Lais­sez-fai­re wird abgeschafft!

Die FAZ schreibt: „Lais­sez-fai­re auf dem Schul­hof hilft nicht.“ Mit Arti­kel 2 des Grund­ge­set­zes ver­trägt sich die­se Ansicht nicht, aber der Arti­kel hat Recht dar­in, dass Mul­ti­kul­ti und Libe­ra­lis­mus nicht zusam­men­pas­sen. Was man mit Marx nicht erreicht hat, soll nun durch die Zuwan­de­rung kommen.

Die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung war ein­mal ein libe­ra­les Blatt mit kon­ser­va­ti­ven Bei­mi­schun­gen. War ein­mal. Eine schö­ne Illus­tra­ti­on, dass der Wind sich gedreht hat, fin­det sich gera­de auf dem Inter­net­an­ge­bot die­ser Zei­tung, des­sen Titel­sei­te gleich zwei Arti­kel bereit­hält, die vor „lais­sez-fai­re“ war­nen. Einer davon arbei­tet sich an einer „[b]randgefährlichen Lais­sez-fai­re-Hal­tung“ bezüg­lich Covid-19 ab, aber der ande­re ist inter­es­san­ter: ‚Lais­sez-fai­re auf dem Schul­hof hilft nicht‘. Die Zügel müs­sen ange­zo­gen werden!

Pau­sen­ge­spräch auf Klingonisch

Der Arti­kel dreht sich um einen Fall, in dem eine Schü­le­rin, offen­bar ent­ge­gen beschlos­se­ner „Klas­sen­re­geln“, in der Pau­se auf dem Schul­hof eine Kon­ver­sa­ti­on auf Tür­kisch hat­te. Dafür wur­de von der Leh­re­rin eine Straf­ar­beit ver­hängt, nach­dem ande­re Schü­ler sich beschwerten.

Das ist nun eigent­lich aus libe­ra­ler Per­spek­ti­ve ein bedenk­li­cher Vor­gang. Eine öffent­li­che Schu­le ist eine staat­li­che Ein­rich­tung, zu deren Besuch man durch die Schul­pflicht gezwun­gen wird, und die sowohl recht­lich in ihrer Eigen­schaft als staat­li­che Ein­rich­tung als auch ihrem Erzie­hungs­auf­trag nach an das Grund­ge­setz gebun­den ist.

Es scheint mir min­des­tens frag­lich, ob es im Hin­blick auf Arti­kel 2, 3 und 5 des Grund­ge­set­zes statt­haft wäre, eine Pri­vat­kon­ver­sa­ti­on in der Pau­se an einer staat­li­chen Ein­rich­tung im Hin­blick auf ihren Inhalt und die Spra­che, in der sie geführt wird, zu regle­men­tie­ren. Wenn zwei beson­ders nerdi­ge Schü­ler das Stu­di­um des Klin­go­ni­schen betrei­ben, dann wird man ihnen ein Pau­sen­ge­spräch in die­ser Spra­che nicht ver­bie­ten kön­nen. Dar­an ändert auch eine gemein­sam beschlos­se­ne ‚Klas­sen­re­gel‘ nichts. Eine Schul­klas­se ist kein legis­la­ti­ves Organ, des­sen zu erwar­ten­de Ergeb­nis­se wohl im ‚Herrn der Flie­gen‘ vor­weg­ge­nom­men wur­den. Aber selbst wenn sie es wäre, dürf­te der Inhalt von Pri­vat­ge­sprä­chen in der Pau­se gesetz­ge­be­ri­schem Ein­griff ent­zo­gen sein und die Min­der­heit dies­be­züg­lich einen Schutz vor der Mehr­heit genießen.

Baby­lo­ni­sches Sprachengewirr

Die­se Fest­stel­lung dürf­te an einer Schu­le, deren Schü­ler alle Deutsch als Mut­ter- oder als selbst­ver­ständ­li­che Umgangs­spra­che in der Öffent­lich­keit pfle­gen, voll­kom­men selbst­ver­ständ­lich und unwi­der­spro­chen sein. Nie­mand wür­de eine Straf­ar­beit ver­hän­gen wol­len, weil zwei deut­sche Schul­kin­der ihr neu gelern­tes Eng­lisch mit­ein­an­der aus­pro­bie­ren, son­dern das wür­de ver­mut­lich sogar begrüßt wer­den, zumal im Unter­richt die Kon­ver­sa­ti­on in der Fremd­spra­che oft viel zu kurz kommt. Auch die Pfle­ge des loka­len Dia­lekts auf dem Pau­sen­hof wird man schlecht ver­bie­ten kön­nen oder wollen.

Der Umstand, der zu dem Fremd­spra­chen­ver­bot geführt hat, liegt dar­in, dass die betref­fen­de Schu­le einen Anteil von zwei Fünf­teln an Ein­wan­de­rer­fa­mi­li­en hat. Mit dem Fremd­spra­chen­ver­bot soll ein „baby­lo­ni­sches Spra­chen­ge­wirr“ ver­mie­den wer­den, das „Miss­gunst und Miss­trau­en“ erzeu­ge. Der Plan ist also Inte­gra­ti­on durch erzwun­ge­ne Konformität.

Art. 2 des Grund­ge­set­zes inkom­pa­ti­bel mit der ‚mul­ti­kul­tu­rel­len Einwanderungsgesellschaft‘

Die­sen Zusam­men­hang zwi­schen Ein­wan­de­rer­an­teil und eigent­lich zutiefst illi­be­ra­len Regeln benennt der Kom­men­ta­tor Rüdi­ger Soldt sel­ber, offen­bar aber ohne wei­ter über die Kon­se­quen­zen nachzudenken:

Je mul­ti­kul­tu­rel­ler und kom­ple­xer Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaf­ten wer­den, des­to wich­ti­ger wird es, Regeln zu ver­ein­ba­ren. Denn schon die Deut­schen strei­ten ja oft über ihre eige­nen Wer­te und Über­zeu­gun­gen; Migran­ten brin­gen oft noch ganz ande­re Ansich­ten mit. Ein gemein­sa­mes Gesell­schafts­be­wusst­sein und Wer­te­ver­ständ­nis las­sen sich nicht vor­aus­set­zen, sie müs­sen erst wach­sen. Am bes­ten ist es, wenn sich Schu­len oder Jugend­klubs sol­che Regeln selbst auf­er­le­gen und deren Ein­hal­tung auch selbst kon­trol­lie­ren. Mit Lais­sez-fai­re wird sich das Ver­spre­chen von Auf­stieg und Teil­ha­be von Ein­wan­de­rern nicht ein­lö­sen lassen.

Lais­sez-fai­re, der Inhalt von Arti­kel 2 des Grund­ge­set­zes und Grund­la­ge sei­nes Men­schen­bil­des, ist also nach Ansicht Soldts inkom­pa­ti­bel mit einer mul­ti­kul­tu­rel­len Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft, der die Vor­aus­set­zung eines gemein­sa­men „Gesellschaftsbewusstsein[s] und Werteverständnis[ses]“ fehlt. Wo die gemein­sa­me Spra­che und die gemein­sa­men Wer­te nicht exis­tie­ren, sol­len sie geschaf­fen, letzt­lich durch staat­li­che Macht erzwun­gen werden. 

Was man mit Marx nicht erreicht hat, soll nun durch die Zuwan­de­rung kommen

Man kann sich nun so sei­ne Fra­gen stel­len, ob die­se Art von nati­on buil­ding in der heu­ti­gen Zeit und unter den gege­be­nen Umstän­den über­haupt mög­lich und erfolg­ver­spre­chend ist. Sie macht aber jeden­falls eines klar: Mehr „mul­ti­kul­tu­rel­le“ Zuwan­de­rung führt nahe­zu zwangs­läu­fig zu weni­ger Liberalismus.

Eine libe­ra­le Gesell­schaft hat ein gemein­sa­mes „Gesell­schafts­be­wusst­sein und Wer­te­ver­ständ­nis“ zur Vor­aus­set­zung, und je mehr das durch Zuwan­de­rer mit einem völ­lig ande­ren Gesell­schafts­be­wusst­sein und Wer­te­ver­ständ­nis in Fra­ge gestellt wird, des­to illi­be­ra­ler wird die Gesell­schaft. Es über­rascht des­halb nicht, dass gera­de die­je­ni­gen, die ohne­hin ein Pro­blem mit dem west­li­chen, libe­ra­len Gesell­schafts­mo­dell haben, so ger­ne auf for­cier­te Zuwan­de­rung von Grup­pen mit begrenz­ter Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit set­zen. Was man mit Marx nicht erreicht hat, soll nun durch die Zuwan­de­rung kommen.