Am Mittwoch ist Bernie Madoff zweiundachtizigjährig gestorben, beim Absitzen einer auf hundertfünfzig Jahre angelegten Haftstrafe. Er war einerseits ein tatsächlicher Innovator in der Finanz, aber seine Nachrufe werden nicht von seinem bis 2008 bekannteren legalen und erfolgreichen Geschäft geprägt sein, sondern von seinem Nebenerwerb: Er betrieb ein Pyramidensystem, das je nach Zählweise der größte Hedgefonds der Geschichte gewesen sein könnte, und sich dadurch auszeichnete, dass der Fonds eben gar nicht existierte, sondern Auszahlungen lediglich aus den Einzahlungen neuer Anleger vorgenommen hat.
Betrüger als Spiegel der Gesellschaft
Betrüger faszinieren mich als Spiegel ihrer Gesellschaft. Bei auf ehrlichem Wege erfolgreichen Unternehmern ist es nicht möglich, auch ihnen selber nicht, zu unterscheiden, welcher Anteil ihres Erfolgs auf ihrem technischen Talent und welcher Anteil auf ihrem Talent als Blender beruht. Beim Betreiber eines Pyramidensystems oder beim Kunstfälscher hingegen beruht alles auf dem Verkaufstalent, so dass der Erfolg des Betrügers immer ein Spiegel der Wünsche und Eitelkeiten seiner Opfer ist.
Nach dem Zusammenbruch von Bernie Madoffs Pyramidensystem fanden sich zahlreiche Anleger im finanziellen Nichts wieder. Das ist nach allen traditionellen Anlageregeln erstaunlich, denn intransparente Hedgefonds eigenen sich nach üblicher Lehrmeinung nur zur Ergänzung von traditionellen Portfolios, mit sicher nicht mehr als 5% des Vermögens in einem so intransparenten Fonds wie dem vom Madoff investiert. Wer so reich ist, dass er überhaupt in Hedgefonds anlegen kann und sollte, und das nach anerkannten Regeln tut, der sollte den Verlust eigentlich als Ärgernis und Lehrstück verbuchen können, ohne an seinem Lebensstil etwas ändern zu müssen. Stattdessen verloren viele Menschen alles, die alles bei Madoff investiert hatten.
Wie hat Madoff das erreicht? Er hat sich nie die Mühe gemacht, eine irgendwie plausible Erklärung seiner angeblichen Anlageerfolge zu geben, sondern das immer als großes Geheimnis behandelt, das man bestenfalls als Bilanzpolitik und Gewinnglättung interpretieren konnte, das aber manche Anleger auch so interpretieren wollten, als ob Madoff Informationen aus seinem legalen Geschäft illegalerweise zu ihrem Vorteil verwandte. Warum sollte er das tun?
Zumindest am Anfang war Madoffs Fonds ein klassischer ‚affinity fraud‘, bei dem der Betrüger sich das Vertrauen der Opfer über die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Gruppe erschleicht, in diesem Falle zur jüdischen Gemeinschaft der amerikanischen Ostküste. Gleichzeitig hat Madoff an die Gier besonders effektiv gerade damit appelliert, dass er nicht direkt an die Gier appelliert hat: Er versprach nicht etwas die absurden Mondrenditen der Betreiber kleinerer Pyramidensysteme, sondern sprach lieber von moderaten Renditen bei besonders geringem Risiko. Und schließlich betrieb er etwas, was die Amerikaner ‚playing hard to get‘ nennen: Während ein Betreiber eines Pyramidensystems immer verzweifelt ist, neue Anleger hereinzubekommen, tat Madoff so, als ob ihm diese Vermögensverwaltung mehr eine Bürde sei, und er machte es den Leuten schwer, bei ihm hereinzukommen. Das schließt natürlich kritische Fragen von vorne herein aus. Aus dem so hereinkommenden Geld wiederum konnte er den affinity fraud speisen, in dem er sich mit anderer Leute Geld als großzügiger Mäzen allerlei wohltätiger Interessen in seinem sozialen Umfeld zeigte.
Gefängnis oder Suizid
Gleichzeitig musste Madoff natürlich klar sein – er war ja auch ein tatsächliches Finanzgenie im legalen Teil seines Geschäftes – dass ein solches Pyramidensystem eigentlich nur im Gefängnis oder im Suizid enden kann, und er hat vielleicht jahrzehntelang mit diesen Perspektiven leben müssen. Hat der Hochstapler einmal angefangen, gibt es für ihn kaum einen Ausweg mehr, und er kann nur noch durch die Vergrößerung seines Betrugs die genannte Alternative hinauszögern.
Infolge des Zusammenbruchs dieses Systems hat sich einer seiner Söhne 2010 erhängt, und der andere starb 2014 an Krebs. Beide hatten nicht mehr mit ihrem Vater gesprochen seit er ihnen 2008 seinen Betrug gestanden hat. Damit musste Bernie Madoff nicht nur beide seine Söhne überleben, sondern er starb auch von seiner Familie gehasst. Die Witwe seines Sohnes Mark hat überaus bittere Memoiren verfasst und veröffentlicht, ohne darin freilich zu thematisieren, dass sie und ihr Mann doch ebenfalls massiv, wenn auch unwissentlich, von dem Betrug profitiert hatten, und dass ihnen eigentlich mit dem, was ihnen niemand nehmen konnte, immer noch ein besserer Neustart möglich gewesen wäre, als es der überwältigenden Mehrheit anderer unverschuldet Gescheiterter möglich ist.
Am Ende starb der vielleicht, am verwalteten Vermögen gemessen, größte Hedgefondsmanager als gehasster einsamer Mann im Gefängnis an Nierenversagen. Irgendwie, ich kann es mir nicht verkneifen, habe ich mit dieser seiner Einsamkeit und dem Schmerz über die Söhne, dem Schmerz, die Enkel nicht zu sehen, mehr Mitleid als mit den Gierigen, die entgegen jedes plausiblen finanziellen Rates all ihr Vermögen in ein jedenfalls offensichtlich vollkommen intransparentes Anlageprodukt warfen.