Willkommen zu den Mosereien!
Den unmittelbaren Anlass zu diesem Blog hat der öffentliche Umgang mit der Covid-19 Krise im Frühjahr 2020 gegeben. Ein Beitrag von Wolfram Meyerhöfer in der FAZ vom 2. April 2020 beschrieb den Umgang mit Covid-19 als „auch eine Krise der mathematischen Bildung“. Eine vernünftige Diskussion der Politik der Bundesregierung unter Gesichtspunkten der mathematischen Plausibilität und insbesondere der Verknüpfung dieser mathematischen Betrachtung mit politischen Fragen fand in der öffentlichen Diskussion nicht wahrnehmbar statt. Auch eine Beleuchtung unter Gesichtspunkten der Freiheit, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Verwendung der Sprache als Werkzeug der Desinformation fehlte weitgehend in der „Stunde der Exekutive.“ Dies zu ändern ist Aufgabe der Mosereien.
Darüber hinaus wollen die Mosereien ein Beitrag sein, eine weitergehende und längerfristige Lücke in der deutschsprachigen Debattenkultur zu stopfen. In der Ära Merkel fand einerseits eine Verengung des traditionellen Medienbetriebs mit einem auf diesem Blog noch zu thematisierenden Meinungskorridor statt, der gegenüber der Situation vor zwanzig oder dreißig Jahren drastisch verengt ist. Demgegenüber stehen neue Medien wie die Achse des Guten, Tichys Einblick oder auch die nicht mehr ganz so neue Junge Freiheit. Die sind in vielerlei Hinsicht verdienstvoll, lassen aber Raum offen. Die Mosereien wollen überlegtere, längere und vielleicht auch schwerer zugängliche Beiträge bieten als die genannten Medien — früher hätte man dazu gesagt, sie seien „für die gebildeten Stände“. Sie sehen sich auch in einer württembergischen Tradition des Konservatismus, die den Federalist Papers, Edmund Burke oder Friedrich v. Gentz nähersteht als einem borussozentrischen Nationalkonservatismus oder ‑liberalismus.
Es ist zunächst einmal der Name ‚Mosereien‘ erklärungsbedürftig, wie auch der Untertitel ‚württembergische Gedanken.‘ Der Name ist eine Hommage an Johann Jacob Moser, einen württembergischen Staatsrechtslehrer des achtzehnten Jahrhunderts, und seinen Sohn Friedrich Carl von Moser. Weiter ist er eine Hommage an die Diskussionskultur, die sich in Württemberg anlässlich des Reformlandtags 1796 und des Kampfes um das gute alte Recht zwei Jahrzehnte später etabliert hat. Zahlreiche lesenswerte, wenn auch kaum gelesene Pamphlete aus dieser Zeit finden sich noch in den Bibliotheken von Tübingen und Stuttgart, und sie sind heute noch in vielerlei Hinsicht ein Musterbeispiel für eine politische Debattenkultur, die sich an Recht und Freiheit orientiert, gleichzeitig an Tradition und Fortschritt geglaubt, und das gelehrte Argument nicht gescheut hat. So wie damals mit der immer billiger verfügbaren Druckerpresse sich erstaunlich breite Kreise der Bevölkerung mit sorgfältig, oft juristisch aber auch politisch, ökonomisch oder philosophisch ausgearbeiteten Pamphleten an einer öffentlichen Diskussion beteiligt haben, wollen es die Mosereien heute im Zeitalter der Möglichkeiten von WordPress tun.
Die ‚Moserei‘ hat natürlich im Deutschen noch eine weitere Bedeutung als einen Familienamen bekommen, die Beschwerde, und auch dem wollen die Mosereien gerecht werden. Sie wollen konträr und auch polemisch sein. Was ohnehin überall gesagt wird, bedarf keiner Wiederholung auf einem kleinen Blog. Wohl bedarf es aber gelegentlich der Widerrede, sei es, weil es falsch ist, sei es, um das Richtige durch Herausforderung zu präzisieren.
Die Mosereien wollen, wie schon gesagt, konserativ sein. Sie sind sich bewusst der Gefahren, die aus ideologisch begründeten Machtansprüchen entstehen und lehnen den Versuch der zwangsweisen Umgestaltung der Gesellschaft mit staatlichen Machtmitteln ab, von der französischen Revolution bis zu den totalitären Systemen des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie lehnen dabei nicht den Staat als solchen ab, sondern sehen ihn als notwendig und in richtiger Ausführung segensreich an, glauben also nicht an libertäre Phantasien, so sehr sie an die Freiheit des Individuums und auch nichtstaatlicher Kollektive auf kleinerer Ebene glauben. Sie glauben an das Prinzip der Subsidiarität, an die Rechte jedes Einzelnen, und daran, dass Macht besser verteilt und so gegenseitig gegen ihren Missbrauch gehemmt als zentralisiert werden sollte.
Die Mosereien wollen weiter (vielleicht etwas im Gegensatz zu ihren eher humanistisch als mathematisch geschulten Vorbildern) quantitativ sein. Die Abbildung eines Problems in Zahlen kann keineswegs moralische Entscheidungen automatisieren, denn Zahlen sind wertfrei. Sie kann aber sehr wohl Zusammenhänge aufzeigen und zum Beispiel einen vorgetragenen Lösungsansatz eines Problems als von vorne herein untauglich aufzeigen. Mathematische Argumente sollen erklärt werden, aber weder im Sinne einer wissenschaftlichen Beweisführung noch im Sinne einer Vereinfachung bis etwas „endlich verständlich“ ist, wie es ein Nachrichtenmagazin nennt, dabei aber jedes Kerns eines vernünftigen Arguments beraubt wird. Auch hier scheuen sich die Mosereien nicht, ein Blog „für die gebildeten Stände“ zu sein und sein zu wollen.
Weiter wollen die Mosereien sich mit der Benutzung und Entstellung der Sprache beschäftigen. Wir leben in einem—von den Akteuren bisweilen offen zugegebenen—Zeitalter des ‚Framings‘, der Verwendung von Sprache nicht um zu klären oder rational zu überzeugen, sondern um zu täuschen, zu entstellen und zu diffamieren. Die Mosereien wollen gelegentlich diese den Dingen übergestülpten Rahmen zurechtrücken oder gleich demontieren, auf dass das dahinterliegende Bild wieder vollständig sichtbar werde. Victor Klemperers Lingua Tertii Imperii mag darin als Vorbild dienen.
Johann Jacob Moser hat eines der ersten deutschsprachigen Bücher über das Staatsrecht der neu entstandenen Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben, und sein Enkel Robert v. Mohl einen der ersten Verfassungskommentare zur amerikanischen Verfassung. In dieser Tradition interessieren sich die Mosereien für deutsch-amerikanische Belange und Fragen und wollen dem verbreiteten Antiamerikanismus die Berufung auf eine gemeinsame freiheitliche Tradition entgegenstellen.
In der Tradition der angesprochenen württembergischen Debattenkultur (wie auch der gleichzeitigen in anderen Ländern, z.B. der Federalist Papers) sind die Mosereien pseudonym. Wie damals wird man mit etwas Detektivarbeit den Verfasser erraten können, aber eine gelungene Argumentation sollte für sich stehen können.
Die Mosereien sind das Projekt eines einzelnen Verfassers, und sie werden, schon der Hoffnung auf längere Ausarbeitungen wegen, die über reine Kurzpolemik hinausgehen, ihre Beiträge nur in lockerer Folge anbieten können, aufgelockert von häufigeren Kurzbeiträgen und Fundstücken. Damit ergibt sich das Problem, dass der Leser nicht wie auf einem Nachrichtenportal mehrmals täglich die Mosereien besuchen wird. Das wird sich hoffentlich so regeln lassen, dass die Leser über die sozialen Netzwerke auf neue Artikel aufmerksam werden.
Zumindest auf absehbare Zeit sind die Mosereien nichtkommerziell und werden den Leser von den aufdringlichen Werbeanzeigen verschonen, welche zum Beispiel die Mobilversion der Achse des Guten bisweilen eher unangenehm zu lesen machen. Moser hat ein anderweitiges Einkommen, hofft nicht auf das karge Brot des Journalisten und kann einen Webserver selber finanzieren, jedenfalls solange der Erfolg nicht alle Erwartungen weit übersteigen wird.
Die Mosereien wollen leicht, aber ernsthaft sein, und die Intelligenz ihrer Leser nicht mit inhaltsleerer Effekthascherei beleidigen. ‚Symbolbilder‘, z.B., wird es hier nicht geben.
Eine Regelung für Gastbeiträge und Kommentare wird sich im Laufe der Zeit finden müssen. Anfänglich wird der Versuch eine möglichst liberale Handhabung sein, die sich auf Gastbeiträge freut und hofft, dass die Beiträge anspruchsvoll genug sein werden, dass sich auch Kommentatoren so verhalten werden, dass eine restriktive Überwachung nicht nötig sein wird. Moser hat keine Zeit, regelmäßig Kommentare zu sichten und freizuschalten, so dass die Alternative ein Verzicht auf Kommentare sein müsste, was aber dem Versuch, eine offene Debattenkultur zu befördern abträglich wäre.
Über die Fortführung des Projekts wird natürlicherweise der Erfolg entscheiden, vielleicht auch ob die Dinge sich weiter ins kommentar- und dokumentationsbedürftige Irre entwickeln werden, oder ob wir alle zusammen wieder in ruhigere Fahrwasser kommen werden.
Freuen Sie sich auf die Mosereien!