Die FAZ wie auch der Spiegel berichten von den Demonstrationen des Women’s March gegen Donald Trump. Laut den üblicherweise eher optimistischen Angaben der Veranstalter sollen es über hunderttausend Demonstranten über hunderte von Städte verteilt gewesen sein, allerdings mit örtlich doch begrenzter Beteiligung: „Allein in Tucson, Arizona, sollen mehr als 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gekommen sein.“ Nun ja.
Es spricht nun eigentlich nichts dagegen, über diese Demonstrationen zu berichten, aber es zeigt sich hier eine gewisse Selektivität. Man scheint nämlich in der deutschen Qualitätspresse schlichtweg gar nichts über die großen, gutgelaunten Paraden zur Unterstützung des Präsidenten und zur gleichzeitigen Feier der Vereinigten Staaten zu finden. Das sah heute in Floria so aus:
Ein Meer aus Flaggen und Transparenten, Unterstützung des Präsidenten und Patriotismus, und frohen Menschen. Nun hat nicht jeder ein Boot oder ein Meer, und in ländlichen Gegenden halten für diese Paraden dann schonmal die Traktoren her:
Solche Paraden fanden schon den ganzen Sommer über statt. Die oben gezeigte Parade mit den Booten ist die sechste am selben Ort. Aber eine Suche im Archiv der FAZ nach „Trump Parade“ liefert: nichts zum Thema. Bei Spiegel kommt ein gehässiger Artikel „Ihr Gott im Weißen Haus“ hinter der Bezahlschranke, der wohl dieses Schlüsselwort zu enthalten scheint. Einfache Tatsachenberichte über diese tatsächlich friedlichen und gutgelaunten Demonstrationen scheint es in der deutschen Qualitätspresse nicht zu geben, und noch viel weniger einen Versuch, zu erfahren, was die Teilnehmer antreibt.
Dafür erfährt man aber im Artikel der FAZ, dass die Teilnehmer des Frauenmarsches gerne „Pussy-Hüte“ tragen und dass sie gegen die – bereits erfolgte, gemeint ist wohl die Bestätigung – Nominierung der Richterin Amy Coney Barrett am Obersten Gerichtshof seien.
„Erzkonservative“ Richterin
Richterin Barrett wiederum wird mit einer interessanten Vokabel belegt. Sie sei, so erfährt man, „erzkonservativ.“ Die Vorsilbe ‚erz-‘ hat heute etwas Außergewöhnliches, existiert noch im ‚Erzbischof‘ und bisweilen als ‚Erzfeind‘ in den Comicbüchern (und im griechischen Original auch im ‚Architekten‘, aber an den denkt man dabei wohl eher nicht).
Gemeint scheint damit die Ansicht zu sein, bisweilen ‚Originalismus‘ oder ‚Textualismus‘ genannt, dass Richter im Zweifel das Gesetz, so wie es geschrieben ist, anzuwenden haben und jedenfalls nicht nach Gutdünken seine Bedeutung in ihr Gegenteil verkehren dürfen. Im Grunde könnte man das verkürzt so zusammenfassen, dass Richter nicht Recht beugen sollten und für die Änderung des Rechts zunächst einmal der Souverän durch den demokratischen Prozess zuständig ist, nicht die Tagesbefindlichkeit eines Richters. Diese Sichtweise hat natürlich und unabhängig von den eigenen politischen Präferenzen eine konservative Tendenz, denn sie bewahrt eben das bestehende Recht so lange bis es durch den demokratischen Prozess geändert wird.
Wenn man das so referiert, dann hört es sich aber gar nicht mehr so schrecklich an, sondern eher selbstverständlich. Nun könnte es auch zu Verstimmungen führen, die gerne für nicht links der Mitte stehende Deutsche gebrauchten Vokabeln „Nazi“, „rechtsextrem“, „rechtsradikal“ über den Atlantik zu schleudern, zumal man sich da ohne die Mühe der Recherche nicht sicher sein kann, damit nicht auch noch einen Juden oder einen Schwarzen zu erwischen. Der Richter am Obersten Gerichtshof Clarence Thomas wäre ein Beispiel für letzteres Szenario.
Also bemüht man halt sicherheitshalber die offenbar ausschließlich für Amerikaner verwendete Vokabel „erzkonservativ“, die im Grunde wohl das Gleiche ausdrücken soll wie die im innerdeutschen Verkehr geworfenen Verbalgeschosse, nämlich von oben herab zelebrierte Verachtung ohne auch nur den Versuch der inhaltlichen Auseinandersetzung.