„Sturm­stil­waf­fen“: Ein Wort und sei­ne Geschichte

Die kana­di­sche Regie­rung ver­bie­tet „Sturm­stil­waf­fen“. Doch wie kam die­ser selt­sa­me Begriff in Umlauf? Die Geschich­te eines Kampfbegriffs.

Ges­tern habe ich behan­delt, wie das kana­di­sche Ver­bot von rund 1500 ver­schie­de­nen Feu­er­waf­fen auf dem Ver­ord­nungs­weg unter Aus­nut­zung der Mor­de von Nova Sco­tia den Ver­dacht auf­wirft, dass es schon vor den Mor­den geplant war und die Regie­rung ledig­lich auf eine Gele­gen­heit zur Umset­zung ohne Par­la­ment und ohne Debat­te gewar­tet hat. Heu­te möch­te ich mich mit einem auf den ers­ten Blick unschein­ba­ren Aspekt beschäf­ti­gen, der Spra­che, mit wel­cher der Ver­bots­ge­gen­stand cha­rak­te­ri­siert wer­den soll. Die Ver­bots­ver­ord­nung ver­wen­det dafür den Begriff „assault-style wea­pons“, was man im Deut­schen mit „Sturm­stil­waf­fen“ wie­der­ge­ben könn­te. Eine kon­kre­te Bedeu­tung hat die­ser selt­sa­me Begriff im Eng­li­schen nicht mehr als mei­ne Über­tra­gung sie im Deut­schen hät­te. Doch wie kam er in Umlauf?

Vie­le Neo­lo­gis­men mit „Sturm-“

Dazu müs­sen wir etwas aus­ho­len, aber auf den Anfang der Geschich­te kann man schon durch den Klang des Wor­tes kom­men. Wenn man die „Sturm­stil­waf­fe“ mit rich­tig Druck von der Lun­ge aus­spricht und das „r“ ordent­lich rollt, dann liegt der Wort­ur­sprung nahe. Der war in der Tat in einer Zeit der deut­schen Geschich­te, in der vie­le Neo­lo­gis­men mit „Sturm-“ geschaf­fen wur­den, von der „-abtei­lung“ über den „-bann­füh­rer“ ver­mut­lich durch das gan­ze Alpha­bet durch. Das klang forsch.

Spät im zwei­ten Welt­krieg ent­wi­ckel­ten die Deut­schen eine zunächst als Maschi­nen­pis­to­le bezeich­ne­te Waf­fe, die in ihrer Anwen­dung und Leis­tung zwi­schen Hand­waf­fen für kur­ze Distan­zen wie Pis­to­len, Flin­ten oder Maschi­nen­pis­to­len und Hand­waf­fen für lan­ge Distan­zen, also Geweh­ren, ange­sie­delt war. Sowohl die Waf­fe als auch die Patro­ne waren grö­ßer als bei einer Pis­to­le aber klei­ner als bei einem Gewehr, man konn­te damit wei­ter schie­ßen als mit der Pis­to­le, aber weni­ger weit als mit dem Gewehr, und man konn­te damit nicht nur ein­zel­ne Schüs­se son­dern auch kur­ze Feu­er­stö­ße abgeben.

Die Idee war als sol­che nicht neu – zu Zei­ten der Kaval­le­rie hieß das Kon­zept Kara­bi­ner, und das erscheint mir immer noch das tref­fends­te Wort für eine leich­te Schul­ter­waf­fe in einem Mit­tel­ka­li­ber. Auch der Ver­such, mit ihnen mög­lichst schnell schie­ßen zu kön­nen, was durch die klei­nen Patro­nen und den gerin­gen Rück­stoß erleich­tert wird, ist nicht neu. Man könn­te schon die Mus­ke­te mit glat­tem Lauf aus dem sieb­zehn­ten Jahr­hun­dert in die­se Rich­tung ein­ord­nen, und Mit­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts kamen die Unter­he­bel­re­pe­tie­rer auf, die auch heu­te noch eine for­mi­da­ble, wenn auch alt­mo­di­sche Waf­fe abge­ben, mit hohem Spaß­fak­tor übrigens.

Weil ein Wort wie ‚Kara­bi­ner‘ aber nicht kna­ckig genug klang, soll angeb­lich Hit­ler per­sön­lich, viel­leicht aber auch Gene­ral Erich Jasch­ke, für die­se neue Waf­fe den Begriff ‚Sturm­ge­wehr‘ geprägt haben. Wie bei den ‚Ver­gel­tungs­waf­fen‘ – auch die­se mit dem forsch zur rol­len­den ‚r‘ am Anfang – soll­te das stram­me Wort für die neue Waf­fe dar­über hin­weg­täu­schen, dass sie am Aus­gang des Krie­ges sowe­nig ändern konn­te wie an sei­nem ver­bre­che­ri­schen Cha­rak­ter. Für sich genom­men war die Idee aller­dings gut, und die Abkömm­lin­ge die­ser Waf­fe in Mit­tel­ka­li­bern und mit der Fähig­keit zum voll­au­to­ma­ti­schen Schie­ßen wer­den in Anleh­nung an das deut­sche Sturm­ge­wehr 44 rund um die Welt „Sturm­ge­weh­re“ genannt, auf Eng­lisch ‚assault rif­les‘, und sind seit unge­fähr den 1970er Jah­ren die übli­chen Hand­waf­fen der Infanterie.

Hirn­ver­brannt und will­kür­lich, aber ziem­lich folgenlos

Wäh­rend der Clin­ton-Jah­re woll­te die Demo­kra­ti­sche Par­tei in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten brei­te Kate­go­rien von Lang­waf­fen ver­bie­ten, obwohl Lang­waf­fen eigent­lich kei­ne nen­nens­wer­te Delikt­re­le­vanz haben und in der Sta­tis­tik hin­ter stump­fen Gegen­stän­den wie Häm­mern auf­tau­chen. Sturm­ge­weh­re, wie alle Voll­au­to­ma­ten, waren aber bereits – mit eini­gen hoch­prei­si­gen Aus­nah­men aus Alt­be­stän­den in Samm­ler­tre­so­ren – ver­bo­ten. Im Umlauf aller­dings sind zahl­rei­che zivi­le Abkömm­lin­ge, die zwar auch Mit­tel­ka­li­ber ver­schie­ßen, das aber nicht voll­au­to­ma­tisch tun kön­nen. Damit sind es eigent­lich Geweh­re mit für Geweh­re aty­pisch schwa­chen Patro­nen und dafür gerin­ge­rem Gewicht – Kara­bi­ner ohne voll­au­to­ma­ti­sches Feuer.

„Leich­te Geweh­re“ oder eben „Kara­bi­ner“, wie man das schon lan­ge genannt hat, sind aber kein guter Kampf­be­griff zur Erzeu­gung von Furcht. Des­we­gen ersann man als ange­streb­ten Gegen­stand eines Ver­bots die neue Kate­go­rie der „assault wea­pons“, also „Sturm­waf­fen“. Die konn­te man aber nicht recht defi­nie­ren, so dass man für das 1994 ein­ge­führ­te Sturm­waf­fen­ver­bot auf Bun­des­ebe­ne eine Lis­te von spe­zi­fi­schen Her­stel­lern und Model­len mach­te. In eini­gen Fäl­len konn­ten Her­stel­ler die­ses Pro­blem dadurch lösen, ein­fach zur Modell­num­mer eine wei­te­re Zif­fer hin­zu­zu­fü­gen, und schon war die tech­nisch unver­än­der­te Waf­fe wie­der legal und konn­te wei­ter­ver­kauft wer­den. Von einer Umset­zung des recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­ge­bots konn­te dabei logi­scher­wei­se kei­ne Rede sein. Für Alt­be­sitz gab es einen Besitzstandsschutz.

Es gab auch eine Lis­te von ver­bo­te­nen Waf­fen­merk­ma­len, zu denen sogar eine Bajo­nett­auf­nah­me zähl­te, obwohl „Hussah“-schreiende Bajo­nett­an­grif­fe als sozia­les Pro­blem voll­kom­men unbe­kannt sind. Ein ande­res Merk­mal war ein län­gen­ver­stell­ba­rer Schaft, um die Waf­fe an unter­schied­lich gro­ße Men­schen oder unter­schied­lich dicke Klei­dung anzu­pas­sen. „Sturm­waf­fen“ waren also Waf­fen, die gewis­sen Krei­sen nicht pass­ten, mehr oder min­der will­kür­lich aus­ge­wählt anhand einer Lis­te von Model­len und einer Lis­te kos­me­ti­scher oder ergo­no­mi­scher Merk­ma­le. Die meis­ten, aber nicht alle, waren Lang­waf­fen, eini­ge waren recht­lich Pis­to­len, aber eher grö­ße­re Kon­struk­tio­nen. Bei vie­len waren die Schäf­te aus Metall oder Poly­mer, typi­scher­wei­se in schwarz, wor­aus sich die (nicht als Kampf­be­griff ver­wen­de­te) Alter­na­tiv­be­zeich­nung „black guns“, „schwar­ze Feu­er­waf­fen“ ergibt.

Das Sturm­waf­fen­ver­bot der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von 1994 lief zehn Jah­re spä­ter wie­der aus. Es war hirn­ver­brannt und will­kür­lich, aber inso­fern ziem­lich fol­gen­los, als dass schon die Umbe­nen­nung einer Waf­fe aus­rei­chend sein konn­te, um sie wei­ter ver­kau­fen zu dürfen.

Durch das Schei­tern die­ses Geset­zes, das sei­nen Ver­bots­ge­gen­stand nie in nicht absur­der Wei­se defi­nie­ren konn­te, war der Begriff „Sturm­waf­fe“ irgend­wann ein­mal ver­brannt, zumal die Besit­zer von Kara­bi­nern natür­lich dar­auf hin­wie­sen, dass ihre Waf­fen doch bes­ser als ‚Kara­bi­ner‘, ‚moder­nes Sport­ge­wehr‘, ‚Gewehr‘ oder ähn­lich zu bezeich­nen wären und die Ein­tei­lung in „Sturm­waf­fen“ und „Nicht­s­turm­waf­fen“ voll­kom­men will­kür­lich war.

Die Unbe­stimmt­heit des Begriffs auf­ge­nom­men und zelebriert

In den 2000ern erreich­te der Begriff dann die nächs­te Evo­lu­ti­ons­stu­fe als „Sturm­stil­waf­fe“. Damit, dass nur noch der „Stil“ der Waf­fe jeman­den irgend­wie ans „Stür­men“ erin­nern soll­te, wur­de die Unbe­stimmt­heit des Begriffs auf­ge­nom­men und zele­briert. Ver­bo­te sol­cher „Sturm­stil­waf­fen“ zeich­nen sich eigent­lich immer dadurch aus, dass sie wie das Ori­gi­nal von 1994 will­kür­lich nament­lich genann­te Her­stel­ler und Typen ver­bie­ten, oder aber eher ergo­no­mi­sche Merk­ma­le wie einen län­gen­ver­stell­ba­ren Schaft oder einen vom Schaft getrenn­ten Griff.

Als Gemein­sam­keit ver­su­chen sol­che Ver­bo­te aber immer, mög­lichst vie­le Vari­an­ten von Ame­ri­kas belieb­tes­tem Gewehr­typ, der AR-15 Platt­form, zu ver­bie­ten. Eine Platt­form ist das des­halb, weil Dut­zen­de Her­stel­ler unter­ein­an­der kom­pa­ti­ble Tei­le anbie­ten, von denen nor­ma­ler­wei­se kein ein­zi­ges vom Erfin­der des Sys­tems oder dem ers­ten Mas­sen­her­stel­ler ist. Wenn Sie es nicht mit Waf­fen haben, stel­len sie es sich als Sys­tem von Tei­len ähn­lich wie Lego vor, wo ja auch Tei­le von Dritt­her­stel­lern wie Cobi per­fekt zu Tei­len des Ori­gi­nal­her­stel­lers pas­sen. So wie ‚Lego-kom­pa­ti­bel‘ vom Abstand und Pass­ver­hal­ten der Nop­pen abhängt, hängt ‚AR-15-kom­pa­ti­bel‘ eben­falls an ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen, bei­spiels­wei­se der Grö­ße und Tie­fe des Lochs im Sys­tem­ge­häu­se, in das der Lauf gesteckt wird, oder das Gewin­de der Mut­ter, die den Lauf dann fest­hält. Eine beson­de­re Gefähr­lich­keit ergibt sich dar­aus nicht.

Die meis­ten die­ser Kara­bi­ner der AR-15 Plat­form sind im Kali­ber .223 Reming­ton, eines der schwächs­ten moder­nen Gewehr­ka­li­ber, das vie­ler­orts zur Jagd auf Reh­wild ver­bo­ten ist, weil es als zu schwach gilt, ein sol­ches Tier zuver­läs­sig zu töten. Ver­wen­det wer­den sie für alles von der Jagd auf klei­ne­re Tie­re über Spaß- und erns­tes Sport­schie­ßen bis zum Heim­schutz, und durch die Modu­la­ri­tät des Sys­tems kann man sich für jeden die­ser Zwe­cke und jeden Geschmack etwas Pas­sen­des zusam­men­stel­len. Dass sie auch bei den rela­tiv sel­te­nen Straf­ta­ten mit Lang­waf­fen auf­tau­chen, ist ob ihrer Beliebt­heit und Ver­brei­tung genau­so wenig über­ra­schend, wie dass die meis­ten Fäl­le von Com­pu­ter­be­trug mit Com­pu­tern, auf denen Win­dows läuft, began­gen werden.

In die­ser Tra­di­ti­on behin­hal­tet Tru­deaus Ver­bot von „Sturm­stil­waf­fen“ einer­seits schwam­mi­ge For­mu­lie­run­gen wie „Feu­er­waf­fen der Designs, die als M16, AR-10 und AR-15 bekannt sind“ und in der Erwar­tung, dass das vor Gericht nicht prä­zi­se genug sein könn­te, eine Lis­te von Hun­der­ten von Her­stel­lern und Model­len. Eine funk­tio­na­le Defi­ni­ti­on wur­de ob des vor­he­ri­gen Schei­terns einer sol­chen Bestim­mung wohl gar nicht erst ver­sucht. Über ver­schie­de­ne Platt­for­men zusam­men­ge­rech­net sind es rund 1500 nament­lich auf­ge­führ­te Modelle.

Als beson­de­re Demons­tra­ti­on des hin­ter ihr ste­hen­den Sach­ver­stands ent­hält die Lis­te der in Kana­da über Nacht ver­bo­te­nen „Sturm­stil­waf­fen“ übri­gens auch das Modell „AR15.Com“ der Her­stel­lers „AR15.Com“ (unter Punkt (z.086)). Sie haben rich­tig gera­ten: Das ist eine Web­site, und eine Waf­fe die­ses Namens gibt es nicht, gab es auch nicht zu Zei­ten des .com-Booms.

Sturm­stil­waf­fen, Sport­waf­fen und Mordwaffen

Wenn Ihnen jemand die beson­de­re Gefähr­lich­keit eines Gegen­stands oder einer Sache mit einem for­schen oder holp­ri­gen Neo­lo­gis­mus erklä­ren will, stel­len Sie Fra­gen, egal ob er Ihnen den End­sieg mit einer neu­en Wun­der­waf­fe ver­spricht oder Ihre Bür­ger­rech­te abschaf­fen will.

Der deut­sche Dis­kurs zu die­sem The­ma, auf den bei Gele­gen­heit ein­zu­ge­hen sein wird, ist übri­gens noch fla­cher: Der zu ande­ren The­men eigent­lich ver­dienst­vol­le Roman Gra­fe und eine Rei­he Pro­mi­nen­ter haben sich seit Jah­ren dar­auf ein­ge­schos­sen, dass „Sport­waf­fen“ „Mord­waf­fen“ sei­en, ein Argu­ment, das wirk­lich jeder Logik außer des alt­ba­cke­nen Reims ent­behrt und sie genau­so wie die „Sturm­stil­waf­fen“ wohl auch gar nicht anstrebt.