Horst Seehofer ist eine schillernde Figur. Er hat das Talent, und scheint es zu genießen, gleichzeitig eine Sache und ihr genaues Gegenteil zu sagen, und dabei gelegentlich spitzbübisch zu grinsen. Seite Auftritte erinnern bisweilen an ein Herrchen, das seinen Hund mit dem Hütchenspiel mit einem Leckerli unter einem der drei Becher unterhält. Mal ist das Leckerli da, mal ist es weg. Als Spiel ist das lustig, als Betrug ist es ärgerlich, aber als Methode der Entscheidung grundlegender politischer Fragen ist es katastrophal.
Seehofers Bericht nach der EU-Innenministerkonferenz gestern, insbesondere zum Thema Migration, folgte diesem Muster und kündigte alles und auch das Gegenteil davon an:
„Seenotrettung“ gehört zur „Migrationspolitik“
Schon in der Einführung des Themas geht es gut los. „Alle Mitgliedsstaaten sind bei der Migrationspolitik, zu der ja die Seenotrettung gehört, an einer nachhaltigen Lösung interessiert.“ (5:44)
Es dürfte eine Novität in der Geschichte der christlichen Seefahrt sein, „Seenotrettung“ als Teil der „Migrationspolitik“ zu sehen. Normalerweise würde ich unter „Seetnotrettung“ zunächst einmal verstehen, Seefahrern zu helfen, die unbeabsichtigt in einen Sturm gekommen sind, einen Maschinenschaden haben, gar einen Mann über Bord haben, und so weiter. Die wollen typischerweise möglichst schnell nach Hause, idealerweise lebend.
„Seenotrettung“ in einer neuen Bedeutung als Shuttleservice, um die Einwanderung in die Europäische Union zu erzwingen, ist demgegenüber ein vollkommen anderes Prinzip. Die auf dem Mittelmeer aufgegriffenen Migranten sind nicht unverschuldet in Seenot geraten, sondern führen diese absichtlich eben zur Erzwingung der Einreise herbei. So blöd, dass sie glauben, dass man mit einem überladenen Schlauchboot ohne extra Spritvorrat von Libyen nach Italien käme, sind die nicht. Damit ist der einzige Grund, warum sie in See und in sichere Seenot stechen, eben die Hoffnung, aus der selbst herbeigeführten Seenot nach Europa transportiert zu werden.
Die Hilfsindustrie, welche diese Transporte organisiert, muss sich dann folgerichtig vorwerfen lassen, dass ihr die Toten schlichtweg egal sind, die nur wegen des impliziten Versprechens in See gestochen sind, dass sie von ‚Rettern‘ nach Europa gebracht würden. Wer das Sterben im Mittelmeer abstellen will, der muss die Aufgelesenen ohne wenn und aber wieder nach Afrika bringen, und würde das konsequent durchgeführt, dann gäbe es Seenot vor Libyen nur noch wie auf der Nordsee, wenn eben einem Fischer der Motor ausfällt und dergleichen.
Eigentlich sollte man da von einem Innenminister einmal deutliche Worte erwarten, dass wenn sogar noch die evangelische Kirche sich nicht entblödet, solche Schleuserschiffe zu finanzieren, sie damit die Toten hinnimmt, um ihrer sinkenden Mitgliederzahl mit ebenso sinkender Glaubensgewissheit einen Ablasszettel zu erkaufen, aber eben nicht nur mit Geld sondern mit toten Afrikanern. Nichts von dem. Stattdessen sieht Herr Seehofer offenbar die absichtliche Herbeiführung von Seenot durch Migranten und afrikanische Schleuser und die Verlockung dazu durch europäische Gutmenschen-Schleuser und Politiker als normalen Teil der „Migrationspolitik“ an.
„Ablandungen aus diesen Ländern bekämpfen“
Gleich anschließend verspricht Minister Seehofer, „inbesondere zu erreichen, durch eine bessere Zusammenarbeit, dass weniger Migranten von [Afrika] den Weg über das Mittelmeer antreten“ (7:45), wozu eine Konferenz mit den dortigen Staaten und Nicht-mehr-Staaten stattfinden solle. Dann soll in einer weiteren Konferenz auch die „Entwicklung auf der“ zahlenmäßig natürlich viel bedeutenderen „Westbalkanroute“ (8:15) besprochen werden.
Die dann vorgeschlagenen Maßnahmen haben das typisch Schillernde Seehofers. Es sei vorgesehen „insbesondere den Herkunftsstaaten stärker zu helfen, Ablandungen aus diesen Ländern verstärkt zu bekämpfen, und vor allem die Schleuserkriminalität zu beenden.“ (8:45) Das klingt soweit kernig und kann wohl nur als Code dafür verstanden werden, dass die Herkunftsländer gegen Geldleistungen die robusten polizeilichen Maßnahmen durchführen sollen, zu denen den EU-Ländern der politische Mut fehlt. Dass dabei von den dortigen Diktaturen und Kriegsherren in gescheiterten Staaten auf Feinheiten mit Humanität und Menschenrechten mehr Rücksicht genommen wird, als wenn man einfach die europäischen Küstenwachen oder gar Kriegsmarinen mit dem Auftrag der zur Not zwangsweisen Rückführung schicken würde, erscheint extrem unwahrscheinlich. Aber man vermeidet eben die ‚hässlichen Bilder‘.
Als Wertegemeinschaft ohne Asylverfahren Arbeit aufnehmen
Gleich danach ist Herr Seehofer allerdings „begründet zuversichtlich, dass wir hier endlich ein Regelwerk in Europa hinbringen können, das Europa auch als Wertegemeinschaft in der Welt zeigt, indem wir eine Zuwanderung steuern. Sie wissen, ich bin dafür, dass wir diese Asylverfahren an der Außengrenze durchführen, dass wir die Rückführungen für nicht Schutzberechtigte über die Europäische Union organisieren, aber dass wir drittens auch einen legalen Weg nach Europa öffnen, unter bestimmten Bedingungen ohne ein Asylverfahren auch hier Arbeit aufnehmen zu können, das ist der Steuerungsteil, und auf der anderen Seite auch immer wieder bereit sein müssen, starke Zeichen der Humanität in Europa zu zeigen.“ (10:20)
Schon in einem einzigen Satz verspricht Seehofer zwei Dinge, die entweder nichts miteinander zu tun haben oder gar einander widersprechen. Einerseits soll offenbar die Grenze dichtgemacht werden und Asylverfahren sollen direkt an ihr durchgeführt werden. Andererseits soll man vereinfacht ohne Asylantrag einreisen dürfen.
Die Problematik eines Schutzstatus außerhalb des Asylrechts spricht Seehofer genauso wenig an wie die praktischen Probleme der Rückführung von Personen, die in Ein- oder Ausreiselagern, je nachdem wie man es sieht, an den EU-Grenzen innerhalb der EU sitzen. Bezieht man Seehofers Aussage tatsächlich nur auf Asylberechtigte, dann muss man feststellen, dass es davon nur sehr wenige gibt. Letztes Jahr beispielsweise haben 2192 Personen in Deutschland eine Anerkennung als Asylberechtigte oder deren berechtigte Angehörige erhalten, und nur im Ausnahmejahr 2017 waren es einmal mehr als 3000. Das schaffen wir wirklich. Bezüglich des Umgangs mit nicht Asylberechtigten, die vielleicht Flüchtlinge sind, aber schon in einem sicheren Drittland waren, oder auch einfach Wirtschaftsmigranten, also zusammen der riesigen Mehrheit der Fälle, legte Seehofer sich nicht fest.
Es ist dann auch nicht klar, wie die Möglichkeit „ohne ein Asylverfahren auch hier Arbeit aufnehmen zu können“ dazu beitragen soll, „starke Zeichen der Humanität in Europa zu zeigen.“ Die Möglichkeit der Einwanderung für qualifizierte Arbeitskräfte, die ja schon besteht, wird von Ländern gemeinhin nicht vorwiegend als Zeichen der Humanität sondern aus Gründen des eigenen Nutzens geschaffen. Eine massive Einwanderung Ungelernter ins Niedriglohnsegment dürfte in Deutschland zu massiven sozialen Verwerfungen führen, zumal auch nicht klar ist, wie lange diese Einwanderer im Niedriglohnsegment blieben und nicht in die Stütze abwanderten, freiwillig oder unfreiwillig.
Jedenfalls dürfte die Mehrzahl derer, die über illegale Migrationsrouten nach Europa einreisen, idealerweise in die Länder mit den besten Sozialleistungen, kaum die richtigen Kandidaten für ein Einwanderungsprogramm für Qualifizierte darstellen. Wären sie es, dann wären sie vermutlich schon heute auf regulären Wegen im Westen, und eher in Amerika als in Deutschland.
„Ich hab‘ jetzt auch meinen persönlichen Terminplan verändert“
Der Zusammenhang zwischen der Bekämpfung illegaler Einreise, der in ihren Details eher unklaren Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen, und der Schaffung neuer Migrationsmöglichkeiten unabhängig vom Asylrecht blieb bei Seehofers Ausführungen jedenfalls vollkommen offen. Das sollte einen ärgern, und zwar völlig unabhängig davon, ob man jetzt eine eher restriktive oder eine eher permissive Einwanderungspolitik wünscht. Dem „Flüchtlingshelfer“ kann genausowenig daran gelegen sein, dass die Drecksarbeit der Migrationsverhinderung von libyschen Milizen übernommen wird, wie dem Steuerzahler oder dem Niedriglohnarbeiter an der massiven Zuwanderung Unqualifizierter gelegen sein kann.
Ab besten aber ist das Versprechen am Schluss: „Ich hab‘ jetzt auch meinen persönlichen Terminplan so verändert, dass wir am Stück wenn alle wieder vom Urlaub da sind uns dieser großen Aufgabe zuwenden können.“ (11:38) Den Satz sollten sie einmal mit ihrem Chef oder Kunden ausprobieren! So gegen September wird Minister Seehofer dann das Kunststück vollbringen, als Hütchenspieler unter dem einen Becher die Verhinderung der Abreise aus den Herkunftsländern, unter dem zweiten die Schließung der Außengrenzen und unter dem dritten ihre Öffnung über den Tisch zu bugsieren. Was wird wohl unter dem Becher sein, auf den der Michel zeigt?