Mit etwas Lebenserfahrung weiß man es: Kaum etwas bietet so viel Gelegenheit für bittersten Streit wie die Übernahme von Bürgschaften für Kredite. Das gilt im Familienkreis, unter Freunden, und, ja, auch unter Staaten.
Der Bürge hat ein berechtigtes Interesse daran, den Lebenswandel des Schuldners zu überwachen und ihn zu einem soliden Wirtschaften anzuhalten, das seine Fähigkeit, die Kredite zu bedienen, erhält und fördert. Beim Schuldner dagegen weckt diese Überwachung natürlicherweise Ressentiments. Der Bürge hat ja noch gar nicht in Leistung treten müssen, maßt sich aber (aus Sicht des Schuldners) trotzdem an, ihm vorzuschreiben, was er zu tun und zu lassen hat. Noch schlimmer wird es, wenn der Schuldner auf die Idee kommt, geplant oder hineingerutscht, dass er vom Bürgen schonmal einen Nachschuss zur ‚Vermeidung eines kurzfristigen Liquiditätsengpasses‘ verlangen kann, damit immerhin der Garantiefall nicht oder noch nicht eintritt. Entsprechend mies wird die Stimmung bei Familienfeiern, spätestens wenn es einmal nicht so gut läuft.
In der FAZ schreibt Martin Nettesheim:
Das juristische Beharren darauf, dass die EU-Verträge kein Argument für die Herleitung von ‚Pflichtensolidarität‘ begründen, wird nichts an der Tatsache ändern, dass viele Menschen in den von Covid-19 besonders betroffenen EU-Staaten sich von der Idee der europäischen Integration abwenden werden, wenn ihnen greifbare Hilfsbereitschaft nicht entgegengebracht wird.
FAZ, ‚Es geht nur gemeinsam‘, 9.4.2020
Ähnlich schreibt Norbert Röttgen auf Twitter
Das kategorische Nein zu #Coronabonds ist ökonomisch gut begründet, aber emotional fatal. 🇩🇪 kann diese Lösung zwar ablehnen, aber es muss mehr tun, als nur auf den #ESM zu verweisen. Es braucht ein klares Signal, dass auch nach der Krise in #Europa niemand alleine gelassen wird.
— Norbert Röttgen (@n_roettgen) April 6, 2020
Diese von Herrn Nettesheim und Herrn Röttgen befürchtete Abwendung wird durch die Eingehung einer Bürgschaft, was die sogenannten Coronabonds ja im Kern sind, nicht vermieden, sondern erst hervorgerufen. Natürlich wird es zu Ressentiments auf beiden Seiten führen, wenn Deutschland einerseits für die Schulden der Südländer haftet, andererseits damit ein berechtigtes Interesse haben wird, deren Politik zu kontrollieren und sparsames Wirtschaften durchzusetzen. Ein besseres Mittel zu Förderung nationaler Ressentiments, und wenn Sparmaßnahmen wehtun gar des Hasses, kann man sich doch kaum ausdenken. Was zur Schaffung von Einigkeit gedacht ist wird Spaltung erzeugen.
Nein, im Privatleben wie im Leben der Staaten sollte man mit dem Bürgen sehr vorsichtig sein. Ein Geldgeschenk ist im Zweifel die bessere Alternative, denn damit ist der Umfang des Geschenks von Anfang an klar. Der Schenkende läuft nicht Gefahr, der Täuschung zu unterliegen, eine Bürgschaft koste ihn ja gar nichts, und der Beschenkte weiß um den Wert des Geschenks, braucht sich aber nicht bei jedem Schritt von einem besorgten Bürgen kontrollieren zu lassen. Die Höhe des Geschenks könnte dem Marktwert der Bürgschaft entsprechen, die man sonst eingegangen wäre, was sich bei Staatsschulden im Euroraum leicht anhand von Kursdifferenzen der Papiere verschiedener Staaten ermitteln lässt.