Nach­sprit­zen für immer?

Karl Lau­ter­bach will eine „Impf­pflicht“ und glaubt gleich­zei­tig nicht dar­an, dass man gegen Covid-19 eine län­ger­fris­ti­ge Immu­ni­tät auf­baue. Das kann man eigent­lich nur so ver­ste­hen, dass er auch eine regel­mä­ßi­ge Nach­spritz­pflicht alle paar Mona­te will. Das wie­der­um soll­te man ehr­lich kom­mu­ni­zie­ren, bevor man über eine „Impf­pflicht“ auch nur redet.

Ich habe mir über Thanks­gi­ving ein­mal die Twit­ter-Ver­laut­ba­run­gen des Dr. Karl Lau­ter­bach ange­schaut, eines Poli­ti­kers, der in die­ses Medi­um noch mehr ver­liebt ist als Donald Trump es war. Da fiel mir ein inter­es­san­ter Tweet vom Diens­tag auf, bei dem sich mir sofort die Fra­ge auf­dräng­te, wie oft er uns eigent­lich ger­ne zwangs­wei­se durch­imp­fen möchte:

Es soll also die Immu­ni­tät nach einer Infek­ti­on mit SARS-CoV‑2, gar einer Erkran­kung mit Covid-19, nicht lan­ge anhal­ten. Inso­fern die Imp­fun­gen eine Immun­ant­wort gegen das­sel­be Spike-Pro­te­in nach grob dem­sel­ben Mecha­nis­mus erzeu­gen wie eine Infek­ti­on auch, läge es nahe, dass wenn das stimmt auch der Schutz durch die Imp­fun­gen nicht lan­ge anhält. Dr. Lau­ter­bach scheint das ähn­lich zu sehen:

Das Risi­ko einer Infek­ti­on soll also nach einer durch die Imp­fung erwor­be­nen Immu­ni­tät „fast expo­nen­ti­ell mit der Zeit“ anstei­gen. Dar­aus wür­de dann aber fol­gen, dass nicht nur „Gene­se­ne“, son­dern auch „Geimpf­te“, auch mit „Boos­ter Imp­fung“, „nach Wis­sens­stand heu­te mehr­fach, viel­leicht sogar regel­mäs­sig erkran­ken würden.“

Dar­aus kann man eigent­lich nur eine Schluss­fol­ge­rung zie­hen, die Dr. Lau­ter­bach zwar impli­ziert, aber nicht offen erklärt: Eine Imp­fung und auch die von Dr. Lau­ter­bach emp­foh­le­ne „Impf­pflicht“ bräuch­te man nicht wie bei Pocken oder Masern in ein oder zwei Dosen, son­dern es müss­ten als Dau­er­zu­stand alle regel­mä­ßig zwangs­ge­impft wer­den, viel­leicht alle vier Mona­te. Sonst wür­den sie ja trotz Imp­fung und trotz Boos­ter „mehr­fach, viel­leicht sogar regel­mäs­sig erkran­ken“, „Risi­ko fast expo­nen­ti­ell mit der Zeit“.

Ist es das, was Dr. Lau­ter­bach vor­schlägt? Wenn ja, dann wür­de die Red­lich­keit for­dern, das auch so zu erklä­ren. Man dürf­te auch eine Ant­wort auf die Fra­ge erwar­ten, ob und unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen das Zwangs­imp­fen mehr­mals im Jahr irgend­wann auf­ge­ge­ben wer­den könn­te. So schreibt er:

Wie genau, wenn sei­ner Ansicht nach die Imp­fung nicht lan­ge wirkt, eine Impf­pflicht jetzt „den Hor­ror“ im nächs­ten Herbst been­den soll, bleibt unklar, setzt man nicht vor­aus, dass bis dahin zwangs­wei­se min­des­tens ein­mal nach­ge­spritzt wer­den müs­se. Er hat dafür auch schon eine schö­ne Sprach­re­ge­lung vorgeschlagen:

Mit einer Imp­fung alle sechs Monate—laut ande­ren Tweets häufiger—ist die Imp­fung natür­lich nie „abge­schlos­sen“ und auch wenn sie sprach­lich nicht „ver­fällt“, die Impf­nach­wei­se als Zugang in die Öffent­lich­keit oder als Schutz vor Buß­gel­dern und Zwangs­maß­nah­men sol­len das wohl tun.

Frei­lich, die Daten­la­ge gibt die Lauterbach’sche Panik nicht wirk­lich her. Die von ihm ver­link­te Stu­die sel­ber schreibt, dass der Schutz vor Erkran­kun­gen und ins­be­son­de­re schwe­ren Ver­läu­fen mehr von der zel­lu­lä­ren Immu­ni­tät abhän­ge, der Schutz vor einer nach­weis­ba­ren Infek­ti­on mehr von den schnel­ler abfal­len­den Anti­kör­pern, dass des­we­gen der Abfall der Anti­kör­per „nicht not­wen­dig einen Anstieg an Todes­fäl­len, Kran­ken­haus­ein­wei­sun­gen oder Inten­siv­pfle­ge­ein­wei­sun­gen vor­her­sagt.“ In der geis­ti­gen Welt des Dr. Lau­ter­bach ist es aber ein Kern­punkt, dass er zwi­schen einer nach­weis­ba­ren Anwe­sen­heit von Virus­ma­te­ri­al und einer viel­leicht schwe­ren Krank­heit prin­zi­pi­ell nicht unter­schei­det. Der PCR-Nach­weis ist ohne wei­te­re Sym­pto­me die Erkran­kung – außer bei frisch Geimpf­ten, da ist es ein Gewinn (Ret­weet Lau­ter­bach), weil die Infek­ti­on sonst sym­pto­ma­tisch gewe­sen wäre. In der ech­ten Welt ist es dage­gen eher der Nor­mal­fall, dass neue der­ar­ti­ge Erre­ger ende­misch wer­den, immer noch vor­han­den blei­ben, aber der ange­rich­te­te Scha­den sich in Gren­zen hält. Nach knapp zwei Jah­ren dürf­ten die meis­ten Leu­te bereits „geimpft, gene­sen oder gestor­ben“ sein, d.h. irgend­wie expo­niert gewe­sen sein und jeden­falls eine gewis­se Immun­ant­wort erzeugt haben.

Viel­leicht hat­te ich zu hohe Erwar­tun­gen an Dr. Lau­ter­bachs Twit­ter-Kon­to, als ich aus sei­nen Ver­laut­ba­run­gen inner­halb weni­ger Tage eine kon­sis­ten­te Posi­ti­on her­aus­le­sen woll­te. Ein­mal schreibt er „Jetzt kommt letz­te Run­de“, die strengs­te Ein­schrän­kun­gen und Kon­trol­len erfor­der­lich mache, und wei­ter „Impf­pflicht wür­de erst in 2 Mon [sic] wir­ken“, womit sie eigent­lich logi­scher­wei­se über­flüs­sig wäre, weil zu spät für „die letz­te Run­de“. Dann wie­der „wür­den wir spä­tes­tens im nächs­ten Herbst die glei­chen Pro­ble­me erwar­ten“ und nur „[d]ie Impf­pflicht been­det den Hor­ror.“ Was jetzt? Auf zum letz­ten Gefecht oder per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on? Kon­sis­tent ist ledig­lich die anhal­ten­de Stim­mung der Panik, in der die ein­zel­nen Nach­rich­ten dann ohne gro­ße Rück­sicht auf inne­re Kon­sis­tenz im Sin­ne die­ser Panik gele­sen wer­den. Schrieb er nicht: „irra­tio­nal oder unwissend“?

So oder so bleibt Dr. Lau­ter­bach aber einer der ein­fluss­reichs­ten Gesund­heits­po­li­ti­ker in der Par­tei, die den neu­en Bun­des­kanz­ler stel­len wird. Bevor man über eine Impf­pflicht, die selbst nach Dr. Lau­ter­bachs zeit­wei­li­ger Ansicht die gegen­wär­ti­gen Pro­ble­me nicht recht­zei­tig lösen wird, auch nur redet, hat die Öffent­lich­keit jeden­falls eine Ant­wort ver­dient, ob mit die­sem Vor­schlag auch eine wie­der­hol­te Nach­spritz­pflicht ver­bun­den sein wird. Und man soll­te sich die Fra­ge stel­len, ob man die Ant­wort glau­ben kann und will. Im März schrieb Dr. Lau­ter­bach näm­lich noch:

2 Gedanken zu „Nach­sprit­zen für immer?“

  1. Dan­ke für die Zusam­men­fas­sung der Unge­reimt­hei­ten in Dr. Lau­ter­bachs Gedan­ken­gän­gen. Mir drängt sich immer öfter und nach­hal­ti­ger die Fra­ge auf, wes­halb er sol­che gro­ben Inkon­sis­ten­zen in sei­nem Vor­stel­lungs­ge­bäu­de offen­bar nicht erkennt oder zumin­dest nicht benennt. Ich unter­stel­le ihm die dazu not­wen­di­gen kogni­ti­ven Fähig­kei­ten durch­aus, möch­te aber auch kei­ne böse Absicht ver­mu­ten. Was also treibt ihn (und andere)?

  2. Die Fra­ge nach der Moti­va­ti­on zieht dann natür­lich unwei­ger­lich Krei­se, wenn z. B. ein Nor­bert Rött­gen auf Twit­ter den Intel­lekt des desi­gnier­ten Gesund­heits­mi­nis­ters kei­nes­wegs iro­nisch lobend hervorhebt.
    Da scheint auch eine gewis­se „Grup­pen­dy­na­mik“ zu wirken.

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