„Sie hat uns alles gegeben“ fängt das ‚Lied der Partei‘ an, und fordert zu dementsprechender Dankbarkeit und demütigstem Gehorsam auf, auch wenn man mit seiner begrenzten Vernunft den Willen der „Mutter der Massen“ einmal nicht verstehen könne. Im zweiten Anlauf wurde Barbara Borchardt zur Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Ihr hat in der Tat die SED alles gegeben, und am schuldigsten Respekt einer Parteisoldatin lässt sie es nicht fehlen.
Die Biographie Frau Borchardts war durch einen frühen Bruch bestimmt. Mit achtzehn wurde sie ungewollt schwanger, und sie hat sich – es gibt auch uneingeschränkt Positives aus ihrem Leben zu berichten – für ihr Kind und gegen eine realsozialistische Abtreibung entschieden. Nach zwei Jahren hatte die junge Familie immer noch keine eigene Wohnung, aber dann bot sich eine Gelegenheit: Frau Borchardt konnte mit zwanzig Jahren Bürgermeisterin des Doppeldorfes Retzow-Rutenberg werden. Im selben Jahr trat sie auch in die Partei ein, sicher nicht ganz zufällig. Für eine Bürgermeisterin in der Partei war dann auch selbstverständlich eine Wohnung frei.
Parteimitglied und Bürgermeisterin mit Zwanzig
Es liegt nun auf der Hand, dass eine zwanzigjährige junge Mutter, die Bürgermeisterin und Parteimitglied wurde, weil sie dringend eine Wohnung brauchte, sich in einer gewissen Abhängigkeit befand, welche noch größer war, als die anderer kleiner Räder im SED-Apparat, die vielleicht immerhin noch eine schwer ersetzbare Fachkompetenz oder Beziehungen in die Waagschale werfen konnten. Jedenfalls wird Bürgermeisterin Borchardt mehr als klar gewesen sein, dass irgendwie geartete Zweifel an der SED-Diktatur nicht Teil ihrer Stellenbeschreibung waren. Drei Jahre später wurde sie dann befördert, zur Bürgermeisterin von Groß Daberkow, was sie bis zur Wende blieb.
Parallel zu ihrer Tätigkeit als Bürgermeisterin war Borchardt in zwei Fernstudiengängen eingeschrieben. Beim ersten unterscheidet sich die Darstellung der Linken von derjenigen der Wikipedia darin, ob sie das Studium der Staatswissenschaft nach einem Jahr abbrach oder ein Diplom darin erhielt. So oder so, im zweiten Studiengang studierte sie realsozialistisches Recht und erhielt einen Abschluss als Diplom-Juristin. Als Anwältin, Richterin oder Rechtslehrerin gearbeitet hat sie nie, zu Letzterem fehlte auch die Promotion.
Jede einzelne Stelle ihres Lebens aus der Hand der „Mutter der Massen“
Mit der Wende kam dann die Arbeitslosigkeit, und 1998 zog sie für die PDS in den Landtag ein. Eine Legislaturperiode später reichte es nicht, und sie wurde wieder arbeitslos. 2004 kam sie dann wieder als Nachrückerin in den Landtag, konnte ihr Mandat über die Liste behaupten, und blieb da bis 2016. Seit 2017 war sie stellvertretendes Mitglied des Landesverfassungsgerichts.
Zusammenfassend hat Frau Borchardt also jede einzelne reguläre, bezahlte Stelle ihres Lebens in der Tat aus der Hand der „Mutter der Massen“, der SED erhalten, von der Bestellung als Bürgermeisterin bis zur den Listenplätzen und dem Amt als Verfassungsrichter. In der Notsituation als junge Mutter wird sie sich verständlicherweise über diese Zuwendung gefreut haben. Beide Male, als sie keine Stelle von der SED/PDS bekam, rutschte sie in die Arbeitslosigkeit, und hatte entweder nicht die Fähigkeit oder nicht das Bedürfnis, sich eine Stelle bei einem anderen Arbeitgeber zu besorgen, sich selbstständig zu machen, was auch immer. Für eine studierte Juristin und ehemalige Landtagsabgeordnete ist das eigentlich erstaunlich, denn so richtig zum Prekariat zählt man die normalerweise nicht. (In der ersten Arbeitslosigkeit hat sie nach einer Zeit einen Job beim Arbeitslosenverband Deutschland gefunden, aber schon rein sprachlich ist eine Arbeitslosenvorsitzende immer noch arbeitslos.)
Den Bock zum Direktor des Gartenbauamts gemacht
Frau Borchardt hat es an Dankbarkeit gegenüber dieser Partei, die ihr alles gegeben hat, nicht fehlen lassen. Sie war Mitgründerin der Antikapitalistischen Linken, einer der betonkommunistischen Fundamentalistengruppen innerhalb der umbenannten SED, die nichts vergessen und nichts dazugelernt haben, und die vom Verfassungsschutz als linksextrem beobachtet wird. 2011 blieb sie bei der Gedenkminute im Landtag zum fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus demonstrativ sitzen, mit nur zwei anderen Abgeordneten, und hat es sich damit selbst mit gemäßigteren Genossen aus der umbenannten SED verdorben.
Frau Borchardt wurde von CDU und SPD in dem üblichen Kuhhandel bei der Besetzung der Verfassungsrichter mitgewählt, im Gegenzug für die Unterstützung der Linken für die Kandidaten dieser Parteien. Zu ihren Positionen befragt wurde sie im Rechtsausschuss offenbar nicht.
Damit hat Mecklenburg-Vorpommern jetzt eine Verfassungsrichterin, deren ganze Karriere ausschließlich auf der Loyalität zur SED beruht, und die Mitbegründerin einer vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation ist. Diese Loyalität zur SED ist nicht nur die wichtigste Qualifikation, die sie mitbringt, sondern die einzige, denn ein Fernstudium der realsozialistischen Jurisprudenz ohne einen einzigen Tag Berufserfahrung in einer juristischen Tätigkeit wäre auch unabhängig von den Fragen zur Verfassungstreue keine Empfehlung. Frau Borchardt mag vielleicht zur Durchsicht eines Mietvertrags ausgebildet und befähigt sein, aber mit strittigen rechtswissenschaftlichen Fragen hat sie sich nie beschäftigt, auch nie ihre Fähigkeit zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten geschult und unter Beweis gestellt. Der Bock wurde zum Direktor des Gartenbauamts gemacht.