ti­gen Kan­di­da­ten für ein Ein­wan­de­rungs­pro­gramm für Qua­li­fi­zier­te dar­stel­len. Wären sie es, dann wären sie ver­mut­lich schon heu­te auf regu­lä­ren Wegen im Wes­ten, und eher in Ame­ri­ka als in Deutschland.

„Ich hab‘ jetzt auch mei­nen per­sön­li­chen Ter­min­plan verändert“

Der Zusam­men­hang zwi­schen der Bekämp­fung ille­ga­ler Ein­rei­se, der in ihren Details eher unkla­ren Durch­füh­rung von Asyl­ver­fah­ren an den Außen­gren­zen, und der Schaf­fung neu­er Migra­ti­ons­mög­lich­kei­ten unab­hän­gig vom Asyl­recht blieb bei See­ho­fers Aus­füh­run­gen jeden­falls voll­kom­men offen. Das soll­te einen ärgern, und zwar völ­lig unab­hän­gig davon, ob man jetzt eine eher restrik­ti­ve oder eine eher per­mis­si­ve Ein­wan­de­rungs­po­li­tik wünscht. Dem „Flücht­lings­hel­fer“ kann genau­so­we­nig dar­an gele­gen sein, dass die Drecks­ar­beit der Migra­ti­ons­ver­hin­de­rung von liby­schen Mili­zen über­nom­men wird, wie dem Steu­er­zah­ler oder dem Nied­rig­lohn­ar­bei­ter an der mas­si­ven Zuwan­de­rung Unqua­li­fi­zier­ter gele­gen sein kann.

Ab bes­ten aber ist das Ver­spre­chen am Schluss: „Ich hab‘ jetzt auch mei­nen per­sön­li­chen Ter­min­plan so ver­än­dert, dass wir am Stück wenn alle wie­der vom Urlaub da sind uns die­ser gro­ßen Auf­ga­be zuwen­den kön­nen.“ (11:38) Den Satz soll­ten sie ein­mal mit ihrem Chef oder Kun­den aus­pro­bie­ren! So gegen Sep­tem­ber wird Minis­ter See­ho­fer dann das Kunst­stück voll­brin­gen, als Hüt­chen­spie­ler unter dem einen Becher die Ver­hin­de­rung der Abrei­se aus den Her­kunfts­län­dern, unter dem zwei­ten die Schlie­ßung der Außen­gren­zen und unter dem drit­ten ihre Öff­nung über den Tisch zu bug­sie­ren. Was wird wohl unter dem Becher sein, auf den der Michel zeigt?