Die meisten Bewegungen zur Menschheitsverbesserung kommen mit dem Versprechen des Friedens. Spätestens seit 1945 lassen sich offensichtlich aggressiv kriegerische Programme nicht mehr als Gutmenschentum verkaufen. Stattdessen singt man davon, dass das weiche Wasser den harten Stein höhle. Umso erschrecklicher wirkt es, wenn sich die Mächtigen verplappern und in vollkommen ungezügelte Gewalt- und Unterwerfungsphantasien verfallen. Davon sahen wir letzte Woche gleich zwei Beispiele völlig entgleister Regierungschefs, die einem zu Denken geben sollten.
„Ungarn in die Knie zwingen“
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat verkündet: „Wir wollen Ungarn in die Knie zwingen.“ Bei dieser Sprache fällt die Berufung auf die Europäische Union als „Wertegemeinschaft“ in ein bedrohliches Licht, irgendwo zwischen die Sachsenkriege Karls des Großen, die ja auch eine Wertegemeinschaft herstellen wollten, und die „Zerschlagung der Resttschechei“ als Störkörper in der neuen mitteleuropäischen Wertegemeinschaft.
„In die Knie zwingen“ drückt keinen Wunsch aus, jemanden zu überzeugen, durch Argumente oder indem man ihm Werte vorlebt, sondern den nach bedingungsloser Unterwerfung, die plausibel nur mit Gewalt zu erreichen ist. In die Knie zwingt ein gewalttätiger Ehemann seine Frau oder ein Eroberer die Zivilbevölkerung des eroberten Landes. Die Ungarn im Speziellen haben von 1956 noch lebhafte Erinnerungen daran, wie es ist, in die Knie gezwungen und in eine Wertegemeinschaft integriert zu werden, und sie wünschen aus guten Gründen keine Wiederholung.
„Unsittliche“ Inhalte auch in Deutschland auf dem Index
Der Stein des Anstoßes soll nun ein Jugendschutzgesetz in Ungarn sein, das die geschlechtliche Entwicklung Minderjähriger schützen will, indem es die positive Darstellung von sexuellen Handlungen als Selbstzweck, Geschlechtsumwandlungen und Homosexualität gegenüber Minderjährigen einschränkt, beispielsweise im Fernsehen erst in der Nacht erlaubt, zusammen mit Strafverschärfungen für sexuelle Vergehen an Minderjährigen. Angefangen hat die Sache übrigens mit einem Pädophilie-Skandal des damaligen ungarischen Botschafters in Peru.
Man kann dieses Gesetz aus guten Gründen lächerlich finden, aber dabei sollte man nicht vergessen, dass auch der deutsche angebliche Jugendschutz weitgehende Einschränkungen für angeblich jugendgefährdende Inhalte vorsieht, und zwar nicht nur gegenüber Jugendlichen, sondern auch in Bezug auf Erwachsene, denen gegenüber indizierte Inhalte nicht beworben oder frei zugänglich gemacht werden dürfen. Dabei nennt §18 Jugendschutzgesetz als eine zu indizierende Kategorie „unsittliche“ Inhalte, was breiter wohl kaum gefasst sein könnte. Dem fielen bekanntermaßen schon aus heutiger Sicht völlig harmlose Bravo-Hefte mit Artikeln zur Selbstbefriedigung zum Opfer, genauso offensichtliche Blödel-Texte der Ärzte auf Karl-Dall-Niveau, aber auch bedeutende Filmklassiker, die man bis heute offiziell in Deutschland so einfach nicht sehen kann, jedenfalls nicht ungekürzt.
Es geht um Macht, nicht um Freiheit
Ginge es um Einschränkungen der Rede- und Kunstfreiheit im Namen des Jugendschutzes, dann könnte man weitaus überzeugender den Ungarn mit gutem Beispiel vorangehen und antiquerte Gesetze im eigenen Land aufräumen, statt die Ungarn „in die Knie zwingen“ zu wollen. Man könnte auch davon absehen, immer neue und noch vor kurzem undenkbare Gesetze zur schärferen „Netzwerkdurchsetzung“ zu beschließen oder einen riesigen Apparat von politisch abhängigen Staatsmedien zu unterhalten.
Es geht aber nicht um Rede‑, Meinungs- oder Kunstfreiheit, letztlich auch nicht um die Freiheiten noch so abstruser Entfaltungen der menschlichen Sexualität. Es geht darum, Abweichler in die Knie zu zwingen.
Die Unterwerfung ist das eigentliche Ziel der Sache, und das liegt schon im Gender-Programm selber angelegt. Kein Mensch, egal was seine Ansichten zu irgendetwas sind, würde anlässlich einer Bürgermeisterwahl von „Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen“ schreiben oder sich dreimal während der Aussprache dieses Ungetüms verschlucken. Wer es tut, der unterwirft sich, er grüßt den Gesslerhut. Der eine tut es mit der erwarteten frenetischen Begeisterung, der andere aus Angst. Kein Mensch würde gleichzeitig mehr Förderung des Frauensports verlangen und dann, dass biologische Männer mit dem Hormonhaushalt von Männern als Frauen antreten dürfen, was offensichtlich mindestens in Kraftdisziplinen das Ende jeder Siegchancen für Frauen bedeutet. Auch hier geht es nicht um die sinnvolle Gestaltung von Sportwettbewerben, sondern um die Unterwerfung durch gedankenloses Nachschnattern als solche.
Nukleare Machtmöglichkeiten
Mark Rutte hat sich nun insofern versprochen, als dass er die normalerweise nur implizite und in Regenbogenfarben verkleidete Forderung nach bedingungsloser Unterwerfung explizit gemacht hat. Er hat eine Sprache verwendet, die im Umgang unter den Nationen Europas eigentlich aus gutem Grund außer Gebrauch gekommen ist, auch wenn Peer Steinbrück bekanntermaßen den eidgenössischen „Indianern“ mit der „Kavallerie“ gedroht hat. Die Forderung nach der totalen Unterwerfung einer anderen Nation, die bitte „in die Knie“ gezwungen werden sollte, wäre zu jeder anderen Zeit als Kriegsdrohung verstanden worden, wird nur deshalb nicht so verstanden, weil die Möglichkeiten Herrn Ruttes kleiner sind als seine Wut.
Ganz andere und bedrohlichere Machtmöglichkeiten hat natürlich der amerikanische Präsident, und Joe Biden hat letzte Woche mit denen zugelangt. Anlässlich der Verkündung einer ‚Strategie zur Kriminalitätsprävention‘ erklärte er:
Diejenigen, die sagen, das Blut der Frei… – „das Blut der Patrioten“, Sie wissen, und all das Zeug darüber, wie wir uns gegen die Regierung stellen müssten. Nun, der Baum der Freiheit wird nicht mit dem Blut von Patrioten gegossen. Was passiert ist, ist, dass es nie gegeben hat – wenn Sie wollten oder wenn Sie dächten, dass sie Waffen bräuchten, um sich gegen die Regierung zu stellen, dann bräuchten Sie F‑15 und vielleicht einige Kernwaffen.
Präsident Biden, Rede vom 23.06.2021
Die amerikanische Verfassung sieht das bekanntermaßen anders und erklärt die Miliz, also die Gesamtheit der Bürger mit ihren eigenen Waffen, als kategorisch „notwendig für die Sicherheit eines freien Staates“, weswegen „das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu führen, nicht verletzt werden darf.“ Württemberg hatte übrigens bis 1918 eine ähnliche, wenn auch schwammigere, Verfassungsvorschrift mit jahrhundertealter Tradition. Die von Biden verneinte Formulierung, dass der Baum der Freiheit von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten—und, von Biden weggelassen, mit dem der Tyrannen—gewässert werden müsse, stammt von keinem Geringeren als Thomas Jefferson, immerhin einer der bedeutendsten Gründerväter der amerikanischen Republik und Vorgänger Bidens in seinem Amt.
Die Bombe hilft nicht gegen die Miliz
Wenn man Präsident Biden mit seinen abgehackten Sätzen überhaupt ernstnehmen will, dann sollten einen seine Ausführungen erschrecken. Offenbar kann er sich vorstellen, dass in einem Bürgerkrieg, in dem sich die Mehrheit des Volkes einer diktatorisch gewordenen Regierung entledigen wollte, Kernwaffen zum Einsatz kämen, logischerweise von Seiten der Regierung, mindestens jedenfalls Jagdbomber in einem kriegsentscheidenden Ausmaß. Das ist eine Vernichtungsphantasie.
Eine Miliz kämpft nicht in geschlossenen Verbänden, sondern locker aufgestellt. Klassisch ist das Beispiel des Gefechts von Lexington und Concord, des ersten Schusswechsels der amerikanischen Revolution, das mit einer Suchaktion der regulären Armee nach Waffen der Miliz anfing und mit dem Abzug der Regulären in dem berühmten Ring aus Feuer endete. Die Anzahl und Stärke von Kernwaffen, die man zur Bekämpfung von sehr lockeren Infanterieverbänden benötigte, und die dabei zwangläufigen Verheerungen wären so extrem außerhalb jedes Proporzes zwischen militärischer Wirkung und Kollateralschäden, dass man das nur als Ausrottungskrieg gegen die Zivilbevölkerung verstehen könnte.
Mit der Verfügbarkeit von Präzisionsmunition haben taktische Kernwaffen ihre Existenzberechtigung auch gegen härtere Ziele als verstreute Jäger oder Milizen wie Bunker oder Panzerverbände weitgehend verloren. Dass eine massive Überlegenheit in extrem schweren Waffen keine Bürgerkriege oder andere niedrigschwellige Konflikte entscheidet, sah man nicht zuletzt von Vietnam bis hin zu Afghanistan und Irak. Die Vorstellung, damit einen Bürgerkrieg im eigenen Land gewinnen zu wollen, ist nachgerade absurd, es sei denn, eben mit der strategischen Verwendung gegen die Zivilbevölkerung, so dass es für die Gegenpartei, aber auch für die Regierung, nichts mehr zu gewinnen gäbe.
Klassiker der unfreiwilligen Komik
Nun kann man Joe Biden nicht immer ernstnehmen. Seine Ausführungen zu Waffen und deren Wirkung sind teilweise bekannte Klassiker der unfreiwilligen Komik. Als Vizepräsident hat er einmal vorgeschlagen, man solle sich zum Selbstschutz statt eines Karabiners lieber eine Flinte kaufen. Das mag je nach Situation, in der man lebt, sogar plausibel sein, ist doch eine Ladung Sauposten durchaus in der Wirkung mit einer Salve aus der Maschinenpistole vergleichbar.
Wirklich bemerkenswert war aber, wie man die Flinte seiner Meinung nach anwenden solle. Er will nämlich seiner Frau gesagt haben: „Jill, wenn es je ein Problem gibt, lauf einfach auf den Balkon raus, lauf raus, nimm die doppelläufige Flinte, und feuere zwei Stöße ab, außerhalb des Hauses.“ Taktisch geht es kaum dümmer, als sich auf den Balkon zu manövrieren; es wäre grob fahrlässig, einfach wild in die Gegend zu feuern; und wenn man wie die Bidens damals Personenschützer draußen hat, dann würde das an Selbstmordabsicht grenzen. Ob Biden das tatsächlich wie er es erzählte zu seiner Frau gesagt hat, wissen wir nicht, aber seine Phantasien von Gewaltanwendung sind offenbar nicht wirklich in der Realität gegründet.
Schlechtes Zeichen der Macht- und Unterwerfungsphantasien
Nimmt man also Präsident Biden ernst, dann ist es innerhalb seines Vorstellungshorizontes, dass ein Bürgerkrieg von einer diktatorischen Regierung mittels Vernichtung der Zivilbevölkerung ausgetragen werden könnte. Nimmt man ihn, vermutlich realistischer, nicht ernst, dann hat man einen Mann mit dem Atomköfferchen, der wirres Zeug nicht nur zu Flinten, sondern zu Atomwaffen quatscht, was auch nicht gerade beruhigend ist.
Was Biden wirklich sagen wollte, ist vermutlich aber etwas anderes, und letztlich das Gleiche, was Mark Rutte sagen wollte: Das Ziel ist Unterwerfung, und an Widerstand solle man besser nicht denken. Ministerpräsident Rutte wird nicht mit einem neuen Dutchbat in einem Kreuzzug unter der Regenbogenflagge in Ungarn einfallen, und Präsident Biden wird nicht die Hauptstädte konservativer Bundesstaten dem Erdboden gleichmachen. Es ist aber ein schlechtes Zeichen der Macht- und Unterwerfungsphantasien unserer Zeit, dass so geartete Vorstellungen zwei amtierenden Regierungschefs auch nur als blöde Bemerkungen herausrutschen.