Die deutsche Medienlandschaft steht in einem unbequemen Niemandsland zwischen kritischer Presse und Neuem Deutschland. Einerseits will man Haltung zeigen, aber andererseits kann man doch nicht verhindern, dass die Nachrichten von Dritten überprüft werden. Ein beliebter Ausweg aus diesem Dilemma sind irreführende Titel und Zusammenfassungen, die nicht unbedingt wirklich zum folgenden Text zu passen brauchen – mit etwas Glück liest den eh kaum jemand, oder er ist gar hinter einer Bezahlschranke, während die Titel und Zusammenfassungen für alle zugänglich sind.
Die FAZ liefert heute ein schönes Beispiel dieser Technik mit einem Artikel ‚Gouverneur von Wisconsin erklärt Notstand nach Schüssen auf Schwarzen‘ und einer Themenzeile ‚Polizeigewalt in Kenosha‘. Beim zugehörigen Video ist der Titel ‚Wieder verletzt die Polizei einen Afroamerikaner‘.
Diese Dinge sind soweit natürlich richtig, genauso wie es richtig gewesen wäre, zu schreiben, ‚Gouverneur von Wisconsin erklärt Notstand nach Regen am Morgen‘ – den gab es auch tatsächlich. Es wird aber die Kausalität verschleiert.
Mit 1.4‰ mit der Pistole gedroht, Haftbefehl wegen Vergewaltigung
‚Polizeigewalt‘ fand ohne Frage statt, aber die Frage ist doch, ob sie berechtigt und angemessen war.
Jacob Blake ist ein Afroamerikaner, aber er ist auch ein Mann, der (außer im Fall einer eher unwahrscheinlichen Alters- und Namensgleichheit) 2015 mit 1.4 Promille Gäste in einer Bar mit einer Pistole bedroht und sich dann gewalttätig gegen seine Festnahme gewehrt haben soll. Weiter soll er ein offenes Strafverfahren wegen Vergewaltigung haben. Ob das vielleicht zum Verständnis der Vorgänge und zur Einschätzung, ob er die Polizisten bedroht haben könnte, wichtiger sein könnte als seine Hautfarbe? Warum berichtet die FAZ davon denn nichts?
Der Notstand (kein Kriegsrecht oder dergleichen, sondern im Wesentlichen die Freigabe von Hilfsleistungen) wurde in der Tat verhängt, aber nicht wegen der Schüsse auf Blake sonder wegen orgiastischen Plünderns und Brennens in der Stadt.
Der neudeutsche Begriff für diese Kunst der irreführenden Überschrift und Hinweglassung des Unpassenden ist wohl ‚Framing‘. Journalismus geht anders.
(Photo: Mangan2002.)