Wie in meinem letzten Beitrag angekündigt, war ich dieses (in meinen Gefilden lange) Wochenende sporteln, nämlich bei einem größeren Wettbewerb im Schnellschießen mit dem Karabiner. Dabei hatte ich ein Erlebnis, das mich sehr beeindruckt hat, und das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
Früh am Samstagmorgen war ich mit meinem ersten Parcours an der Reihe. Anspannung, Startkommando, Piep, und ich schieße. Nach vier Schuss oder so stoppt mich der Range Officer. Ich entlade, zeige die leere Kammer vor und stecke die Sicherheitsflagge in meinen Karabiner. Etwas bang frage ich mich, ob es mir gelungen sei, schon am frühen Morgen eine zur Disqualifikation führende Regelverletzung zu begehen, kann mir das aber nicht vorstellen. Eine Fehlfunktion der Gerätschaften auf dem Parcours, die zu einem wiederholten Start führen würde, oder ein Fehlstart sind mir auch nicht aufgefallen. Kurz danach löst sich das Rätsel. Hinter uns ist ein anderer Teilnehmer unvermittelt zusammengebrochen. Der Range Officer entschuldigt sich sogar noch für die Unterbrechung meines Parcours und rennt zu der Gruppe, die dem Zusammengebrochnen hilft, während ich meine Waffe regelkonform verstaue. Bis das gemacht ist, sind genügend kompetent wirkende Helfer beim Patienten, dass ich auf etwas Abstand auf Anweisungen warte.
Nach menschlichem Ermessen Leben gerettet
Schnell zeigt sich, dass der Patient keine feststellbare Atmung oder Puls hat. In weniger als einer Minute nach seinem Zusammenbruch erhält er eine Herzdruckmassage. Innerhalb von Minuten bringt einer der Teilnehmer aus dem Notfallfundus in seinem Laster einen automatischen Defibrillator, und schnell wird der angeschlossen. Als die Dame in der Kiste mit ihrer mechanischen Stimme erklärt, dass ein Herzstillstand vorliege und ein Schock angeraten sei und man zurücktreten solle, dürften viele von uns gebetet haben. Der erste Schock hat aber gewirkt. Nach einiger Zeit kam ein Teilnehmer einer anderen Gruppe, der wohl Rettungssanitäter ist, mit einer enorm großen Tasche mit Gerätschaften. Während dies alles passierte wurden andere für den Notruf, das Einstellen des Feuers auf dem weitläufigen Stand und die Eskorte des Rettungswagens eingeteilt. Bis zum Eintreffen des Rettungswagens in dieser ländlichen Gegend, bei der schon die Zufahrt zum Schießstand eine ziemlich lange Schotterstraße ist, hat es etwas gedauert. Als er schließlich da war, hat der Patient nicht nur bereits wieder gelacht, sondern sogar schon einen intravenösen Zugang am Laufen, so dass die Profis eigentlich nur noch einladen und das Geschehene aufnehmen mussten.
Nachdem der Krankenwagen abgefahren war, konnten der Stand wieder geöffnet und der Wettbewerb fortgesetzt werden. Einer der Parcours war ein liebevoll aufgebautes Westerndorf mit Häuserfronten, in dem sogar aus dem dünnen Luftschlitz eines nachgemachten Plumpsklos zu schießen war. Später am Tag bekamen wir den Bericht aus dem Krankenhaus, dass der Kamerad wohlauf sei und der schnelle Einsatz des Defibrillators nach menschlichem Ermessen sein Leben gerettet hätte.
Wenn Sie seit dem Führerschein keinen Kurs in Reanimation gemacht haben, wird es höchste Zeit
Aus diesem Geschehen, das mich tief beeindruckt hat, ergaben sich für mich zwei Beobachtungen:
Erstens: Wenn Sie seit dem Führerschein keinen Kurs in Reanimation gemacht haben, wird es höchste Zeit. Es hat sich seitdem einiges getan, insbesondere natürlich die Verfügbarkeit bezahlbarer automatischer Defibrillatoren, und weil Zeit der wichtigste Faktor ist, bleibt Ihnen keine Gelegenheit zum Nachdenken. Die Reaktion muss automatisch kommen.
Ein ähnliches Problem, bei dem ebenfalls die Schnelligkeit der Hilfe essentieller ist als durch ein Studium zu erwerbende Fachqualifikation, ist Blutverlust, und auch dafür gibt es Kurse, wenn auch seltener als zur Reanimation. Ich habe letztes Jahr einen solchen Kurs bei jemandem gemacht, der als Sanitäter beim Militär einiges an Schussverletzungen versorgt hat. Der hatte sogar eine realistische Wunde aus Silikon, in die eine Blutersatzflüssigkeit unter Druck gepumpt werden konnte, die man dann zum Versiegen bringen musste. Bei Zivilisten sollen wohl Haushaltsunfälle in der Küche oder Verkehrsunfälle, zu denen man kommt, die hauptsächlichen Fälle sein, wo diese Fähigkeiten zum Einsatz kommen. (Viele Teilnehmer kommen über die Beschäftigung mit Feuerwaffen zu solchen Kursen, denn ein Unfall, wenn man alleine auf einem Stand am Ende der Welt übt oder von einer vertrottelten Person angeschossen wird, wäre arg ungünstig, aber solche Unfälle sind glücklicherweise extrem selten, zumal bei der Klientel, die erste Hilfe dafür einübt.)
Geeignete Ausrüstung hilft. Ich habe bereits Material zur Kontrolle von starken Blutungen und Pneumothorax zuhause, im Auto, und eine kleinere Ausrüstung in der Schießtasche. Nach der Erfahrung dieses Wochenendes wird da ziemlich sicher ein Defibrillator daheim und einer im Auto dazukommen. Die Dinger sind bezahlbar geworden und die Verfügbarkeit innerhalb von wenigen Minuten kann den Unterschied zwischen Leben ohne große Folgeschäden und Tod oder schweren Gehirnschäden machen. Überlegen Sie Sich (nach den Kursen!) was für Ihre Situation sinnvoll ist. Ich lebe alleine, so dass Defibrillatoren nur im Fall meiner zufälligen Anwesenheit zum Einsatz kommen können, so dass die Argumente um so stärker sind, wenn Sie in einem Haushalt mit älteren oder sonst eher gefährdeten Personen zusammenleben. Die Überlebenschancen sollen, je nach betrachteter Gruppe, von 70% nach drei Minuten auf praktisch 0% nach zehn Minuten zurückgehen.
Tun Sie etwas!
Aber auch wenn Sie keine Ausrüstung haben und seit dem Führerschein keine Ausbildung gemacht haben und in eine entsprechende Situation kommen, tun Sie etwas! Die Herzdruckmassage sollte schneller und kräftiger passieren, als es einem natürlich Rhythmus entspricht, aber eine zu langsame oder zu zaghafte Massage ist immer noch viel erfolgversprechender, als nichts zu tun und auf den Rettungswagen zu warten. Eine schwere Blutung kann man, auch wenn es nicht die appetitlichste Vorstellung ist, gegebenenfalls mit den Fingern unter Druck zustopfen (und das Infektionsrisiko dabei soll ziemlich gering sein).
Was sich ein Claas Relotius unter einem amerikanischen ‚Prepper‘ vorstellt hätte
Zweitens: Diejenigen, die erfolgreich geholfen haben, dürften im Aussehen genau dem entsprechen, was sich ein Claas Relotius unter einem amerikanischen ‚Prepper‘ vorstellt hätte: Auf einem Wettbewerb im Schnellschießen, die meisten männlich, viele bärtig, viele tätowiert, Baseballmützen mit „Trump 2020“ eingestickt, manche mit Lastwagen, bei denen jedesmal beim Anlassen des Sieben-Liter- (Hubraum, nicht Verbrauch!) Diesels Greta noch hinter dem Atlantik zu weinen anfängt, und in manchen dieser Laster verbirgt sich eine Ausrüstung, der nicht viel fehlt, um ein SEK-Einsatzfahrzeug und einen Rettungswagen ausstatten zu können.
Es scheint mir jetzt kein Zufall zu sein, dass das Vorhandensein einer über das sozial Übliche hinausgehenden medizinischen Ausrüstung mit dem Vorhandensein einer über das sozial Übliche hinausgehenden Bewaffnung (z.B. eine Langwaffe im Wagen bereit, falls die Tragepistole für eine Situation unterdimensioniert ist) einhergeht. In beiden Fällen geht es darum, auf eine unwahrscheinliche, aber schicksalhafte Situation angemessen reagieren und sich selber, seiner Familie und auch Dritten helfen zu können, durch Kenntnisse und Ausrüstung, also durch die Vorbereitung oder neudeutsch das ‚Preppen‘. Der Ausgang solcher Situationen liegt in Gottes Hand, aber die Wahrscheinlichkeiten liegen in unserer.
Jetzt einmal Hand aufs Herz
Genau diese Vorbereitung, nicht nur aber insbesondere wenn sie auch mit angemeldetem oder nicht angemeldetem Waffenbesitz verbunden ist, hat in der deutschen Presse und Politik einen denkbar schlechten Ruf. Exemplarisch ist ein Artikel im Spiegel, der den grünen Politiker Konstantin v. Notz zitiert: „Viel zu lange haben die Sicherheitsbehörden Gruppierungen wie die Prepper pauschal als harmlose Spinner abgetan.“ Der Artikel kann es natürlich nicht lassen, auch gleich noch die Begriffe „Neonazi“, „Reichsbürger“, und „Bürgerkrieg gegen Migranten und Muslime“ einzuführen, ohne dafür irgendwelche Evidenz zu liefern.
Jetzt einmal Hand aufs (hoffentlich noch lange problemfrei schlagende) Herz: Wenn Sie oder einer ihrer Lieben in einer ländlichen Gegend einen Herzstillstand haben oder anfangen zu bluten oder sonst in einer Situation sind, in der die Schnelligkeit der Hilfe der wesentliche Faktor ihrer Erfolgsaussichten sind, wen hätten sie dann lieber in der Nähe: Im Presse- und Politikbetrieb extrem unbeliebte rechtswählende, barttragende und tätowierte, vielleicht bewaffnete Männer, die binnen Sekunden eine vorbildliche Rettungskette organisieren und das entscheidende, aber in Privatautos seltene Stück Ausrüstung dabei haben? Oder liebe eine Gruppe von Menschen, die sich darüber beschweren, wie sie sich schon „getriggert“ und hilflos fühlen, wenn jemand in vieltausendjähriger Tradition das generische Maskulinum verwendet, und die Ihnen bestenfalls noch einen Notruf absetzen und in einer Gegend ohne Netz gar nicht tun können, außer in Panik zu verfallen?
Die Einschätzung der Selbstwirksamkeit nimmt leicht die Gestalt einer selbsterfüllenden Prophezeiung an
Der hinter den unterschiedlichen Verhaltensweisen dieser Gruppen stehende Unterschied scheint mit das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung zu sein. (Der deutsche Begriff scheint mir durch die explizite Erwähnung der „Erwartung“ gelungener zu sein als das englische Original „self-efficacy“, denn es geht primär nicht um die situativ determinierte mögliche Wirksamkeit, sondern um die Vorstellungen bezüglich der eigenen Möglichkeiten von Wirksamkeit.) Die Menschen unterscheiden sich, aus welchen Gründen auch immer, darin, wie sie ihre Möglichkeiten einschätzen, erfolgreich mit der Welt zu interagieren und Probleme zu lösen.
Diese Einschätzung der Selbstwirksamkeit nimmt leicht die Gestalt einer selbsterfüllenden Prophezeiung an. Wer beispielsweise glaubt, ohnehin keinen ordentlichen Job zu bekommen, der bewirbt sich nicht auf ordentliche Jobs, bekommt deswegen keine, und baut einen Lebenslauf auf, der es zunehmend schwieriger macht, welche zu bekommen. Wer dagegen glaubt, dass er einen guten Job bekomme und ihn erfolgreich verrichten könne, dass Absagen nur zufällige und vorübergehende Hindernisse waren, vielleicht eine bestimmte Stellenanzeige ohnehin nur pro forma bei einem eigentlich schon feststehenden Kandidaten geschaltet wurde, sich weiter bewirbt, der bekommt auch eher einen guten Job, gewinnt Berufserfahrung, die ihn für weitere gute Jobs empfiehlt, und so weiter. Im Sport nicht anders. Wer keinen Sport treibt, weil er sich für unsportlich hält, der wird zwangsläufig unsportlich, und umgekehrt.
Ein ähnlicher Mechanismus ist offensichtlich auch beim Eingreifen in Krisensituation am Werk: Wer überzeugt ist, dass er nicht helfen kann, sondern nur die Profis, der kann, wenn die nicht rechtzeitig kommen können, nur hilflos der Katastrophe zusehen. Wer davon überzeugt ist, helfen zu können, der wird ziemlich sicher etwas machen, das sinnvoller ist, als nichts zu tun. Idealerweise hat er in dieser Überzeugung Lehrgänge besucht und hält vielleicht etwas Ausrüstung vor, womit er um so mehr von seiner Kompetenz überzeugt ist, und kann dann durch seine bereits vorher erworbene Kompetenz umso erfolgreicher eingreifen.
Ein wesentlicher Faktor gewisser Kulturkämpfe
Die Selbstwirksamkeitserwartung, oder deren Abwesenheit, scheint mir ein ganz wesentlicher Faktor gewisser Kulturkämpfe zu sein.
Die neue Linke mit ihren Gender‑, Rassen‑, Übergewichts- und sonstigen Opferstudien, idealerweise potenziert durch intersektionalen Opferstatus, hat jahrzehntelang ein Gefühl der Hilflosigkeit zelebriert, das nur durch eine massive, aber nicht konkret beschriebene, Umgestaltung der Gesellschaft beendet werden könne. (Das mit dem Übergewicht ist kein Witz: Bei den Amerikanern gibt es den Begriff ‚fatism‘, abgeleitet von ‚fat‘ und nicht etwa von ‚fatum‘, für angebliche Diskriminierung gegen Fette. Wer sich aus Wut und Trauer über seine angebliche fettistische Diskriminierung vollfrisst anstatt guter Laune Sport zu treiben, der wird garantiert immer runder, und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch ein vorzeitiger Herzpatient.) Dazu kommt ein Opferstatus, der allen zugänglich ist, in den Achtzigern wegen „chemischer Gewalt“, dem „Atomstaat“, wegen Ronald Reagan und Amerika sowieso, heute eher wegen dem Klimawandel oder Donald Trump, denen hilflos durch Auf- und Abhüpfen begegnet wird, während man mit dem Auto zur Kimademo fährt oder gar mit dem Sonderflieger zum Klimagipfel, zum postulierten Problem also offensichtlich eher beiträgt, als es zu lösen, was das Gefühl der Hilflosigkeit wieder verstärkt.
Für dieses Lebensgefühl gibt es vermutlich gar keine größere mögliche Provokation, als wenn jemand dazu rät, sich hauptsächlich um die Probleme in seinem eigenen Lebens- und Einflusskreis zu kümmern, sich auf (wirklich dem Begriff entsprechende) Krisensituationen vorzubereiten um sie zu meistern, auch berufliche und sportliche Probleme zu meistern anstatt ihnen aus dem Wege zu gehen. Diese Provokation findet dann ihren Kulminationspunkt in der Figur des ‚Preppers‘, der nicht links sein will, mit seiner Geschlechtsidentität auf unkomplizierte Weise zufrieden ist und sie zelebriert, vielleicht gar noch Leistungssportler ist, in deutlich über das gesellschaftlich übliche hinausgehendem Maße auf Krisensituationen vorbereitet ist, und einem dann auch noch im Notfall den Hintern retten kann.
Nun aber genug dieser gesellschaftlichen Spekulationen. Wenn der letzte Wiederbelebungskurs zu lange her ist, melden Sie sich an, jedenfalls wenn die nicht mehr wegen Corona abgesagt sind (was vermutlich auch Leben kostet).