Gestern morgen [Dienstag–der Artikel sollte zuerst auf Achgut erscheinen] wäre ich mit meiner Covid-19-Impfung dran gewesen. Ich hatte mir extra die Apotheke in einem Sam’s Club—so eine Art amerikanisches Äquivalent der Metro—ausgesucht, weil man aus den Verfügbarkeitsdaten erkennen konnte, dass die nur Johnson & Johnson haben, die Sache also mit einem Besuch erledigt wäre, und dafür eine längere Anfahrt in Kauf genommen. Am Eingang war noch ein großes Werbeschild angebracht, dass die Impfstoffe „sicher und effektiv“ seien, so wie auch auf der Fahrt mehrere Plakate an der Autobahn mich zum Impfenlassen aufforderten. Am Schalter sah es dann aber anders aus, und mir wurde gesagt, dass seit dem Morgen die Impfung „pausiert“ würde, ich also nichts bekommen würde. Zwei Stunden umsonst gefahren.
Diese kleine Episode illustriert den Zentralplanungswahnsinn, der bei den „Corona-Maßnahmen“ so gerne die Ampel für allerlei Dinge ziemlich willkürlich zwischen Rot und Grün umspringen lässt, obwohl sich die Datenlage und das Verständnis der Sache nicht wirklich verändert haben.
„Fülle von Vorsicht“
Anlass der Impfpause war, dass bei rund sieben Millionen in den Vereinigten Staaten verabreichten Impfdosen sechs Fälle gemeldet wurden, in denen spezielle Varianten von Blutgerinnseln aufgetreten waren, bei denen die übliche Behandlung mit Heparin die Sache eher verschlimmert als verbessert. Die CDC und FDA empfahlen dann „aus einer Fülle von Vorsicht“ eben diese Pause. Die genannten sechs Fälle waren allesamt bei Frauen zwischen 18 und 48, so dass man da an Parallelen zu den bekannten Risiken von Blutgerinnseln von der Kombination aus hormoneller Empfängnisverhütung und Rauchen, aber auch von nur einem dieser Faktoren alleine, denken kann. Diese Risiken sind zwar nicht riesig, aber doch eher im Bereich eins zu tausend, während die gemeldeten Ereignisse bis zu zwei Wochen nach der Impfung im Bereich eins zu einer Million liegen.
Nun war es eigentlich schon bei der Schnellzulassung der neuen Covid-Impfstoffe klar, dass man extrem seltene Schäden kaum ermitteln würde können. Die Zulassungen erfolgten nach Studien mit zehntausenden Teilnehmern, was genug ist, um sagen zu können, dass die Leute nicht reihenweise umkippen würden, aber keine statistisch haltbaren Aussagen zu sehr seltenen Nebenwirkungen bringen kann. Auch das Vorgehen, die Impfungen nach komplizierten Prioritätsregeln zuzuteilen und dann nach Verfügbarkeit zu verimpfen, wird kaum zu einer besonders guten Datenerfassung beitragen. Ein Doppelblindversuch im Millionenmaßstab könnte bessere Daten liefern, wäre aber offensichtlich politisch nicht tragbar und würde keine Akzeptanz finden.
Selbst wenn man eine gute Datenlage über die Risiken der Impfung hätte, wäre der Vergleich mit den Risiken der Krankheit schwierig, denn man kennt nicht die Dunkelziffer symptomlos Erkrankter und man weiß auch nicht, welchen Schutz die Impfung längerfristig bietet. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen, aber das so richtig quantifizieren oder die Hand dafür ins Feuer legen kann niemand, insbesondere bei jungen Gesunden, bei denen sowohl die Risiken der Krankheit als auch die der Impfung in den sehr seltenen Bereich fallen.
Plötzlich umspringende Risikobewertung
Ich würde von daher auch darauf tippen, dass die Regulierungsbehörden die Pause schnell wieder aufheben werden, vielleicht schon beim heute (Mittwoch) angesetzten Treffen, vielleicht mit irgendwelchen Behandlungsrichtlinien für allfällige Blutgerinnsel.
Erstaunlich an der ganzen Sache ist aber für mich die plötzlich umspringende Risikobewertung. Am einen Tag ist das Ziel der Politik, dass alle möglichst schnell geimpft werden, und es ist ebenfalls explizites Ziel der Politik, den Menschen die Angst vor Impfschäden zu nehmen und „Impfgegner“ zu stigmatisieren. Medien und auch Arbeitgeber machen da fleißig mit. Am nächsten Tag wird die Impfung dann zwar nicht formell verboten, aber eine Empfehlung herausgegeben, die praktisch auf das Gleiche hinausläuft. Der Wissensstand hat sich offenbar zwischen diesen beiden Tagen nicht wirklich verändert, kann das auch nicht, denn bei der Seltenheit der gemeldeten Ereignisse sind verlässliche Schlussfolgerungen einfach nicht möglich.
Begrenzte Nutzenerwartung
Weiterhin interessant dabei ist der begrenzte Nutzen, den die Impfung, unterstellt man rationales Vorgehen, offenbar nach Ansicht der Verantwortlichen zu haben scheint. Wegen eines Risikos von eins zu einer Million soll es rational sein, die Impfung zu verschieben. Sagen wir, dass die jetzt abgesagten Impftermine im Schnitt zu einer Verschiebung der Impfung um zwei Wochen führen. Dann muss also nach Ansicht der Regulierer, weiter unter der Unterstellung des rationalen Vorgehens, der spekulative Nutzen von zwei Wochen Geimpftsein geringer sein als das spekulative Risiko von Blutgerinnseln, das jedenfalls den gemeldeten Fällen nach wohl weniger häufig auftritt als bei zwei Wochen auf der Antibabypille.
Selbst das Wegerisiko kommt da in einen vergleichbaren Bereich wie die zur Pause führenden gemeldeten Schadensereignisse: Wenn, wie jedenfalls in Amerika zu erwarten, die Leute bevorzugt mit dem Auto zum Impftermin fahren, dann kommt man schon damit auf ein Risiko tödlicher Unfälle so in der Größenordnung eins zu einigen Millionen, und dieses Risiko ist gesichert, nicht spekulativ.
Es kann also, unter der fortgesetzten Annahme der Rationalität des Vorgehens, die Erwartung der Regulierer an den Nutzen der Impfung nicht besonders groß sein.
Aus dieser begrenzten Nutzenerwartung und den ebenfalls begrenzten Risiken könnte man natürlich auf die Idee verfallen, weder glühende Empfehlungen auszusprechen noch die Sache effektiv zu verbieten. Kann man machen, kann man auch lassen, vermutlich übersteigt der Nutzen das Risiko. Genau zu diesem Eingeständnis des, nicht wegen Unfähigkeit, sondern aus grundsätzlichen Gründen, begrenzten eigenen Wissens ist aber die Gesundheitsbürokratie so unfähig wie die Bürokratie sonst.
Notstandsrecht für immer?
Diesen Gedankengang kann man natürlich weiterspinnen, und sich fragen, warum einerseits Leute verteufelt werden, die—nicht ohne Zutun von Staat und Medien—die Impfung für so vielversprechend halten, dass sie sich in der staatlich vorgegebenen Reihenfolge auf die eine oder andere Weise vordrängeln, und andererseits Leute verteufelt werden, die sagen, dass sie die Impfung auch dann nicht haben wollen, wenn sie in dieser Reihenfolge dranwären. Die Wirksamkeit, auch der Weg zur Herdenimmunität, hängen doch nicht davon ab, dass eine bestimmte Reihenfolge eingehalten wird. Wenn die Leute bekommen, was sie wollen, dann mögen ihre Motive nicht unbedingt rational sein, aber immerhin bekommen sie, was sie wollen, und sind für die Konsequenzen ihres Handelns und Unterlassens vorrangig selber verantwortlich. In einer freien Gesellschaft wäre das eigentlich schon ein Wert für sich.
Nun ist dieses willkürliche Umspringen der Ampel zwischen Rot und Grün, zwischen vorgeschrieben oder sehr stark empfohlen und verboten, natürlich nicht auf Impfungen beschränkt. Die Gesichtswindeln wurden erst verteufelt, weil sie die Leute „in falscher Sicherheit“ wögen, dann vorgeschrieben, dann wieder verboten und durch die Vorschrift „medizinischer“ Windeln ersetzt. Wirkliches Wissen zur Wirksamkeit, auch unter unterschiedlichen Belüftungsverhältnissen, ist immer noch Mangelware, und viele Menschen tragen die Masken ja freiwillig auch da, wo sie nicht vorgeschrieben sind. Es scheint aber mehr um das wilde Herumrühren am Steuerknüppel der Politik zu gehen, zur Not durchgesetzt durch Knüppel anderer Art, als um eine Einschätzung des eigenen Wissens und Vertrauen in die Entscheidungskompetenz der Bürger.
Die Ampel für den Johnson & Johnson-Impfstoff wird, da bin ich mir ziemlich sicher, wieder von Rot auf Grün springen, und ich mache mir weder Sorgen, nicht geimpft zu sein, noch Sorgen um die Nebenwirkungen einer Impfung. Anlass zur Sorge bietet aber die enorme Ausweitung sprunghafter Regierungsentscheidungen. Man kann einerseits darauf hoffen, dass die Impfungen oder auch einfach der natürliche Verlauf derartiger Epidemien Covid-19 und damit die „Corona-Maßnahmen“ zu einem Ende bringen werden. Andererseits aber war dieser Stil des wilden und unsteten Durchregierens auch schon vor Covid-19 angelegt, in Ansätzen schon bei den Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September, spätestens aber im noch vom kleinsten Kaff ausgerufenen „Klimanotstand.“ Der ist natürlich schon ein Widerspruch in sich, weil das Klima per Definition langfristig ist und der Regeldurchbruch des Notstands kurzfristig, aber genau in diesem Widerspruch drückt sich wohl der Wunsch einiger nach Notstandsrecht für immer aus.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Achse des Guten.