Die Polizei hat sich im Fall Beate Bahner geäußert (auf den sich diese Pressemitteilung offenbar bezieht):
Im Rahmen des weiteren Gesprächsverlaufs und aufgrund ihrer Verhaltensweise hielten es die Beamten für erforderlich, medizinische Hilfe einzuholen. Hierzu wurde die Frau festgehalten und sollte in eine Klinik gebracht werden. Daraufhin setzte sie sich zur Wehr und trat mehrfach gegen einen Beamten. Diesbezüglich wurden die Ermittlungen gegen die Verdächtige wegen des Verdachts des tätlichen Angriffs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte aufgenommen.
POL-MA: Heidelberg: Frau nach Personenkontrolle mit anschließendem tätlichen Angriff und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Klinik gebracht; Ermittlungen dauern an
Unterstellen wir einmal, dass Frau Bahner in einem Zustand war, in dem eine psychiatrische Behandlung notwendig war, dann hat dieser Zustand eine Vorgeschichte, die ich gestern im Artikel ‚Beate Bahner in der Psychiatrie: Back in the USSR?‘ angerissen habe. Frau Bahner hatte sich in nicht sehr zielführender Weise gegen ihrer Ansicht nach verfassungswidrige staatliche Maßnahmen zur Wehr gesetzt, und es spricht einiges dafür, dass sie mindestens in kleinen Teilen recht hat. Dann wurde ihr Eilantrag (berechtigt) abgewiesen, aber es wurde auch (mit eher zweifelhafter Berechtigung und dann auch revidiert) ihre Website gesperrt und sie bekam (absurderweise) eine Vorladung vom Staatsschutz, beides wegen ihrer Aufforderung, Demonstrationen anzumelden.
Es hätten dann die Ereignisse des Triduums und des Ostersonntags eine Krise ausgelöst
Unterstellen wir einmal weiter, für Zwecke dieses Arguments, dass Frau Bahner, aus welchen Gründen auch immer, mehr als der durchschnittliche Bürger zu wahnhaften Ideen, verfolgt zu werden, neige. Ihre Äußerungen auf ihrer Website und ihre Tonaufnahme aus der Psychiatrie sprechen dafür (was, um es klarzustellen, in keiner Weise eine Diagnose einer Pathologie sein soll, sondern eine Beobachtung öffentlich zugänglicher Dokumente). Es ist dann aber auch klar, dass Frau Bahner lange Jahre erfolgreich in einem Kopfberuf arbeiten konnte, also mit einer solchen Vorbelastung, so sie denn besteht, irgendwie sozialadäquat umgehen konnte.
Es hätten dann die Ereignisse des Triduums und des Ostersonntags eine Krise ausgelöst, die wohl ziemlich sicher mit diesen Ereignissen in engem Zusammenhang steht: Die (soweit jedenfalls teilweise nicht ganz unvernünftige) Ansicht, jenseits des Verfassungsrahmens in ihrer Freiheit beschnitten zu werden, das Scheitern mit dem Eilantrag, die Abschaltung der Website, und dann auch noch, dass tatsächlich der Staatsschutz hinter ihr her war: das ist, besonders die Sache mit dem Staatsschutz, doch wohl die größtmögliche Bestätigung für einen vielleicht ohnehin schon in den Denkstrukturen einer Person angelegte Verfolgungswahn. Klassischer als die Verfolgung durch Geheimdienste oder wenigstens die politische Polizei geht es ja gar nicht, und die fand offenbar statt, ohne dass dafür der Anlass wirklich erkennbar wäre. Eine bloße Intention zu einer Demonstration, auch wenn verboten, scheint eigentlich kaum eine Staatsschutzsache zu sein.
Wie geht man mit einer Person um, die an Verfolgungswahn leidet, der durchaus eine Grundlage in realen Geschehnissen hat?
Damit stelle ich mir die Frage: Wie geht man mit einer Person um, die an Verfolgungswahn leidet, der durchaus eine Grundlage in realen Geschehnissen hat? Es dürfte auf der Hand liegen, dass es unter diesen Umständen besonders schwer sein wird, eine Vertrauensbeziehung mit dem Patienten aufzubauen, die es ihm ermöglicht, Wahn und Realität zu trennen. Ein behandelnder Therapeut dürfte vom Patienten durchaus verständlicherweise als Teil des Systems, von dem die Verfolgung ausgeht, empfunden werden.
Bei wie vielen Fällen von pathologischem Verfolgungswahn ist eine tatsächliche unrechtmäßige Verfolgung ein auslösendes Moment des Krankheitsgeschehens?
Gibt es eigentlich Untersuchungen dazu, bei wie vielen Fällen von pathologischem Verfolgungswahn eine tatsächliche unrechtmäßige Verfolgung ein auslösendes Moment des Krankheitsgeschehens ist? Auch wenn in der Persönlichkeit eines Patienten tiefergehende Ursachen eine Disposition zum Verfolgungswahn bewirken, scheint es doch plausibel, dass die Fähigkeit, mit dieser Disposition umzugehen, besonders dann zusammenbricht, wenn sie durch tatsächliche Verfolgung bestätigt wird.
Und weiter gefragt: Sind in Fällen, in denen Verfolgungswahn durch tatsächliche Verfolgung bestärkt wurde, die gleichen therapeutischen Interventionen erfolgversprechend und gerechtfertigt wie in Fällen, in denen das nicht der Fall ist? Wie groß ist eigentlich der Anteil dieser Fälle? Müssen an den staatlich sanktionierten Freiheitsentzug strengere Maßstäbe angelegt werden, wenn der Grund dafür durch staatliches Handeln mitverursacht wurde, insbesondere auch im Hinblick auf die Geschichte der ‚Zersetzung‘ als politische Strategie in der DDR?
Um es noch einmal klarzustellen, nichts des hier Geschriebenen ist eine Ferndiagnose Frau Bahners oder eine Beurteilung ihrer Ärzte und der beteiligten Beamten, die für die Vorgeschichte nichts können und sich unverschuldet in einer arg dummen Situation gefunden haben. Die gleichen Fragen kann man sich auch in Bezug auf manche anderen berühmten Fälle wie den des Gustl Mollath stellen, bei dem ja auch eine dem öffentlichen Eindruck nach eher schwierige und vielleicht zu Verfolgungswahn prädisponierte Persönlichkeit mit tatsächlichen Verschwörungen und tatsächlicher Verfolgung zusammenkam. Und vermutlich kann man sich diese Fragen in Bezug auf nicht wenige Fälle stellen, die das Licht der Öffentlichkeit nie erblicken.