Die Geschlecht­lich­keit ist unan­tast­bar – außer mit dem Skalpell

Der Bun­des­tag hat ein Gesetz zum Schutz vor Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen beschlos­sen. Es setzt ein zumin­dest begrün­dungs­be­dürf­ti­ges Men­schen­bild vor­aus. Die Aus­nah­men die­ses Geset­zes sind inter­es­san­ter als sei­ne Regel. Die Aus­nah­me für ‚medi­zi­nisch aner­kann­te Stö­run­gen‘ schiebt sitt­li­che Ent­schei­dun­gen auf angeb­li­che Exper­ten ab und wirft Fra­gen auf, wie man bei­spiels­wei­se mit Pädo­se­xu­el­len umzu­ge­hen gedenkt. Fäl­le wie der von Nathan Ver­helst wer­fen schwe­re Zwei­fel an der Ange­mes­sen­heit einer Aus­nah­me aus­ge­rech­net für schwe­re Ope­ra­tio­nen auf.

Der Bun­des­tag hat am 7. Mai einen Gesetz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung „zum Schutz vor Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen“ ange­nom­men. Er ver­bie­tet angeb­li­che The­ra­pien mit dem Ziel der Ände­rung der sexu­el­len Ori­en­tie­rung oder der selbst­emp­fun­de­nen geschlecht­li­chen Iden­ti­tät bei Min­der­jäh­ri­gen, bei Voll­jäh­ri­gen mit „Wil­lens­man­gel“ und die Wer­bung für sol­che The­ra­pien. Die­ses Gesetz ist inter­es­sant einer­seits als Aus­nah­me von einer weit­ge­hen­den Tole­ranz für Alter­na­tiv­me­di­zin, ande­rer­seits auch wie­der mit sei­nen vor­ge­se­he­nen Aus­nah­men für schwers­te ope­ra­ti­ve Ein­grif­fe. Obwohl es um die Kon­ver­si­ons­the­ra­peu­ten nicht scha­de ist, offen­bart das Gesetz ein ver­que­res Ver­ständ­nis von Geschlecht­lich­keit und Persönlichkeit.

Der Man­gel an Serio­si­tät von selbst­er­nann­ten Hei­lern, die ver­spre­chen, aus Homo­se­xu­el­len Hete­ro­se­xu­el­le machen zu kön­nen, sogar nach Anlie­fe­rung durch die Fami­lie gegen den Wil­len der Betrof­fe­nen, bedarf kei­ner wei­te­ren Dis­kus­si­on. In lus­ti­ger Form wur­de das 1999 in der Sati­re ‚But I’m a Cheer­lea­der‘, in der deut­schen Fas­sung ‚Weil ich ein Mäd­chen bin‘, auf­ge­nom­men, und die Rea­li­tät scheint noch abge­dreh­ter zu sein als die Sati­re.

Gesetz mit Ausnahmecharakter

Das Gesetz hat aller­dings inso­fern Aus­nah­me­cha­rak­ter, weil noch absur­de­re ‚Alter­na­tiv­me­di­zin‘ ansons­ten in Deutsch­land eigent­lich eine spe­zi­fi­sche gesetz­li­che Aner­ken­nung hat, vom Berufs­bild des Heil­prak­ti­kers mit den wil­des­ten The­ra­pie­ideen oder der Zulas­sung von Ärz­ten mit sol­chen, der Aus­nah­me ‚alter­na­tiv­me­di­zi­ni­scher‘ angeb­li­cher Heil­mit­tel von Zuslas­sungs­vor­schrif­ten wegen eines ‚Bin­nen­kon­sen­ses‘ der Durch­ge­knall­ten, und bis­wei­len sogar der Bezah­lung sol­cher Ver­su­che als Leis­tung der gesetz­li­chen Kas­sen. Auch einen beson­de­ren Schutz Min­der­jäh­ri­ger vor die­ser Bran­che gibt es nicht. Das Kon­ver­si­onschutz­ge­setz hat also einen Aus­nah­me­cha­rak­ter zunächst ein­mal dadurch, dass es eine bestimm­te Form von ansons­ten tole­rier­ter und sogar finan­zier­ter Alter­na­tiv­me­di­zin kri­mi­na­li­siert, und zwar eine, die immer­hin noch eine gewis­se Nähe zum Betrieb in der aner­kann­ten Medi­zin vor gar nicht lan­ger Zeit hat.

Sexu­el­le Ori­en­tie­rung und geschlecht­li­che Iden­ti­tät als gege­ben und unan­tast­bar gedacht

Der Angel­punkt, um den das gan­ze Gesetz sich dreht, ist die Defi­ni­ti­on von „Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen“ in §1 (1):

Die­ses Gesetz gilt für alle am Men­schen durch­ge­führ­ten Behand­lun­gen, die auf die Ver­än­de­rung oder Unter­drü­ckung der sexu­el­len Ori­en­tie­rung oder der selbst­emp­fun­de­nen geschlecht­li­chen Iden­ti­tät gerich­tet sind (Kon­ver­si­ons­be­hand­lung).

Gesetz zum Schutz vor Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen, §1 (1)

Dar­in liegt eine inter­es­san­te Vor­aus­set­zung. Der Mensch wird mit einer bestimm­ten „sexu­el­len Ori­en­tie­rung“ gedacht, die, nur mit dem bestimm­ten Arti­kel cha­rak­te­ri­siert, wohl sei­ne ‚wah­re‘ sexu­el­le Ori­en­tie­rung sein muss. Die­se wird offen­bar als nicht sei­nem Wil­len unter­lie­gend und ins­be­son­de­re nicht als legi­ti­mes Ziel für Ver­än­de­rungs­wün­sche gedacht. Wäh­rend es kei­nem Anstand unter­liegt, bei­spiels­wei­se sei­nen Heiß­hun­ger auf Süßig­kei­ten einer­seits als Teil des Selbsts zu erken­nen und zu akzep­tie­ren, ihn gleich­zei­tig aber beherr­schen und idea­ler­wei­se durch Appe­tit auf Grün­zeug erset­zen zu wol­len, sieht der Gesetz­ge­ber einen sol­chen Ver­än­de­rungs­wunsch in Bezug auf Objek­te sexu­el­len Begeh­rens offen­bar als ille­gi­tim und aus­sichts­los an. Das führt, wie wir noch sehen wer­den, zu inter­es­san­ten Schwie­rig­kei­ten, in die­ses Gesetz eine logi­sche Ord­nung brin­gen zu wollen.

Noch inter­es­san­ter ist die Vor­aus­set­zung einer „selbst­emp­fun­de­nen geschlecht­li­chen Iden­ti­tät“, bei der unaus­ge­spro­chen mit­ge­dacht wird, dass sie nicht iden­tisch mit dem bio­lo­gi­schen Geschlecht zu sein braucht. Auch die­se wird offen­bar als gege­ben und unan­tast­bar gedacht, auch nicht als legi­ti­mes Objekt für Veränderungswünsche.

Es scheint also die­ses Gesetz von einer Vor­aus­set­zung zu leben, dass der Mensch eine vor­ge­ge­be­ne sexu­el­le Ori­en­tie­rung und eine vor­ge­ge­be­ne geschlecht­li­che Iden­ti­tät habe, die einer­seits nicht not­wen­dig mit dem gege­be­nen bio­lo­gi­schen Geschlecht kor­re­spon­die­ren müs­sen, ande­rer­seits aber ein unan­tast­ba­res Gut sind, das man auch nicht auf eige­nen Wunsch zu ändern ver­su­chen darf. Es sind auch Kon­flik­te in der Wahr­neh­mung die­ser Ori­en­tie­rung und Iden­ti­tät vom Gesetz nicht recht vor­ge­se­hen, oder jeden­falls ist nicht erklärt, wie man den Unter­schied zwi­schen einer ‚Kon­ver­si­on‘ und einer ‚Fin­dung des wah­ren Selbst‘ erken­nen wür­de. Fer­ner scheint vor­aus­ge­setzt zu sein, dass die­se Ori­en­tie­rung und Iden­ti­tät nie­mals in einer patho­lo­gi­schen Wei­se emp­fun­den wer­den kön­nen oder das Resul­tat patho­lo­gi­scher Pro­zes­se sein kön­nen. Die­se Annah­men schei­nen mir zumin­dest begrün­dungs­be­dürf­tig, bevor man sie zur Vor­aus­set­zung einer Straf­norm macht.

Sitt­li­ches Urteil auf Exper­ten ausgelagert

Den wirk­li­chen Cha­rak­ter einer Vor­schrift erkennt man oft an ihren Aus­nah­men, und die Defi­ni­ti­on der Kon­ver­si­ons­the­ra­pie hat deren zwei. Es lohnt sich, sie zu betrachten.

Die ers­te Aus­nah­me ist die „Behand­lung von medi­zi­nisch aner­kann­ten Stö­run­gen der Sexu­al­prä­fe­renz“ in §1 (2). Damit wer­den sexu­el­le Ori­en­tie­run­gen und Prä­fe­ren­zen in zwei Klas­sen ein­ge­teilt: Legi­ti­me, die ändern zu wol­len, ver­werf­lich und in Form einer The­ra­pie streng ver­bo­ten ist, und ille­gi­ti­me, die aus­le­ben zu wol­len krank­haft ist, mög­li­cher­wei­se streng ver­bo­ten und mit star­ker Emp­feh­lung einer The­ra­pie. Die Welt geschlecht­li­chen Emp­fin­dens bleibt also auch im Gesetz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung zwei­ge­teilt in rich­tig ori­en­tiert und per­vers, und die­se Dicho­to­mie wird durch den beson­de­ren Schutz des legi­ti­men Emp­fin­dens sogar noch verstärkt.

Die Defi­ni­ti­on der Per­ver­si­on wird dabei der „medi­zi­ni­schen Aner­ken­nung“ über­las­sen, die nicht ihrer­seits näher defi­niert wird. Das ist inso­fern über­ra­schend, weil es sich bei der Fest­stel­lung, dass ein bestimm­tes Emp­fin­den patho­lo­gisch sei, eigent­lich um ein Wert­ur­teil han­delt, das nicht der eigent­li­che Gegen­stand der Medi­zin ist. Dass Kna­ben­lie­be im alten Grie­chen­land gesell­schaft­lich aner­kannt war und bei uns geäch­tet ist, liegt nicht am medi­zi­ni­schen Fort­schritt seit der Anti­ke, son­dern es ist ein geän­der­tes sitt­li­ches Urteil, für das Medi­zi­ner eigent­lich kei­ne beson­de­re Kom­pe­tenz haben.

Genau die­ses sitt­li­che Urteil hat der Bun­des­tag dann mit dem Ver­weis auf „medi­zi­ni­sche Aner­ken­nung“ auf die Exper­ten aus­ge­la­gert, die dafür eigent­lich gar kei­ne Exper­ten sind. Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on hat Homo­se­xua­li­tät erst 1990 mit der Her­aus­ga­be der ICD-10 von der Lis­te der von ihr aner­kann­ten psy­chi­schen Krank­hei­ten gestri­chen. Ent­spricht es der Absicht des Gesetz­ge­bers, dass Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen von Homo­se­xu­el­len wie­der erlaubt sein wür­den, wenn eine zukünf­ti­ge Aus­ga­be der ICD Homo­se­xua­li­tät wie­der als Stö­rung auf­näh­me, viel­leicht auf Initia­ti­ve nicht­west­li­cher Länder? 

Noch ver­fah­re­ner wird die Situa­ti­on bei Trans­se­xua­li­tät. Die wur­de erst 2018 mit ICD-11 von der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on gestri­chen, und das auch nur teil­wei­se, denn dafür wur­de die ähn­li­che Dia­gno­se der „Geschlecht­sin­kon­gru­enz“ ein­ge­führt. Wäre also eine Kon­ver­si­ons­be­hand­lung doch wie­der zuläs­sig, wenn die betref­fen­de Per­son zwar nicht als „trans­se­xu­ell“, dafür aber als „geschlecht­sin­kon­gru­ent“ dia­gnos­ti­ziert wür­de, was sich von der Dia­gno­se her nicht groß­ar­tig unter­schei­det? Wenn es einen Dia­gno­se­code in der ICD gibt, dann muss es doch wie­der eine „medi­zi­nisch aner­kann­te Stö­rung der Sexu­al­prä­fe­renz“ sein, oder doch wie­der nicht?

Ich habe in einem frü­he­ren Bei­trag die zuneh­men­de Aus­la­ge­rung sitt­li­cher Ent­schei­dun­gen auf Ethik­gre­mi­en als neue Staats­ora­kel beklagt, obwohl deren Kom­pe­tenz für sitt­li­che Ent­schei­dun­gen kei­nes­wegs klar ist und deren Befra­gung die sitt­li­che Ver­ant­wor­tung von den eigent­lich demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Ver­ant­wort­li­chen abschiebt. Der Ver­weis auf die medi­zi­ni­sche Aner­ken­nung im Kon­ver­si­ons­schutz­ge­setz tut das glei­che, sagt aber nicht ein­mal, an wen genau die Ver­ant­wor­tung über­haupt abge­scho­ben wer­den soll. Defi­niert die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on mit ihrer ICD, was Krank­heits­wert hat? Ist statt­des­sen auch der Ver­weis auf das DSM erlaubt? Defi­nie­ren es die Erstat­tungs­leis­tun­gen der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen? Die Mehr­heit der deut­schen Ärz­te oder der deut­schen Psych­ia­ter? Sind Min­der­heits­mei­nun­gen mit einer gewis­sen Ver­brei­tung aus­rei­chend? Man weiß es nicht, und das wer­den sich die Gerich­te über­le­gen müssen.

Soll­ten Pädo­se­xu­el­le the­ra­piert wer­den, wenn sol­che The­ra­pien doch nur chan­cen­los und schäd­lich seien?

Der Haupt­grund für die Aus­nah­me­re­ge­lung für medi­zi­nisch aner­kann­te Stö­run­gen der Sexu­al­prä­fe­renz wird wohl gewe­sen sein, dass man The­ra­pien für Stö­run­gen wie Pädo­se­xua­li­tät oder auf Gewalt­straf­ta­ten gerich­te­te sexu­el­le Prä­fe­ren­zen nicht ver­bie­ten woll­te. Da stellt sich dann aber die Fra­ge, ob die in der Begrün­dung des Gesetz­ent­wurfs vor­ge­brach­te Fest­stel­lung, dass The­ra­pien sexu­el­ler Ori­en­tie­run­gen sowie­so unwirk­sam sei­en, dafür aber erheb­li­che schäd­li­che Wir­kun­gen hät­ten, „zum Bei­spiel Depres­sio­nen, Ängs­te und gestei­ger­te Sui­zi­da­li­tät“, nicht auch auf sol­che aner­kann­ten Stö­run­gen zuträfe.

Wenn sexu­el­le Ori­en­tie­rung prin­zi­pi­ell nicht ver­än­der­bar ist, der Wunsch nach sol­cher Ver­än­de­rung auch ille­gi­tim ist, Ver­än­de­rungs­ver­su­che nicht fruch­ten son­dern scha­den, wel­che Aus­wir­kun­gen hät­te das auf den Umgang der Gesell­schaft bei­spiels­wei­se mit pädo­se­xu­el­len Straf­tä­tern? Soll­te der Umstand, dass jemand eine The­ra­pie macht, einen Ein­fluss auf eine neue Chan­ce zu Reso­zia­li­sie­rung haben, wenn sol­che The­ra­pien doch nach Ansicht des Gesetz­ge­bers ohne­hin chan­cen­los und nur schäd­lich sei­en? Wäre die logi­sche Kon­se­quenz die­ses Men­schen­bilds einer unver­än­der­ba­ren und unan­tast­ba­ren Sexua­li­tät nicht Ger­hard Schrö­ders Dik­tum „weg­schlie­ßen – und zwar für immer“? Und ver­trägt sich das wie­der­um mit dem Men­schen­bild des Grundgesetzes?

Mit die­sem Gedan­ken­gang soll selbst­ver­ständ­lich kei­ne mora­li­sche Gleich­wer­tig­keit homo­se­xu­el­len Begeh­rens erwach­se­ner Part­ner mit Pädo­se­xua­li­tät behaup­tet wer­den. Aber um die geht es nicht. Es geht dar­um, ob es halt­bar ist, dass sexu­el­le Ori­en­tie­rung weder ver­än­dert wer­den kann noch ver­än­dert wer­den soll noch ver­än­dert wer­den darf, was der Gesetz­ge­ber als kei­ner Begrün­dung bedür­fen­des Fak­tum zu behan­deln scheint.

Aus­ge­rech­net die schwers­ten Ein­grif­fe fal­len nicht unter den Schutz

Die zwei­te Aus­nah­me von der Defi­ni­ti­on der Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen ist noch weit­aus aben­teu­er­li­cher als die ers­te. Da heißt es:

Eine Kon­ver­si­ons­be­hand­lung liegt nicht vor bei ope­ra­ti­ven medi­zi­ni­schen Ein­grif­fen oder Hor­mon­be­hand­lun­gen, die dar­auf gerich­tet sind, die selbst­emp­fun­de­ne geschlecht­li­che Iden­ti­tät einer Per­son zum Aus­druck zu brin­gen oder dem Wunsch einer Per­son nach einem eher männ­li­chen oder eher weib­li­chen kör­per­li­chen Erschei­nungs­bild zu entsprechen.

Gesetz zum Schutz vor Kon­ver­si­ons­be­hand­lun­gen, §1 (3)

Aus­ge­rech­net die schwers­ten Ein­grif­fe, näm­lich Ope­ra­tio­nen und Hor­mon­be­hand­lun­gen, sol­len also nicht unter den ange­streb­ten Schutz fallen.

Es wird hier offen­bar vor­aus­ge­setzt, dass bei einer Diver­genz von emp­fun­de­ner Geschlechts­iden­ti­tät und bio­lo­gi­schem Geschlecht die Auf­lö­sung die­ser Diver­genz durch schwe­re kör­per­li­che Ein­grif­fe legi­tim ist, auch bei Jugend­li­chen, die Auf­lö­sung dadurch, dass man lernt, sein bio­lo­gi­sches Geschlecht in die eige­ne Iden­ti­tät zu inte­grie­ren, aber nicht.

Ist es wirk­lich so klar, dass der Wunsch nach der Ampu­ta­ti­on der Geschlechts­or­ga­ne nicht min­des­tens in man­chen Fäl­len patho­lo­gisch und vor­über­ge­hend ist, und der Betref­fen­de den Ein­griff spä­ter bereu­en wird? Wenn das so klar ist, gilt das auch für den Wunsch nach der Ampu­ta­ti­on von ande­ren als den Geschlechts­or­ga­nen? Es gibt rela­tiv sel­te­ne Fäl­le, in denen Men­schen Kör­per­tei­le wie Glied­ma­ßen als nicht ihnen zuge­hö­rig erle­ben und eine Ampu­ta­ti­on anstre­ben. Kann das wirk­lich nie Krank­heits­wert haben, und ist die Ampu­ta­ti­on wirk­lich immer die Lösung? Wenn man aber dem Wunsch nach der Ampu­ta­ti­on des Beins Krank­heits­wert zuschreibt, kann man dann wirk­lich aus­schlie­ßen, dass in min­des­tens man­chen Fäl­len auch den Wunsch nach der Ampu­ta­ti­on der Geschlechts­or­ga­ne krank­haft ist und die Akzep­tanz des eige­nen bio­lo­gi­schen Geschlechts, also die ‚Kon­ver­si­on‘, eine bes­se­re Lösung wäre als die Amputation? 

„Das Mäd­chen, das nie­mand wollte“

In die­sem Zusam­men­hang lohnt es sich, den Fall des bel­gi­schen Trans­se­xu­el­len Nathan Ver­helst zu betrach­ten, der, als Mäd­chen gebo­ren, nach einer Rei­he von Geschlechts­an­glei­chungs­ope­ra­tio­nen nicht die gewünsch­te Zufrie­den­heit erreich­te und sich des­halb von einem Arzt töten ließ, was als „Eutha­na­sie“ straf­los blieb.

Ver­helsts Kind­heit und ins­be­son­de­re sei­ne Mut­ter müs­sen schau­der­haft gewe­sen sein. Die Mut­ter hat ihn offen­bar sei­ne gan­ze Kind­heit hin­durch wis­sen las­sen, dass sie Söh­ne woll­te und kei­ne Töch­ter. Kurz vor sei­nem Tod hat er in einem Inter­view erklärt, er sei „das Mäd­chen gewe­sen, das nie­mand woll­te.“ Kurz nach sei­nem Tod hat sei­ne Mut­ter erklärt: „Ich füh­le kei­ne Treu­er, kei­nen Zwei­fel, kei­ne Reue. Wir hat­ten nie eine Ver­bin­dung.“ Könn­te Ver­helsts Wunsch, ein Mann zu sein, nicht mit die­ser schreck­li­chen Kind­heit zusam­men­hän­gen, und nicht damit, dass sei­ne – oder eben doch ihre? – ‚wah­re Iden­ti­tät‘ männ­lich war? 

War es nicht abzu­se­hen, dass die chir­ur­gi­sche Zer­stö­rung der Geschlechts­or­ga­ne einer­seits nicht das gewünsch­te ästhe­ti­sche Ergeb­nis und ande­rer­seits nicht die gewünsch­te Zufrie­den­heit brin­gen wür­de? Wäre es nicht ver­ant­wort­li­cher gewe­sen, die Ver­ar­bei­tung der Kind­heit und die Selbst­ak­zep­tanz als Frau zumin­dest als Behand­lungs­ziel in Erwä­gung zu zie­hen, anstel­le erst dem geäu­ßer­ten Wunsch nach einer Geschlechts­um­wand­lung und dann dem Wunsch nach dem Tod zu ent­spre­chen oder die­se Wün­sche gar extern zu bestä­ti­gen und anzu­trei­ben? Ver­helst selbst hat das Ergeb­nis die­ser Ope­ra­tio­nen als „ein Mons­ter“ bezeich­net. Soll wirk­lich aus­ge­rech­net die­se Art der Behand­lung von einem Schutz Min­der­jäh­ri­ger aus­ge­nom­men sein, wäh­rend eine Gesprächs­the­ra­pie mit dem Ziel der Akzep­tanz, eine Frau zu sein, kri­mi­na­li­siert würde?

Um ein paar angeb­li­che Homo­se­xu­el­len­um­dre­her, deren Geschäfts­mo­dell nun etwas müh­sa­mer wird, ist es nicht scha­de. Aber die­sem Gesetz offen­bar unter­lie­gen­de Men­schen­bild scheint mir in der Tat per­vers zu sein.