Es gibt Momente, in denen sich symbolhaft und schon längst mangels verbleibender Fallhöhe von der Tragödie zur Komödie mutiert das ganze Scheitern und Elend einer Herrschaftsstruktur verdichtet. Klassisch dafür ist die letzte Pressekonferenz des irakischen Informationsministers Muhammad as-Sahhaf, besser bekannt als Comical Ali, als die harmlos-lustige Variante von Chemical Ali, Saddams Vetter, der Zivilisten mit Giftgas angreifen lies. Comical Ali dagegen hielt noch am 8. April 2003 eine Pressekonferenz, in der er vom irakischen Endsieg und der Kapitulation der Amerikaner fabulierte, als im Hintergrund bereits eindeutig die amerikanischen Truppen zu hören waren, die durch Bagdad rollten.
Auch Comical Alis persönliche Fallhöhe war so gering, dass ihn die Amerikaner nicht einmal länger festhielten und er offenbar in den Emiraten eine Fernsehshow bekam. Bei manchen seiner Auftritte als Informationsminister wirkte er schon so, als ob er selber das Lachen darüber, dass ihm die Weltpresse mit einer Wand von Mikrophonen lauschte, nur schwer unterdrücken könne, und wo seine Kollegen als Mörder gesucht und bestraft wurden blieb er lediglich eine Witzfigur.
Schutzversprechen wegen Mordanschlags abgebrochen
Ein ähnlich symbolkräftiger Auftritt gelang dieses Wochenende dem französischen Premierminister Jean Castex. Der hielt an der Seite von Erzbischof Dominique Lebrun eine markige Rede darüber, wie der französische Staat Kirchen schützen werde, vor der Kirche von Saint-Étienne-du-Rouvray, wo 2016 einem Priester die Kehle durchgeschnitten wurde. Auch wenn der Ort an ein Verbrechen erinnert, das schon vier Jahr zurückliegt, war der Anlass natürlich eher der jüngste Anschlag von Nizza am letzten Donnerstag. Just als der Premier sein Schutzversprechen gegeben hatte, musste er allerdings seinen Besuch abbrechen – ein anderer Priester war schwer mit einer Flinte verletzt worden, diesmal in Lyon. Es ist nicht klar, ob es sich dabei um einen Terroranschlag oder einen Mord aus persönlichem Zwist handelte, aber im Grunde spielt das für die Symbolkraft der Szene nur eine begrenzte Rolle. So oder so illustriert sie jedenfalls das Offensichtliche, nämlich dass man zwölftausend Pfarreien und den Rest des öffentlichen Lebens auch mit dem bedeutenden Aufgebot von siebentausend Soldaten nicht wirksam schützen kann.
Derweil zeugen auch andere Vorschläge aus Frankreich, mit dem immer aggressiver werdenden Terror sowohl gegen laizistisch-linke Spötter wie Charlie Hebdo als auch gegen Kirchen, Priester und Gläubige umzugehen, von blanker Ohnmacht. Der Bürgermeister von Nizza schlägt Verfassungsänderungen vor, deren Stoßrichtung mehr gegen den liberalen Rechtsstaat als gegen den Terrorismus im Namen des Islams zu zielen scheint. So will er Anonymität in sozialen Netzwerken, und damit wohl folgerichtig in der Kommunikation allgemein verbieten, was der freien Meinungsäußerung, die ja eigentlich verteidigt werden soll, wenig zuträglich wäre. Müsste dann auch jeder, der eine Zeichnung der Propheten in satirisch-kommentierender Absicht verfertigt, gleich noch seine Wohnadresse darauf schreiben? Richtig durchdacht wirkt das nicht, und der Aufruf „Wir müssen fest dazu entschlossen sein und alle Anzeichen der Schwäche ausmerzen.“ bewegt sich schon rhetorisch irgendwo zwischen Stalingrad und dem Kampf um Berlin. Wer die „Anzeichen der Schwäche“ kernig „ausmerzen“ will, der hat den Glauben an seine Stärke schon lange verloren, seien die Ursachen jetzt in der äußeren Lage oder der eigenen geistigen Verfassung.
Übrig bleibt nur das Management des öffentlichen Diskurses
Freilich, der französische Staat und die französische Gesellschaft sind gegenüber dem islamischen Terrorismus nicht in der Position, in der Comical Alis Regierung im April 2003 gegenüber den Koalitionstruppen war, und Michel Houellebecqs ‚Unterwerfung‘ ist immer noch fiktionale Literatur. Das offizielle Frankreich findet sich aber im Gegensatz zu Comical Ali, der ganz offensichtlich buchstäblich und metaphorisch mit dem Rücken zur Wand stand, in der zusätzlichen Schwierigkeit der Navigation zwischen Skylla und Charybdis. Einerseits kann man nicht sagen, dass der Front National eigentlich schon lange jedenfalls im Kern recht gehabt habe, und andererseits kann man auch schlecht Enthauptungen von Priestern und Journalisten zur Normalität erklären und empfehlen, man möge die entsprechende Personengruppe eben nicht provozieren. Beides wären offene Bankrotterklärungen des Establishments, die für seinen fortgesetzten Zugang zu Macht, Status und Besoldung ungünstig wären. Übrig bleiben dürfte da nur das Management des öffentlichen Diskurses.