Der Schau­pro­zess

Das zwei­te Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren gegen Donald Trump ist nicht nur unzu­läs­sig, son­dern der ein­zi­ge Ankla­ge­vor­wurf ist die Aus­übung sei­nes ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Rechts auf Rede­frei­heit. Damit kommt der poli­ti­sche Schau­pro­zess der Sowjet­uni­on wie­der, dies­mal aller­dings als Far­ce statt als Tragödie.

Der ehe­ma­li­ge ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent Donald Trump wur­de nicht wie sein Amts­vor­gän­ger mit dem Frie­dens­no­bel­preis aus­ge­zeich­net, obwohl er als ers­ter Prä­si­dent seit Richard Nixon sein Land in kei­nen neu­en Krieg geführt hat. Dafür ist er aber der ers­te Prä­si­dent, der gleich mit zwei Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren bedacht wur­de, und als wei­te­re Novi­tät wird das zwei­te, jet­zi­ge erst nach dem Ende sei­ner Amts­zeit betrie­ben. Eine noch grö­ße­re Novi­tät ist aller­dings, dass dem Ver­fah­ren gar kein nach­voll­zieh­ba­rer Vor­wurf der Ankla­ge zugrun­de liegt, son­dern der eigent­li­che Vor­wurf dar­in besteht, Donald Trump zu sein und als sol­cher das Recht auf Rede­frei­heit aus­ge­übt zu haben. Das Ver­fah­ren ist eben­so sinn- wie aus­sichts­los und als Schau­pro­zess gegen einen in Ungna­de Gefal­le­nen ange­legt. Die­ser Umstand wur­de in den deutsch­spra­chi­gen Medi­en bis­her kaum beach­tet, so dass es sich lohnt, ihn hier etwas näher zu beleuchten.

Nach den nor­ma­len Regeln der Gram­ma­tik nicht vorgesehen

Die ame­ri­ka­ni­sche Ver­fas­sung sieht vor, dass „der Prä­si­dent“ sei­nes Amtes ent­ho­ben wer­den kann, wenn er in einem spe­zi­el­len Ankla­ge- und Richt­ver­fah­ren, dem Impeach­ment, ver­ur­teilt wird wegen „Hoch­ver­rat, Kor­rup­ti­on oder ande­ren Amts­de­lik­ten und Ver­ge­hen.“ Die­ses Ver­fah­ren unter­schei­det sich vom deut­schen kon­struk­ti­ven Miss­trau­ens­vo­tum gegen den Bun­des­kanz­ler also grund­le­gend dar­in, dass es an den Straf­pro­zess ange­lehnt ist, es Anklä­ger und Rich­ter gibt, und eine Ver­ur­tei­lung durch den als Rich­ter­gre­mi­um fun­gie­ren­den Senat nur dann erfol­gen soll, wenn durch die Sena­to­ren ein spe­zi­fi­sches Ver­ge­hen fest­ge­stellt wird. Der Raus­schmiss aus rein poli­ti­schen Grün­den ist dem Vol­ke in den regel­mä­ßi­gen Wah­len vor­be­hal­ten und ja bereits erfolgt. Ent­ge­gen die­ser engen Vor­schrif­ten fin­det nun aber ein Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren gegen einen ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten statt, dem gar kein jus­ti­zia­bler Vor­wurf zugrun­de liegt.

Das ers­te Pro­blem bei der Sache ist, dass die ame­ri­ka­ni­sche Ver­fas­sung als Ange­klag­ten eines sol­chen Ver­fah­rens „den Prä­si­den­ten“ mit bestimm­ten Arti­kel angibt, sowie ande­re Amts­trä­ger der Bun­des­re­gie­rung. Der Prä­si­dent heißt aber Joe Biden. Ein Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren gegen ehe­ma­li­ge Prä­si­den­ten ist, liest man die Ver­fas­sung nach den nor­ma­len Regeln der Gram­ma­tik, nicht vor­ge­se­hen. Es ist auch sinn­los, denn der Betref­fen­de ist ja bereits aus dem Amt geschie­den. Den Demo­kra­ten, wel­che die Ankla­ge vor­an­ge­trie­ben haben, geht es neben der sym­bo­li­schen Wir­kung dar­um, als Neben­fol­ge einer Ver­ur­tei­lung Donald Trump das pas­si­ve Wahl­recht abzuerkennen.

Der Senat hat ges­tern über die Fra­ge abge­stimmt, ob er über­haupt für ein Ver­fah­ren gegen einen ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten zustän­dig sei. Von den hun­dert Sena­to­ren stimm­ten 55, davon fünf Repu­bli­ka­ner, dage­gen, das Ver­fah­ren wegen Unzu­stän­dig­keit sofort ein­zu­stel­len. Es geht also in zwei Wochen weiter.

„Eine Gefahr für die natio­na­le Sicher­heit, die Demo­kra­tie und die Verfassung“

Damit kom­men wir aber zum zwei­ten und deut­lich grö­ße­ren Pro­blem. Die Ver­fas­sung ist nicht ein­deu­tig dar­in, was genau unter den „Ver­ge­hen“ zu ver­ste­hen ist, wegen derer ein Amts­trä­ger ange­klagt und ent­fernt wer­den kann. Zur dama­li­gen Zeit war das Straf­recht zu erheb­li­chen Tei­len nicht kodif­ziert son­dern durch das com­mon law gere­gelt, so dass die zu ver­ur­tei­len­den Ver­ge­hen nicht unbe­dingt mit einem Para­gra­phen in einem Straf­ge­setz benenn­bar sein müs­sen. Aber klar ist doch, dass ein irgend­wie jus­ti­zia­bles Fehl­ver­hal­ten vor­lie­gen muss, dass jeden­falls nicht wegen etwas ange­klagt und ver­ur­teilt wer­den kann, das aus­drück­lich erlaubt ist.

Was ist aber nun ange­klagt? Die Ankla­ge­schrift gegen Donald Trump wirft ihm vor, er habe „wie­der­holt fal­sche Behaup­tun­gen ange­stellt, dass die Ergeb­nis­se der Prä­si­den­ten­wahl das Resul­tat von weit­ver­brei­te­tem Betrug gewe­sen sei­en“. Wei­ter­hin wirft sie ihm vor, dadurch und durch einen Auf­ruf in einer Rede am Drei­kö­nigs­tag, die Bür­ger soll­ten sich weh­ren, vor­her­seh­bar für die Kra­wal­le die­ses Tages am Kapi­tol ver­ant­wort­lich zu sein. Schließ­lich wird ihm vor­ge­wor­fen, den Wahl­lei­ter des Bun­des­staa­tes Geor­gia in einem Anruf auf­ge­for­dert zu haben, die­je­ni­gen recht weni­gen Stim­men, die den Aus­schlag zu sei­nen Guns­ten gege­ben hät­ten, zu „fin­den“. Ein Gesetz, das durch die­se Taten ver­letzt wor­den wäre, wird in der Ankla­ge nicht benannt. Dafür wird es am Ende ganz dra­ma­tisch: „Daher hat Donald Trump durch sol­ches Ver­hal­ten gezeigt, dass er eine Gefahr für die natio­na­le Sicher­heit, die Demo­kra­tie und die Ver­fas­sung blei­ben wird, wenn er im Amt ver­bleibt, und er hat sich in einer Wei­se betra­gen, die grob unver­träg­lich mit Selbst­re­gie­rung und der Herr­schaft des Rechts ist.“ Star­ker Tobak.

Die behaup­te­ten Fak­ten stim­men soweit. Donald Trump war der Ansicht, dass die Wah­len unter erheb­li­chen Unre­gel­mä­ßig­kei­ten lit­ten, dass er eigent­lich die Wahl gewon­nen habe, und er hat des­we­gen sei­ne Anhän­ger zu Demons­tra­tio­nen auf­ge­for­dert. Der Anruf fand eben­falls statt. Wich­tig ist aber auch, was Trump nicht gesagt und getan hat, was auch die Ankla­ge nicht behaup­tet: Er hat nicht zu Gewalt oder zum gewalt­sa­men Ein­drin­gen ins Kapi­tol auf­ge­ru­fen, son­dern aus­drück­lich zu einer fried­li­chen Demons­tra­ti­on, und er hat auch vom Wahl­lei­ter nur ver­langt, dass er sich anstren­gen soll, aber nicht, dass er das Ergeb­nis fäl­sche. Wei­ter­hin hat Donald Trump unbe­strit­ten nach Aus­bruch der Kra­wal­le sei­ne Anhän­ger auf­ge­for­dert, fried­lich zu blei­ben und heimzugehen.

Bran­den­burg

Um nun die Recht­mä­ßig­keit des Ver­hal­tens von Donald Trump zu beur­tei­len, kann man mit Gewinn einen berühm­ten Prä­ze­denz­fall des Obers­ten Gerichts­hofs stu­die­ren, Bran­den­burg v. Ohio aus dem Jah­re 1969. Cla­rence Bran­den­burg war ein Anfüh­rer des ras­sis­ti­schen Ku Klux Klan, der eine Demons­tra­ti­on gegen „Nig­ger“, „Juden“, den Prä­si­den­ten, den Kon­gress und das Obers­te Gericht ver­an­stal­tet hat­te und zu einem Marsch auf Washing­ton auf­ge­ru­fen hat­te. Die Fra­ge war, ob er des­we­gen unter einem Gesetz des Staa­tes Ohio, das Auf­ru­fe zu Gewalt straf­bar mach­te, ver­ur­teilt wer­den durf­te. Die Ant­wort war ein kla­res Nein, denn das betref­fen­de Gesetz ver­sto­ße gegen die Garan­tie der Rede­frei­heit im ers­ten Zusatz zur Bun­des­ver­fas­sung. Die­ses wei­te Garan­tie der Rede- und Pres­se­frei­heit wird seit­dem weit­ge­hend von Rechts wie von Links akzeptiert.

Geset­ze und Ver­ur­tei­lun­gen wegen Delik­ten ent­spre­chend der deut­schen Volks­ver­het­zung sind damit in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus­ge­schlos­sen. Für eine mög­li­che Straf­bar­keit von Auf­ru­fen zu Gewalt for­mu­lier­te der Obers­te Gerichts­hof drei Vor­aus­set­zun­gen, die gleich­zei­tig erfüllt sein müs­sen: Ers­tens muss der Auf­ruf dahin gerich­tet sein, „sofor­ti­ge unge­setz­li­che Hand­lun­gen“ vor­zu­neh­men. Zwei­tens muss der Erfolg des Auf­rufs wahr­schein­lich sein. Drit­tens muss das in der Absicht des Spre­chers lie­gen. Der rei­ne Umstand, dass eine Rede oder eine Behaup­tung, auch eine fal­sche, zu Gewalt füh­ren kön­ne, reicht also nicht aus, son­dern der Spre­cher muss zu der Gewalt auf­for­dern, und die ange­streb­te Gewalt muss ein kon­kre­ter und unmit­tel­bar bevor­ste­hen­der Akt sein und vom Spre­cher beab­sich­tigt wer­den. „Schlagt ihn nie­der!“ ist also straf­bar, wäh­rend „Geor­ge Floyd wur­de unschul­dig von ras­sis­ti­schen Poli­zis­ten ermor­det“ ver­fas­sungs­mä­ßig geschütz­te Rede ist, auch wenn die Behaup­tung falsch sein mag, und egal wie sehr dadurch man­che Men­schen zu Gewalt ange­sta­chelt wer­den mögen. Auch ein Auf­ruf zu Gewalt in der unspe­zi­fi­schen Zukunft wie „Das Pro­le­ta­ri­at muss die Kapi­ta­lis­ten mit Gewalt besei­ti­gen!“ ist genau­so geschützt.

Die Tra­gö­die des poli­ti­schen Schau­pro­zes­ses als Farce

Damit ist nun voll­kom­men klar, dass die Äuße­run­gen Donald Trumps weit inner­halb der Gren­zen des von der Ver­fas­sung Garan­tier­ten lie­gen. Sein Auf­ruf in der ange­klag­ten Rede lau­te­te: „Ich weiß, dass jeder hier bald zum Kapi­tol hin­über­mar­schie­ren wird, um eure Stim­men fried­lich und patrio­tisch zu erhe­ben.“ Der Inhalt war also ein­deu­tig ein Auf­ruf zu einer lega­len und fried­li­chen Demons­tra­ti­on und kei­ner Form ein Auf­ruf zu unge­setz­li­chem Ver­hal­ten. Weder lässt sich hier­aus eine Inten­ti­on zu Gewalt ablei­ten, noch wur­de zu Gewalt auf­ge­ru­fen, noch erscheint plau­si­bel, dass ein sol­cher Auf­ruf für sich zu Gewalt füh­ren wer­de. Ame­ri­ka­ni­sche Par­la­men­te haben übri­gens kei­ne Bann­mei­len, und ich war sel­ber schon bei Demons­tra­ti­on dabei, wo wir ganz selbst­ver­ständ­lich mit einer kur­zen Taschen­kon­trol­le höf­lich ins Par­la­ments­ge­bäu­de mei­nes Bun­des­staa­tes hin­ein­ge­las­sen wur­den, um da die Abge­ord­ne­ten in ihren Büros auf­zu­su­chen und ihnen, so sie wol­len, unser Anlie­gen vor­zu­tra­gen. Auch der rei­ne Pro­test bei einem Wahl­lei­ter ist genau­so wenig straf­bar wie das Anschrei­en des Schieds­rich­ters, er sol­le sei­ne Abseits­ent­schei­dung noch­mals über­den­ken und die feh­len­den fünf Zen­ti­me­ter zur Kennt­nis nehmen.

Das jet­zi­ge Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren gegen Donald Trump wird also geführt, obwohl es nach dem Wort­laut der Ver­fas­sung wohl gar nicht zuläs­sig wäre, und der Ankla­ge­vor­wurf besteht in nichts außer der Aus­übung der ver­fas­sungs­mä­ßig geschütz­ten Rede­frei­heit. Damit hat es den rei­nen Cha­rak­ter eines Schau­pro­zes­ses. Unter der demo­kra­ti­schen Frak­ti­on im Kon­gress sym­pa­thi­sie­ren ja eini­ge Abge­ord­ne­te mit Marx, und ganz nach des­sen Dik­tum kommt die Tra­gö­die des poli­ti­schen Schau­pro­zes­ses der Sowjet­uni­on wie­der, aber dies­mal als Far­ce. Die­se Far­ce wird nahe­zu sicher mit einem Frei­spruch für Trump enden. Der und sei­ne Anhän­ger wer­den sich nicht zu Unrecht in ihrer Opfer­rol­le bestä­tigt füh­len. Sie wer­den sich auch zu Recht die Fra­ge stel­len, wel­chen Respekt vor sei­nen ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Grund­rech­ten der Bür­ger von einer Par­tei erwar­ten kann, die einen sol­chen Schau­pro­zess gegen einen ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten führt, der immer­hin durch Pro­mi­nenz, exzel­len­ten Rechts­bei­stand und das Licht der Öffent­lich­keit einen gewis­sen Schutz hat, auf den der ein­fa­che Bür­ger sich nicht ver­las­sen kann.