Der Bundestag hat am 7. Mai einen Gesetzentwurf der Bundesregierung „zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ angenommen. Er verbietet angebliche Therapien mit dem Ziel der Änderung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität bei Minderjährigen, bei Volljährigen mit „Willensmangel“ und die Werbung für solche Therapien. Dieses Gesetz ist interessant einerseits als Ausnahme von einer weitgehenden Toleranz für Alternativmedizin, andererseits auch wieder mit seinen vorgesehenen Ausnahmen für schwerste operative Eingriffe. Obwohl es um die Konversionstherapeuten nicht schade ist, offenbart das Gesetz ein verqueres Verständnis von Geschlechtlichkeit und Persönlichkeit.
Der Mangel an Seriosität von selbsternannten Heilern, die versprechen, aus Homosexuellen Heterosexuelle machen zu können, sogar nach Anlieferung durch die Familie gegen den Willen der Betroffenen, bedarf keiner weiteren Diskussion. In lustiger Form wurde das 1999 in der Satire ‚But I’m a Cheerleader‘, in der deutschen Fassung ‚Weil ich ein Mädchen bin‘, aufgenommen, und die Realität scheint noch abgedrehter zu sein als die Satire.
Gesetz mit Ausnahmecharakter
Das Gesetz hat allerdings insofern Ausnahmecharakter, weil noch absurdere ‚Alternativmedizin‘ ansonsten in Deutschland eigentlich eine spezifische gesetzliche Anerkennung hat, vom Berufsbild des Heilpraktikers mit den wildesten Therapieideen oder der Zulassung von Ärzten mit solchen, der Ausnahme ‚alternativmedizinischer‘ angeblicher Heilmittel von Zuslassungsvorschriften wegen eines ‚Binnenkonsenses‘ der Durchgeknallten, und bisweilen sogar der Bezahlung solcher Versuche als Leistung der gesetzlichen Kassen. Auch einen besonderen Schutz Minderjähriger vor dieser Branche gibt es nicht. Das Konversionschutzgesetz hat also einen Ausnahmecharakter zunächst einmal dadurch, dass es eine bestimmte Form von ansonsten tolerierter und sogar finanzierter Alternativmedizin kriminalisiert, und zwar eine, die immerhin noch eine gewisse Nähe zum Betrieb in der anerkannten Medizin vor gar nicht langer Zeit hat.
Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als gegeben und unantastbar gedacht
Der Angelpunkt, um den das ganze Gesetz sich dreht, ist die Definition von „Konversionsbehandlungen“ in §1 (1):
Dieses Gesetz gilt für alle am Menschen durchgeführten Behandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind (Konversionsbehandlung).
Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, §1 (1)
Darin liegt eine interessante Voraussetzung. Der Mensch wird mit einer bestimmten „sexuellen Orientierung“ gedacht, die, nur mit dem bestimmten Artikel charakterisiert, wohl seine ‚wahre‘ sexuelle Orientierung sein muss. Diese wird offenbar als nicht seinem Willen unterliegend und insbesondere nicht als legitimes Ziel für Veränderungswünsche gedacht. Während es keinem Anstand unterliegt, beispielsweise seinen Heißhunger auf Süßigkeiten einerseits als Teil des Selbsts zu erkennen und zu akzeptieren, ihn gleichzeitig aber beherrschen und idealerweise durch Appetit auf Grünzeug ersetzen zu wollen, sieht der Gesetzgeber einen solchen Veränderungswunsch in Bezug auf Objekte sexuellen Begehrens offenbar als illegitim und aussichtslos an. Das führt, wie wir noch sehen werden, zu interessanten Schwierigkeiten, in dieses Gesetz eine logische Ordnung bringen zu wollen.
Noch interessanter ist die Voraussetzung einer „selbstempfundenen geschlechtlichen Identität“, bei der unausgesprochen mitgedacht wird, dass sie nicht identisch mit dem biologischen Geschlecht zu sein braucht. Auch diese wird offenbar als gegeben und unantastbar gedacht, auch nicht als legitimes Objekt für Veränderungswünsche.
Es scheint also dieses Gesetz von einer Voraussetzung zu leben, dass der Mensch eine vorgegebene sexuelle Orientierung und eine vorgegebene geschlechtliche Identität habe, die einerseits nicht notwendig mit dem gegebenen biologischen Geschlecht korrespondieren müssen, andererseits aber ein unantastbares Gut sind, das man auch nicht auf eigenen Wunsch zu ändern versuchen darf. Es sind auch Konflikte in der Wahrnehmung dieser Orientierung und Identität vom Gesetz nicht recht vorgesehen, oder jedenfalls ist nicht erklärt, wie man den Unterschied zwischen einer ‚Konversion‘ und einer ‚Findung des wahren Selbst‘ erkennen würde. Ferner scheint vorausgesetzt zu sein, dass diese Orientierung und Identität niemals in einer pathologischen Weise empfunden werden können oder das Resultat pathologischer Prozesse sein können. Diese Annahmen scheinen mir zumindest begründungsbedürftig, bevor man sie zur Voraussetzung einer Strafnorm macht.
Sittliches Urteil auf Experten ausgelagert
Den wirklichen Charakter einer Vorschrift erkennt man oft an ihren Ausnahmen, und die Definition der Konversionstherapie hat deren zwei. Es lohnt sich, sie zu betrachten.
Die erste Ausnahme ist die „Behandlung von medizinisch anerkannten Störungen der Sexualpräferenz“ in §1 (2). Damit werden sexuelle Orientierungen und Präferenzen in zwei Klassen eingeteilt: Legitime, die ändern zu wollen, verwerflich und in Form einer Therapie streng verboten ist, und illegitime, die ausleben zu wollen krankhaft ist, möglicherweise streng verboten und mit starker Empfehlung einer Therapie. Die Welt geschlechtlichen Empfindens bleibt also auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung zweigeteilt in richtig orientiert und pervers, und diese Dichotomie wird durch den besonderen Schutz des legitimen Empfindens sogar noch verstärkt.
Die Definition der Perversion wird dabei der „medizinischen Anerkennung“ überlassen, die nicht ihrerseits näher definiert wird. Das ist insofern überraschend, weil es sich bei der Feststellung, dass ein bestimmtes Empfinden pathologisch sei, eigentlich um ein Werturteil handelt, das nicht der eigentliche Gegenstand der Medizin ist. Dass Knabenliebe im alten Griechenland gesellschaftlich anerkannt war und bei uns geächtet ist, liegt nicht am medizinischen Fortschritt seit der Antike, sondern es ist ein geändertes sittliches Urteil, für das Mediziner eigentlich keine besondere Kompetenz haben.
Genau dieses sittliche Urteil hat der Bundestag dann mit dem Verweis auf „medizinische Anerkennung“ auf die Experten ausgelagert, die dafür eigentlich gar keine Experten sind. Die Weltgesundheitsorganisation hat Homosexualität erst 1990 mit der Herausgabe der ICD-10 von der Liste der von ihr anerkannten psychischen Krankheiten gestrichen. Entspricht es der Absicht des Gesetzgebers, dass Konversionsbehandlungen von Homosexuellen wieder erlaubt sein würden, wenn eine zukünftige Ausgabe der ICD Homosexualität wieder als Störung aufnähme, vielleicht auf Initiative nichtwestlicher Länder?
Noch verfahrener wird die Situation bei Transsexualität. Die wurde erst 2018 mit ICD-11 von der Weltgesundheitsorganisation gestrichen, und das auch nur teilweise, denn dafür wurde die ähnliche Diagnose der „Geschlechtsinkongruenz“ eingeführt. Wäre also eine Konversionsbehandlung doch wieder zulässig, wenn die betreffende Person zwar nicht als „transsexuell“, dafür aber als „geschlechtsinkongruent“ diagnostiziert würde, was sich von der Diagnose her nicht großartig unterscheidet? Wenn es einen Diagnosecode in der ICD gibt, dann muss es doch wieder eine „medizinisch anerkannte Störung der Sexualpräferenz“ sein, oder doch wieder nicht?
Ich habe in einem früheren Beitrag die zunehmende Auslagerung sittlicher Entscheidungen auf Ethikgremien als neue Staatsorakel beklagt, obwohl deren Kompetenz für sittliche Entscheidungen keineswegs klar ist und deren Befragung die sittliche Verantwortung von den eigentlich demokratisch legitimierten Verantwortlichen abschiebt. Der Verweis auf die medizinische Anerkennung im Konversionsschutzgesetz tut das gleiche, sagt aber nicht einmal, an wen genau die Verantwortung überhaupt abgeschoben werden soll. Definiert die Weltgesundheitsorganisation mit ihrer ICD, was Krankheitswert hat? Ist stattdessen auch der Verweis auf das DSM erlaubt? Definieren es die Erstattungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen? Die Mehrheit der deutschen Ärzte oder der deutschen Psychiater? Sind Minderheitsmeinungen mit einer gewissen Verbreitung ausreichend? Man weiß es nicht, und das werden sich die Gerichte überlegen müssen.
Sollten Pädosexuelle therapiert werden, wenn solche Therapien doch nur chancenlos und schädlich seien?
Der Hauptgrund für die Ausnahmeregelung für medizinisch anerkannte Störungen der Sexualpräferenz wird wohl gewesen sein, dass man Therapien für Störungen wie Pädosexualität oder auf Gewaltstraftaten gerichtete sexuelle Präferenzen nicht verbieten wollte. Da stellt sich dann aber die Frage, ob die in der Begründung des Gesetzentwurfs vorgebrachte Feststellung, dass Therapien sexueller Orientierungen sowieso unwirksam seien, dafür aber erhebliche schädliche Wirkungen hätten, „zum Beispiel Depressionen, Ängste und gesteigerte Suizidalität“, nicht auch auf solche anerkannten Störungen zuträfe.
Wenn sexuelle Orientierung prinzipiell nicht veränderbar ist, der Wunsch nach solcher Veränderung auch illegitim ist, Veränderungsversuche nicht fruchten sondern schaden, welche Auswirkungen hätte das auf den Umgang der Gesellschaft beispielsweise mit pädosexuellen Straftätern? Sollte der Umstand, dass jemand eine Therapie macht, einen Einfluss auf eine neue Chance zu Resozialisierung haben, wenn solche Therapien doch nach Ansicht des Gesetzgebers ohnehin chancenlos und nur schädlich seien? Wäre die logische Konsequenz dieses Menschenbilds einer unveränderbaren und unantastbaren Sexualität nicht Gerhard Schröders Diktum „wegschließen – und zwar für immer“? Und verträgt sich das wiederum mit dem Menschenbild des Grundgesetzes?
Mit diesem Gedankengang soll selbstverständlich keine moralische Gleichwertigkeit homosexuellen Begehrens erwachsener Partner mit Pädosexualität behauptet werden. Aber um die geht es nicht. Es geht darum, ob es haltbar ist, dass sexuelle Orientierung weder verändert werden kann noch verändert werden soll noch verändert werden darf, was der Gesetzgeber als keiner Begründung bedürfendes Faktum zu behandeln scheint.
Ausgerechnet die schwersten Eingriffe fallen nicht unter den Schutz
Die zweite Ausnahme von der Definition der Konversionsbehandlungen ist noch weitaus abenteuerlicher als die erste. Da heißt es:
Eine Konversionsbehandlung liegt nicht vor bei operativen medizinischen Eingriffen oder Hormonbehandlungen, die darauf gerichtet sind, die selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person zum Ausdruck zu bringen oder dem Wunsch einer Person nach einem eher männlichen oder eher weiblichen körperlichen Erscheinungsbild zu entsprechen.
Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, §1 (3)
Ausgerechnet die schwersten Eingriffe, nämlich Operationen und Hormonbehandlungen, sollen also nicht unter den angestrebten Schutz fallen.
Es wird hier offenbar vorausgesetzt, dass bei einer Divergenz von empfundener Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht die Auflösung dieser Divergenz durch schwere körperliche Eingriffe legitim ist, auch bei Jugendlichen, die Auflösung dadurch, dass man lernt, sein biologisches Geschlecht in die eigene Identität zu integrieren, aber nicht.
Ist es wirklich so klar, dass der Wunsch nach der Amputation der Geschlechtsorgane nicht mindestens in manchen Fällen pathologisch und vorübergehend ist, und der Betreffende den Eingriff später bereuen wird? Wenn das so klar ist, gilt das auch für den Wunsch nach der Amputation von anderen als den Geschlechtsorganen? Es gibt relativ seltene Fälle, in denen Menschen Körperteile wie Gliedmaßen als nicht ihnen zugehörig erleben und eine Amputation anstreben. Kann das wirklich nie Krankheitswert haben, und ist die Amputation wirklich immer die Lösung? Wenn man aber dem Wunsch nach der Amputation des Beins Krankheitswert zuschreibt, kann man dann wirklich ausschließen, dass in mindestens manchen Fällen auch den Wunsch nach der Amputation der Geschlechtsorgane krankhaft ist und die Akzeptanz des eigenen biologischen Geschlechts, also die ‚Konversion‘, eine bessere Lösung wäre als die Amputation?
„Das Mädchen, das niemand wollte“
In diesem Zusammenhang lohnt es sich, den Fall des belgischen Transsexuellen Nathan Verhelst zu betrachten, der, als Mädchen geboren, nach einer Reihe von Geschlechtsangleichungsoperationen nicht die gewünschte Zufriedenheit erreichte und sich deshalb von einem Arzt töten ließ, was als „Euthanasie“ straflos blieb.
Verhelsts Kindheit und insbesondere seine Mutter müssen schauderhaft gewesen sein. Die Mutter hat ihn offenbar seine ganze Kindheit hindurch wissen lassen, dass sie Söhne wollte und keine Töchter. Kurz vor seinem Tod hat er in einem Interview erklärt, er sei „das Mädchen gewesen, das niemand wollte.“ Kurz nach seinem Tod hat seine Mutter erklärt: „Ich fühle keine Treuer, keinen Zweifel, keine Reue. Wir hatten nie eine Verbindung.“ Könnte Verhelsts Wunsch, ein Mann zu sein, nicht mit dieser schrecklichen Kindheit zusammenhängen, und nicht damit, dass seine – oder eben doch ihre? – ‚wahre Identität‘ männlich war?
War es nicht abzusehen, dass die chirurgische Zerstörung der Geschlechtsorgane einerseits nicht das gewünschte ästhetische Ergebnis und andererseits nicht die gewünschte Zufriedenheit bringen würde? Wäre es nicht verantwortlicher gewesen, die Verarbeitung der Kindheit und die Selbstakzeptanz als Frau zumindest als Behandlungsziel in Erwägung zu ziehen, anstelle erst dem geäußerten Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung und dann dem Wunsch nach dem Tod zu entsprechen oder diese Wünsche gar extern zu bestätigen und anzutreiben? Verhelst selbst hat das Ergebnis dieser Operationen als „ein Monster“ bezeichnet. Soll wirklich ausgerechnet diese Art der Behandlung von einem Schutz Minderjähriger ausgenommen sein, während eine Gesprächstherapie mit dem Ziel der Akzeptanz, eine Frau zu sein, kriminalisiert würde?
Um ein paar angebliche Homosexuellenumdreher, deren Geschäftsmodell nun etwas mühsamer wird, ist es nicht schade. Aber diesem Gesetz offenbar unterliegende Menschenbild scheint mir in der Tat pervers zu sein.